Wenn Christian Thielemann wo auch immer Wagner dirigiert, ist der Andrang auf die Karten riesengroß. Und so sind die wiederaufgelegten beiden Ring-Zyklen an der Berliner Staatsoper bis auf einige wenige sehr teure Restkarten über 200 Euro seit langem ausverkauft.
Zur Premiere im Oktober 2022, als Thielemann kurzfristig für Daniel Barenboim einsprang, war die Probenzeit knapp bemessen, dennoch wurde schon damals großartig musiziert. Aber natürlich wächst jede Produktion mit jeder zusätzlichen Probe. Noch dazu manifestiert sich mit jeder Aufführung der Eindruck, dass die Berliner Staatskapelle seit 30 Jahren nicht so gut geklungen hat wie nun unter Thielemanns Leitung. Oftmals eher klotzig und klobig tönte das Orchester vielfach vor seiner Zeit bei Wagner-Aufführungen an lauten Stellen, dass man schon dazu neigte, die Probleme auf die Akustik des Hauses zu schieben. Nun aber wird mehr und mehr zur Gewissheit, dass die Akustik trotz kleinerem Raum gar nicht schlechter ist als die in der Deutschen Oper. Sie muss nur ideal genutzt werden und verträgt offenbar nicht die Härten, die Barenboim vielfach im Forte und Fortissimo an den Tag legte.
Jedenfalls ließ sich zur Wiederaufnahme des Rheingolds beispielhaft erleben, wie nuanciert in Abstufungen Thielemann dynamisiert, dabei bedacht darauf, nicht schon gleich am ersten Abend das Pulver zu verschießen. Auch wenn dramatische Höhepunkte wie der Auftritt der Riesen, Fafners Mord an seinem Bruder Fasolt oder der finale Einzug der Götter in ihre Burg dazu herausfordern, hält sich Thielemann – den Ring als Ganzes im Visier – mit extremen dynamischen Spitzen noch zurück. Schließlich braucht es über die noch folgenden Dramen bis hin zu Siegfrieds Tod und Brünnhildes Schlussgesang Steigerungsmöglichkeiten.

Dmitri Tcherniakovs in einem groß angelegten Forschungszentrum verortete Inszenierung enthält zwar einige wenige abstruse Szenen, die mit Richard Wagners Libretto nicht im mindesten korrespondieren, bietet aber mit vielen gewöhnlich möblierten Räumen, die auch nicht auffallend anders aussehen als in anderen modern gehaltenen Produktionen, den Sängerinnen und Sängern Gelegenheit, ihre Partien von der Musik her zu durchleben.
Nur Jochen Schmeckenbecher, stimmlich in Höchstform, kommt die undankbare Aufgabe zu, die Oper aus einem Stress-Labor zu eröffnen, wo er, umrankt, von medizinischen Assistentinnen in Weiß als Rheintöchter (!) Gold und Fluss wohl nur aus einer virtuellen Brille sieht.
Aber wegen der Inszenierung, in der es kein Gold und keinen Theaterzauber gibt, sich Alberich unter der Tarnkappe weder in einen furchteinflößenden Wurm, geschweige denn in eine kleine Kröte verwandelt, verirrte sich wohl sowieso kaum einer in die jüngste Wiederaufnahme. Am Ende bin ich schon dankbar, dass seit der Intervention von Tierschützern zumindest keine echten Kaninchen und Meerschweinchen mehr in engen Käfigen leiden müssen, die zu Tcherniakovs Setting unnötig dazugehören und glücklicherweise längst durch Attrappen ersetzt wurden.

Die Magneten dieser Produktion sind ohnehin Christian Thielemann und das treffliche Ensemble. Diesmal kam es mir so vor, als hätte der Kapellmeister die ersten sechzehn Takte des Vorspiels mit dem tiefen Es-Unisono in Kontrabässen und Fagotten noch mehr Zeit gegeben als in früheren Aufführungen. Jedenfalls lag in diesem Ton, mit dem alles in aller Stille beginnt, bevor Bewegung in die Partitur gelangt, eine so sagenhafte Ruhe, wie ich sie bislang noch nicht erlebt habe. Gefühlte acht Minuten waren das. Und diese Ruhe, die sich diesmal vielleicht auch so stark vermittelte, weil niemand im Saal hustete, hielt weiter an, als sich nach und nach die Klänge aufbauten, die Hörner dazukamen, die ihre schwierigen Einsätze sehr achtbar meisterten, bis schließlich in schnelleren Wellenbewegungen die Streicher einsetzten.
Bei alledem ließ sich wieder einmal beobachten, wie Thielemann das Orchester zurücknimmt, damit Sängerinnen und Sänger leise singen können, wo es die Partitur verlangt. Und dafür sorgt, dass sie auch dann zu hören sind, wenn die Durchschlagskraft bescheidener ausfällt. Das betrifft besonders die noch junge Sonja Herranen vom Opernstudio (in der kleineren Partie der Freia) und Sebastian Kohlhepp, der, einst von Thielemann entdeckt, als Matteo in Strauss‘ Arabella eine ausgezeichnete Figur machte, nun als Loge zwar souverän und kultiviert, aber mit recht kleiner, dünner Stimme singt. Ohne Thielemanns hypersensible Antennen wäre von ihm vermutlich – vor allem im Kontrast mit den überwiegend großen Stimmen der Kollegen – wenig zu hören gewesen.

Die Partie des Göttervaters Wotan hätte sich indes kaum besser besetzen lassen als mit Michael Volle, der sich mit großem Volumen, schlanker, geschmeidiger Stimmführung, schönem Timbre und exzellenter Textverständlichkeit im Zenit seiner Kunst präsentiert. In welcher Lage auch immer verströmt seine Kehle reinsten Wohllaut, und auch darstellerisch geht er ganz und gar in der Rolle des zunehmend Zermürbten auf, der aus seiner reichen Beute ausgerechnet den die Macht der Welt symbolisierenden Ring den Riesen zur Befreiung seiner Schwägerin überlassen muss.
Einen weiteren Auftritt der Sonderklasse bescherte die Ungarin Anna Kissjudit mit ihrem warmen, großen, runden Mezzo als Erda, ein großer Gewinn für das Ensembles des Hauses, dem sie seit 2022/23 fest angehört.
Claudia Mahnke (Fricka), Stephan Rügamer (Mime) sowie die mit mächtigen Bässen auftrumpfenden Riesen Mika Kares (Fasolt) und Peter Rose (Fafner), allesamt vielfach bewährt in ihren Partien, wenn auch nicht durchweg in allen Registern mit der schönsten Tongebung, empfahlen sich als profunde, starke Sängerdarsteller.
Alles in allem also ein glänzender Auftakt, der auch dazu beiträgt, dass wieder verstärkt ein Publikum aus dem Ausland anreist. Aus dem Publikum, das den Dirigenten, das Ensemble und Orchester frenetisch feierte, ließen sich jedenfalls viele Sprachen vernehmen. Vor allem unter den zahlreich versammelten Thielemann-Fans kommen viele von weither.
Kirsten Liese, 29. September 2025
Das Rheingold
Vorabend zum Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“
von Richard Wagner
Staatsoper Berlin
Aufführung am 27. September 2025
Premiere am 2. Oktober 2022
Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin