Gab es wirklich so viele heute völlig unbekannte Komponistinnen? Man kommt aus dem Staunen nicht heraus… Komponistinnen gibt es, seit es Musik gibt, man denke an die legendäre Sapho in Griechenland im Jahre 612 vor unserer Zeitrechnung. Und allmählich rücken sie in das Bewusstsein der Fachwelt: Vor 10-15 Jahren habe ich zum Beispiel Konzertserien organisiert über geistliche Frauen, die im Rahmen der „Rheinländischen Mystik“ direkten Kontakt mit Gott über die Musik suchten. Das waren nicht nur Hildegard von Bingen (1098-1179), sondern da gab es auch eine Marguerite Porète (1250-1310), die der damaligen Kirche überhaupt nicht gefiel und deswegen als „Hexe“ vor dem Rathaus in Paris verbrannt wurde. Ihre Kolleginnen im Minnesang hatten es da leichter, denn das waren meist adelige Damen wie die Gräfin Beatrix de Die in der Provence, wo niemand wagte zu protestieren. Und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gab es in Florenz eine vielbeachtete Riege von Komponistinnen um Francesca Caccini (1587-1640) und Barbara Strozzi (1619-1664), beide Töchter von Komponisten, die am Hof der Medici hoch in Ehren standen und wunderbare musik schrieben. Das Thema ist also nicht ganz so neu und nicht alle Komponistinnen wurden furchtbar schlecht behandelt, so wie man es jetzt öfters liest. Aber gerade wenn man sich schon mit diesem Thema befasst hat, kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Dass nun in einem Ruck so viele bis dato völlig unbekannte Damen zusammen das Podium betreten, das hätte man sich nicht vorstellen können!
Wiederentdeckte Komponistinnen, deren Werke ab 2024/25 auch auf deutschen Opernbühnen zu sehen sein werden. Von links nach rechts: Louise Bertin (1805-1877, „Fausto“) Clémence de Grandval (1828–1907, „Mazeppa“), Augusta Holmès (1847–1903, „La Montagne noire“), und Pauline Viardot-Garcia (1821–1910, „Der letzte Zauberer“). © Palazzetto Bru Zane
Im Rahmen des allgemeinen Interesses für Frauen in der Musik hat das Palazzetto Bru Zane ihnen nun sein jährliches Juni-Festival in Paris gewidmet. Und wie üblich bei dieser Stiftung für unbekannte französische Musik aus dem 19. Jahrhundert, geht man besonders gründlich und wissenschaftlich verantwortlich vor. So fing man im Januar in Avignon an mit „Serenade“ (1818), einer opéra-comique von Sophie Gail (1775-1819), die nun szenisch durch Frankreich tourt. Im Februar gab es in Metz ein Konzert Richard Wagner – Augusta Holmès (1847-1903). Denn die „Walküre“ (so wurde sie in Paris genannt), war schon 22-jährig zum Meister nach Bayreuth gereist und nahm es in ihren Kompositionen mit ihm auf – riesige Werke, in denen sie mitunter selbstbewusst 1.200 Mitwirkende forderte! Im Juni entdecken wir nun „Fausto“ von Louise Bertin, ein Konzert mit sieben „Romantischen Komponistinnen“, eine CD-Box mit 21 Komponistinnen und mehrere Bücher über Komponistinnen. Ein beeindruckendes Programm, an dem offensichtlich viele Jahre gründlich gearbeitet wurde – Bravo!
Einzelbesprechungen:
„Fausto“, Oper von Luise Bertin
Konzert: „Sieben romantische Komponistinnen“
Waldemar Kamer, 26. Juni 2023