Christian Thielemann strahlt wie ein Leuchtturm in die weite Wagnerwelt, aus allen Himmelsrichtungen strömt es in seinen neuaufgelegten Berliner „Ring“. Dies allerdings zur „Götterdämmerung“ wegen einer zeitgleichen Demonstration unmittelbar vor dem Opernhaus unter Widrigkeiten, die den Kopf schütteln lassen.
Aber die Produktion, streckenweise so packend wie die „Walküre“, lohnt die schwierige Anreise, abgesehen davon, dass die Regie die Bühne mit Greisen bevölkert, als wäre aus dem Forschungszentrum E.S.C.H.E eine Geriatrie geworden. Das betrifft allen voran den Alberich von Jochen Schmeckenbecher, der – wiewohl mit seinem profunden Bariton sehr geistesgegenwärtig in seiner bedeutsamen Szene „Schläfst du Hagen mein Sohn“ und entschlossen, die Macht der Welt in Gestalt des Rings zurückzugewinnen – tattrig in Unterhose über die Bühne schlurft.
Auch die Nornen, darunter die zuvor als Erda mit ihrem großen Alt für sich einnehmende Anna Kissjudit, scheinen, stark gehbehindert und zittrig, reif für ein Pflegeheim – warum bleibt Geheimnis des Regisseurs.

Wie dann aber Brünnhilde, angetrieben von innerer Unruhe am bevorstehenden Tag von Siegfrieds Aufbruch („Zu neuen Taten“) zuerst aufsteht und schon mal das Frühstück richtet, bis er geduscht hat, die beiden noch ein letztes Mal ihre Zweisamkeit genießen, ihrer Liebe vergewissern und ihre Treue mit kostbarem Pfand besiegeln bis der Zeitpunkt für den unvermeidlichen Abschied drängt, ist anrührend zu erleben. Denn Anja Kampe und Andreas Schager machen aus Brünnhilde und Siegfried – gesegnet mit strapazierfähigen, leuchtenden Stimmen – auf sehr lebendige Weise ein zeitloses Paar im leidenschaftlichen Überschwang. Zugleich findet das vage Unbehagen, die unbewusste Vorahnung, dass sich ihrer Verbindung etwas entgegenstellen könnte, nicht nur im Orchestergraben Raum, sondern vielmehr auch in Kampes sorgenvollen, traurigen Blicken.
Mit der Szene der Gibichungen, in der Hagen, die niederträchtigste Figur der Tetralogie, mit seinen Plänen das Drama in Gang bringt, nimmt der Krimi Fahrt auf. Mika Kares, schon als Hunding ein abgrundtief Böser, und mit seinem mächtigen Bass prädestiniert für solche Rollen, gibt den Fiesling als einen eiskalten, gefährlichen Strategen, der über Leichen geht, sich Gunther und Gutrune listig zu Komplizen macht, um den Schatz von Siegfried zu erbeuten. Furchterregend gespenstisch tönt sein wiederholtes „Hoiho!“. Clara Nadeshdin erscheint in diesem Komplott als Gutrune, gemessen an der starken Persönlichkeit Brünnhildes als eine, wenn auch nicht unscheinbare, so doch eher unbedarfte junge Frau, die es in ihrer Naivität gar nicht fassen kann, den großen Helden Siegfried für sich zu gewinnen. Und zu spät erkennt, dass sie besser die Finger davon gelassen hätte, ihm den verhängnisvollen Trank zu reichen, der ihn Brünnhilde vergessen ließ.

Die etwas undankbare Partie ihres Bruders Gunther gibt Lauri Vasar mit soliden Stimmgaben aber engem Dauervibrato als einen Jammerlappen, der sich in Angst und Scham am Boden windet, wenn Brünnhilde ihn vor versammelter Hochzeitsgesellschaft des Betrugs an ihr überführt.
Mit dem höchst aufwühlenden Auftritt der Waltraute (grandios: Marina Prudenskaya mit ihrem dunklen, volltönenden Mezzo), die Brünnhilde vergeblich warnt, den unheilbringenden Ring den Rheintöchtern zurückzugeben, bahnt sich das Unheil zusehends seinen Lauf.
Aber was wäre die „Götterdämmerung“ ohne das von Christian Thielemann so genial durch die monumentale Partitur geführte Orchester und den Staatsopernchor (Einstudierung: Dani Juris), dem er eine ebenso exzellente Textverständlichkeit abfordert wie jedem einzelnen?
Dazu darf man staunen, wie homogen und präzise die hohen Streicher einige irrwitzige rasante Tonketten in der Begegnung von Siegfried und den Rheintöchtern meistern. Sieht man nur das Notenbild, kann einem schon schwindlig werden.
Und welche überwältigenden Emotionen überkommen die gebannten Hörer erst mit „Siegfrieds Tod“, einem der schönsten und erhabensten Zwischenspiele aus Wagners Feder. Laut wird es an diesem Kulminationspunkt freilich bei jedem Orchester, aber selten mit einer solch gravitätischen Wucht. Sogar mit den Augen lässt sich erfassen, wie stark sich mindestens der Dirigent verausgabt, dessen Arme und Taktstock nun erstmals weit ausgestreckt aus den Tiefen des Grabens emporragen. Kalt über den Rücken läuft es einem da und man wünschte, diese schmerzlich-schöne Musik würde nie enden.

Aber dann folgt ja noch Brünnhildes kräftezehrender Schlussgesang, den Kampe achtbar meistert, auch wenn man ihr anhört, welche Anstrengungen ihr ihre letzten hohen Töne abverlangen.
Eine ganz besondere Vorstellung bot diese stark bejubelte „Götterdämmerung“ bei alledem aus einem traurigen Anlass: Thielemann und die Staatskapelle widmeten sie dem Andenken an ihren Tubisten Thomas Keller, der, nachdem er 30 Jahre lang die Geschichte des Orchesters entscheidend mitprägte, sogar an den Endproben zu dieser Wiederaufnahme noch teilhatte, plötzlich und unerwartet gestorben ist.
Kirsten Liese, 4. Oktober 2025
Götterdämmerung
Richard Wagner
Staatsoper Berlin
Aufführung am 3. Oktober 2025
Premiere am 9. Oktober 2022
Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin