Norma mit Happy End
Norma- das bedeutet in der Geschichte der Oper Montserrat Caballé, die im vom Mistral durchfegten Amphitheater von Orange eine wunderschöne Casta Diva singt, Maria Callas, die in Rom die halbe Regierung einschließlich des Staatspräsidenten brüskiert, indem sie nach dem ersten Akt nicht mehr auftritt, es sind Joan Sutherland und Marilyn Horne, die in der Pause in der Met unaufgeregt stricken, während der Tenor mit seiner Nervosität kämpft, und es ist die junge Fiorenza Cossotto, die trotz oder gerade wegen der Bitten von Franco Zeffirelli, auf die indisponierte Callas Rücksicht zu nehmen, ihren Mezzosopran in Paris noch einen Gang höher schaltet und nie wieder von Zeffirelli gegrüßt wurde. Norma ist die lirica assoluta für die primadonna assoluta, behaftet mit einem von Unwahrscheinlichkeiten strotzenden Libretto und mit himmlischer Musik.

Letztere stört den modernen Regisseur kaum, ersteres schon, aber während seine Kollegen eher dazu neigen, alles noch schwärzer zu malen, als es sich seinerzeit Librettist und Komponist ausgedacht hatten, erspart Vasily Barkhatov Norma und Pollione das Sterben auf dem Scheiterhaufen und setzt an die Stelle der tragischen Überhöhung ein Wischiwaschi-Ende, das beide zwar vom Tode rettet, aber nicht vor einem Weiterleben unter beklagenswert miesen Umständen, die vom Dauerherstellen der immer wieder selben Heiligenfigur bestimmt sein wird in einer Umgebung von Grau in Grau für die Freizeitaktivitäten und Ocker in Ocker im Arbeitsleben. Die Kostüme von Olga Shaishmelashvili entsprechen der tristen, sehr sorgfältig gearbeiteten Bühne von Zinovy Margolin.
Ohne jeden Zweifel das Verdienst der Regie in dieser Koproduktion mit dem Theater an der Wien ist es, bisher ungelöste und den Opernbesucher oft beschäftigende Fragen zu beantworten. Wie oft grübelte man während einer Aufführung, abgelenkt von der Musik, darüber nach, wie es Norma geschafft hat, zwei Kinder zu gebären und aufzuziehen, ohne je in Verdacht zu geraten, ihr keusches Priesterinnenleben nicht ernst genug zu nehmen! Die Regie gibt Antworten mit einem offensichtlich gefüllten Nachttopf, den die treue und in dieser Inszenierung recht aktive Clotilde zum Entleeren Norma übergibt.

Die geradezu naturalistisch gestaltete Bühne, die mit ihrer Detailverliebtheit wunderbar in eine Verismo-Oper passen würde, zeigt zunächst eine Fabrik für Heiligenstatuen, in der nach der Eroberung durch die Römer (Sowjets?) Figuren, die halb nach Ernst Thälmann, halb nach Mao Tse aussehen, hergestellt werden müssen. Die Freizeit verbringt man in wie Gefängniszellen wirkenden Behausungen, und eine bemerkenswerte Fallhöhe in Sachen Moralität zwischen Besiegten und Siegern zeigt sich nicht zuletzt darin, dass erstere auf die Politgötzen nur spucken, letztere jedoch auf die Heiligen pinkeln. Auch die sorgfältige Personenregie kann man oder könnte man nur loben, wenn es sich um Cavalleria oder Pagliacci handeln würde und nicht um eine Belcanto-Oper, weniger die vielen Vorhänge, bereits einer während des Vorspiels und viele während des zweiten Akts, die zu zusätzlicher Ablenkung von der Musik führen, so wie es auch das Dauerfummeln an dem elektrischen Schalter für den Brennofen in der neugotischen Fabrikhalle tut.
Kaum eine weitere Oper bietet so viele unterschiedliche Besetzungsmöglichkeiten wie Norma. Die ungewöhnlichste, aber nicht unwahrscheinlichste hatte Cecilia Bartoli in Salzburg vorgestellt, mit einem Mezzosopran, sich selbst, in der Titelpartie und einem sehr lyrischen Sopran und ebensolchem Tenor an ihrer Seite. Das entspricht am ehesten der traditionellen Rollenverteilung, die die hellste Stimme für die jugendlichste Rolle vorsieht. Die üblichste ist hingegen ein soprano sfogato, also ein Sopran mit ausgedehntem Tonumfang und sicherer Höhe, oder ein durch Virtuosität bestechender für Norma, zu dieser ein passender Spintotenor, denn Pollione ist kein Elvino. Davon hatte sich gerade erst in der zeitgleich mit der Norma des Theaters an der Wien in der Wiener Staatsoper stattfindenden Bellini-Oper auch Juan Diego Florez überzeugen müssen, der bereits die zweite Vorstellung absagte. Auch der Berliner Pollione Dmitry Korchak kommt von Rossini, wovon noch immer seine stupende Höhe zeugt, die er auch mit Lust und leicht übertreibend einsetzt, aber die glanzlosen Töne darunter und die fast farblose mezza voce, die er am Schluss einsetzt, werden der Partie nicht völlig gerecht. Vom Flavio des Junho Hwang kann er sich nicht genügend abheben.

