Von wegen in Wagners Musikdramen gehe es überwiegend sehr laut zu, wie immer mal wieder fälschlich behauptet. Wer Christian Thielemann und die Berliner Staatskapelle gehört hat, wird vielmehr staunen darüber, wie doch in der Walküre, richtig musiziert, die leisen Töne überwiegen.
Zwar beginnt das Drama mit einem aufwühlenden, stürmischen Vorspiel, aber schon die erste sinnliche Annäherung zwischen den Wälsungen Siegmund und Sieglinde ist geprägt von spannungsvollem Knistern. Eric Cutler und Vida Miknevičiūtė harmonieren als Wälsungenpaar gut miteinander, beide durchleben ihre Achterbahnfahrten zwischen Leidenschaft, Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung mit Haut und Haaren und großer Strahlkraft. Nur angelegentlich in der Höhe tönt sein Tenor etwas eng. Als Sängerdarsteller glänzen sie aber beide unangefochten in der Weise, wie sie ihre Empfindungen zunächst diskret in Blicken und kleinen Gesten ausdrücken, bis sich das Begehren über die „Winterstürme“, die Cutler auch seitens der Tongebung achtbar gelingen, gänzlich Bahn bricht.

Vor allem aber wird diese Aufführung mit ihrer besonders ausgeprägten Zart- und Zärtlichkeit in Erinnerung bleiben, die sich immer wieder zwischen aufgeheizte Dialoge schiebt, wenn Brünnhilde den zutiefst deprimierten Göttervater nach seinem erbitterten Ehestreit ihrer Loyalität versichert („Wer bin ich, wär‘ ich dein Wille nicht“?), oder ihm nach seinem wutschnaubenden Auftritt zunächst zaghaft, dann zunehmend selbstbewusster ihre Gründe für ihren Ungehorsam darlegt („War es so schmählich, was ich verbrach“?) Oder auch, wenn Siegmund vor seinem unheilvollen Gefecht noch einen letzten Blick auf die Geliebte richtet („Leblos scheint sie, die dennoch lebt“)
In solchen Augenblicken wagt der konzentrierte Hörer kaum zu atmen, leidet mit den Lichtgestalten mit, die auf verlorenem Posten stehen, selbstlos für die Liebe streiten, vergisst über diese Lebendigkeit ganz, sich überhaupt in einem Theater zu befinden. Und empfindet bald selbst schon Abscheu vor den Figuren, die jegliche Menschlichkeit vermissen lassen, sei es die von Claudia Mahnke treffend als moralinsaure Hysterikerin dargestellte Fricka, der zuliebe Wotan seinen Sohn ans Messer liefern soll. Oder Hunding, den Mika Kares mit seinem dunklen, schwarzen Bass als abgestumpften, in seiner Widerwärtigkeit kaum zu überbietenden Fiesling darstellt, der seiner Frau aufträgt, dem unliebsamen, waffenlosen Eindringling Siegmund gar Handschellen anzulegen, auf dass er seiner Rache nicht entkommen kann.

Und so wie Michael Volle seinen Wotan in allen seinen Facetten komplex auslotet, mal als den glaubhaft traurigsten Gott, der, seiner Verträge Knecht, nicht mehr frei walten kann wie er will, mal als denkbar jähzornigsten Diktator, der in seinem Strafmaß keine Gnade kennt für sein herrliches, kühnes Kind, weckt auch er bisweilen mehr Ablehnung als Mitgefühl.
Eine bessere Wunschmaid als Anja Kampe hätte sich an seiner Seite kaum denken lassen. Die beiden begegnen sich auf Augenhöhe, gerüstet mit großer Strahlkraft, grandios in der tiefgründigen Durchdringung des Texts und in der Darstellungskunst. Am stärksten berühren die letzten Minuten vor Wotans Schlussgesang, wenn sich Vater und Tochter in den Armen liegen, zur sehnsuchtsvollen Musik aus dem Graben mit Tränen Abschied nehmen. Was für ein bewegender, versöhnlicher Moment nach dem langen, zermürbenden Disput.

Und das Orchester? Es entfaltet die Partitur wie am Vorabend farbenreich in dynamisch feinsten Abstufungen in aller Pracht. Nur einmal zum Walkürenritt lässt Thielemann es ordentlich krachen. Und zwischendurch darf man staunen, wie leise und sauber mitten im Ehestreit ein einzelnes Horn ein virtuoses Solo intoniert („Nur eines höre“). Altehrwürdig weihevoll tönen Posaunen, Hörner und Tuben im Verein, zutiefst beseelt die schwermütigen Klagen der Klarinette, die sich zärtlich um die gedemütigte Brünnhilde schmiegen. Und wenn diese zu ihrem vielleicht schönsten Satz „Der diese Liebe mir ins Herz gehaucht“ anhebt, ist es, als gelange auf wunderbare Weise das Licht in die Düsternis.
Am Ende entfernen sich Wotan und Brünnhilde räumlich immer weiter voneinander, bis die Musik erlischt. Ein Kammerspiel von solcher Intensität ist selten zu erleben. Was für ein Abend. Großes Theater!
Kirsten Liese, 30. September 2025
Die Walküre
Richard Wagner
Staatsoper Berlin
Aufführung am 28. September 2025
Premiere am 3. Oktober 2022
Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin