Premiere am 11.03.2018
Tod in Häuserschluchten
Über Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ gibt es das Bonmot, dieses Requiem sei Verdis beste Oper. Und Hans von Bülow bezeichnete es dereinst gar als „Oper im Priestergewand“. Aber das bezieht sich natürlich auf die Musik, es gibt ja keine eigentliche Handlung. Eine solche hat der Regisseur Calixto Bieito auch nicht erfunden. Er beschränkte sich darauf, die Abschnitte des Requiems assoziativ zu bebildern. Und wer hier nun Exzesse und skandalträchtige Phantasien erwartet hatte, wurde enttäuscht.
Selten hat sich Bieito bei einer Inszenierung so zahm gegeben wie hier – zum Glück für die Musik, die sich unter der Leitung von Kevin John Edusei in ihrer ganzen Pracht entfalten konnte. Edusei und das Philharmonische Staatsorchester offerierten eine breite dynamische Palette, die von zartesten Geigentönen bis zu den machtvoll aufgebauten Klängen des Jüngsten Gerichts reichte. Eindruckvoll der Klang der von oben tönenden Posaunen, berührend das innige Flehen um Gnade. Der Chor zeigte sich dabei in imponierender Bestform. Eberhard Friedrich hat hier einmal mehr hervorragende Arbeit geleistet. Auch bei den Solisten gab es durchweg gute und homogene Leistungen. Maria Bengtsson konnte mit ihrem lyrischen Sopran weitgehend überzeugen, obwohl man manche Passagen schon schwebender und ätherischer gehört hat. Nadezhda Karyazina führte einen glutvoll geführten Mezzo ins Feld, Dmytro Popov glänzte nicht nur bein „Ingemisco“ mit kraftvollem, höhensicherem Tenor und Gábor Bretz sorgte mit seinem schlanken Bass für reinstes Balsam.
Und die Inszenierung? Die Bühne von Susanne Gschwender zeigt ein riesiges Holzregal, in dem die Protagonisten mitunter wie in einem Setzkasten sitzen. Die Regalteile verschieben sich und wecken die Assoziation von Schluchten zwischen stilisierten Hochhäusern. Zunächst sieht man eine mit ihrem Kind ballspielende Familie. Kinder, die immer wieder in diesen Häuserschluchten spielen, symbolisieren die Hoffnung, die der Gesellschaft versagt scheint. Denn Bieito sieht für sie keine Erlösung. Schmerz und Trauer bestimmt das Schicksal der Solisten: Die Mezzosopranistin ist zwischenzeitlich an das Regal angeschmiedet, setzt sich das Messer an die Kehle und lässt das Blut auf ihr knallgelbes Kleid rinnen. Beim „Offertorium“, wo von Opfern und Gebeten die Rede ist, wird eine Nackte wie ein Opfer aufgebahrt. Die Sopranistin ist durchweg eine Leidensfigur, die vom Chor attackiert wird. Der reckt oft die Arme flehentlich zum Himmel. Aber alles ist vergebens. Am Ende liegen alle wie tot da.
Bieitos Bebilderung des „Requiems“ ist dennoch nie verstörend oder ärgerlich. Aber letztendlich ist sie auch kein Gewinn, denn Verdis Musik ist so stark und suggestiv, dass sie auch ohne szenisches Beiwerk ihre Botschaft verkündet.
Wolfgang Denker, 12.03.2018
Fotos von Brinkhoff / Mögenburg