Für Rachel Willis-Sôrensen ist die Norma ein Rollendebüt, das sie, gleichermaßen bei Mozart wie Wagner zu Hause, zum Gipfel ihrer Laufbahn erklärt hat. Was sie mit ihrem: „Ich finde, die Musik und gerade die Oper kann und soll die erhabenen Menschen ansprechen“, meint, kann man vermuten, eine „Norma“ wie diese dürfte nicht dazu gehören. Trotzdem weiß sich die Sängerin optisch wie akustisch zu behaupten, ragt aus der Schar der erzwungen mausgrauen Mitpriesterinnen schon einmal optisch heraus und gefällt auch vokal nach einer anständigen Casta Diva, allerdings die unendliche Melodie recht häufig durch Atmen unterbrechend und um die Höhe kämpfend. In den Duetten mit Adalgisa und schließlich auch mit Pollione gewinnt der Sopran zunehmend an Rundung, werden von beiden Sängerinnen Rubati und Schwelltöne eingesetzt, ist die Phrasierung großzügig und wird endlich das zunächst verhalten reagierende Publikum feuriger. Das Debüt von Willis-Sôrensen kann als gelungen bezeichnet werden. Einen ebenmäßigen Mezzosopran wie aus einem Guss und von schöner Farbe hat Elmina Hasan für die junge Priesterin und dazu ein berührendes Spiel, was beides ihr die Gunst des Publikums sichert. Einen sehr jungen, attraktiven Oroveso, der unmöglich Normas Vater sein kann, singt Riccardo Fassi mit imponierendem basso profondo. Die zumindest darstellerisch enorm aufgewertete Clotilde versieht Maria Kokareva mit angenehmem Sopran- so fing auch einmal Joan Sutherland an. Überzeugend kriegslustig imponierend zeigte sich der Chor (Dani Juris), sehr schnell dirigierte der auch im Musik-Theater an der Wien tätige Francesco Lanzillotta die Sinfonia und auffallend langsam das Vorspiel zum zweiten Akt, dessen wunderbare melancholisch schwebende Melodie recht flügellahm klang. Ansonsten übte er die Hauptaufgabe des Dirigenten bei einer Belcanto-Oper, die Sänger zuverlässig zu begleiten, perfekt aus dem extrem abgesenkten Orchestergraben heraus aus. Ein Sonderlob verdienen Carl und Gustav Beyme, die als Sprösslinge Polliones und Normas das andauernde Rinn-in-die-Betten, Raus-aus-den-Betten perfekt beherrschten.
Ingrid Wanja, 13. April 2025
Norma
Vincenzo Bellini
Premiere am 13. April 2025
Lindenoper Berlin
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Chor und Orchester der Staatsoper Berlin