Was wäre wohl Siegfried ohne Andreas Schager?Der Mann ist wirklich ein Phänomen. Singt seit seinem internationalen Durchbruch gefühlt ununterbrochen die großen, kräftezehrenden Wagner-Partien an allen bedeutenden Adressen mit anhaltend großem Strahl. Anfangs mag man sich noch gefragt haben, wie lange er das durchhält. Aber jetzt sind es mindestens schon sechzehn Jahre und immer noch singt der mittlerweile 54-Jährige ohne Anzeichen von Verschleiß.
Nach seinem fulminanten Tristan zuletzt in Bayreuth nun wieder den furchtlosen Helden im wiederaufgenommenen Berliner Staatsopern-Ring, in dem er 2022 schon zur Premiere an Bord war.
Siegfried ist seine Rolle, er spielt ihn nicht, er ist dieser selbstbewusste Halbstarke, der das Fürchten nicht kennt, holt auch aus dieser Inszenierung von Dmitri Tcherniakov mit ihren eigenwilligen Duftmarken das Beste raus.

Anders als in der Walküre, in der die Sänger ihre Figuren emotional packend im Einklang mit dem Libretto ohne abwegige Aktionen durchleben können, wird es nun szenisch weitaus abstruser.
Viele Bewegungsabläufe wirken bestenfalls beliebig, oftmals absurd, wenn etwa Wotan Urmutter Erda (die aktuell beste unserer Zeit: Anna Kissjudit) in den Saal hereinführt, in dem er sie schon eine Minute später aus tiefem Schlaf erweckt. Und bisweilen nervt das vielfache nutzlose Rotieren der Drehbühne, vor allem dann, wenn damit bisweilen technische Geräusche einhergehen, die sich wie im Vorspiel zur Neidhöhle störend über die düsteren Tremoli in den tiefen Streichern-, die unheilvollen Einwürfe der Pauken und die gespenstischen exponierten Intervalle in der Kontrabasstuba legen.
Abgesehen davon, dass unklar bleibt, worauf Tcherniakov mit seinem krampfhaftem Bemühen, die Handlung in sein Inszenierungskonzept zu zwängen, eigentlich hinauswill. Eine Art „Truman Show“ um ein perfides System, das Menschen auf Schritt und Tritt beobachtet, kontrolliert und ausbeutet, hätte vielleicht einen spannenden Ansatz bieten können. Aber dazu wollen die fünf Phasen im Testlabor zu wenig passen, das Waldweben mit seiner „Entspannungsphase“ ebenso wenig wie Siegfrieds „Suche nach einem inneren Helfer“ in Begegnung mit einer freundlichen Heilpraktikerin, die im weißen Kittel das Waldvögelchen ersetzt (schlanker hübscher Sopran: Kathrin Zukowski).

Ungeachtet all dessen geht Schager mit sichtlichem Spaß in seiner Rolle als halbstarker ungehobelter Rowdy auf, genießt es, seinen Ziehvater Mime zu foppen, Krawall zu machen, lässig eine Zigarette zu rauchen, dem nervigen Kauz ungeschönt seine Meinung zu geigen. Schließlich bringt der Alte, den Stephan Rügamer grandios mit markantem Timbre ein eigenwilliges, exzentrisches Profil gibt, nicht damit fertig, das zerbrochene Schwert Nothung neu zu schmieden.
Nicht weniger kraftstrotzend ringt Schagers Siegfried mit dem Riesen Fafner, – in dieser Inszenierung ein Ungetüm wie aus der Steinzeit und bestens aufgehoben bei Peter Rose,noch im fortgeschrittenen Alter von 64 Jahren gerüstet mit einem profunden Bass und vielseitig, diesmal noch deutlich robuster im Auftreten als zuletzt in der „schweigsamen Frau“ von Richard Strauss, in der er den fragilen Kapitän Morosus sang.
Schließlich gilt es noch den Greis zu besiegen, dem als Wanderer sichtlich stark gealterten Wotan (wieder eine Wucht: Michael Volle mit seinem großen, sonoren Bariton und exzellenter Diktion), der sich Siegfried vor Brünnhildes Felsen in den Weg stellt, aber schon nach wenigen Wortgefechten vor dem überlegenen, ihn respektlos verlachenden Helden kapitulieren muss.
Im Zentrum der Aufführung aber steht einmal mehr die hoch motivierte Berliner Staatskapelle unter Christian Thielemann, die den atmosphärischen Nährboden bereitet. Tuben, Hörner und Holzbläser stechen mit exponierten Soli mehrfach heraus, aber das Herzstück dieses Orchesters sind die Streicher mit ihrem warmen, dunklen, schönen Klang.
Noch dazu zähle ich an diesem Abend sechs Harfen im Graben, und die haben im Bund mit den zärtlich aufspielenden Violinen ihre bedeutsamen Auftritte in jenen Momenten, wo Siegfried den Felsen auf „sonniger Höh‘“ erreicht und Brünnhilde aus ihrem Schlaf erwacht („Heil dir Sonne! Heil dir Licht!“).

Welche Freude, dass Anja Kampe an der Stelle wie auch bei dem anrührenden „Ewig war ich, ewig bin ich“ ihre schönsten Töne aufbietet. Überhaupt meistert sie ihre Brünnhilde sehr achtbar mit kleinen verzeihlichen Schärfen bei teils irrwitzigen Spitzentönen im Fortissimo. Aber außer Ausnahme-Heroinen aus einer lange zurückliegenden Vergangenheit wie Kirsten Flagstad oder die unvergleichliche Birgit Nilsson können das heute nur sehr wenige, wenn überhaupt besser.
Am Ende scheint es fast, als wollten sich Kampe und Schager, die in jeglicher Hinsicht miteinander gut harmonieren, in den letzten Takten ihres triumphalen Schlussduetts noch übertreffen beim „Leuchtende Liebe, lachender Tod“. Alle Achtung! Das erlebt man so nicht alle Tage.
Kirsten Liese, 2. Oktober 2025
Siegfried
Richard Wagner
Staatsoper Berlin
Aufführung am 1. Oktober 2025
Premiere am 6. Oktober 2022
Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin