Premiere am 28.09.13
Dulcamara kommt mit dem Dampfer in eine gelangweilte und langweilige Spaßgesellschaft; Präferenz für oberflächliche Unterhaltung
Von den über siebzig Opern Donizettis, die er angeblich teilweise auf Reisen in der Postkutsche geschrieben hat, zählt „Das Liebeselixier“ (L’elisir d’amore) zu den zwei meistaufgeführten. Das Libretto von Felice Romani beruht auf „Le Philtre“, einem Opernbüchlein, das in der Schreibfabrik von Eugène Scribe für eine Oper von Auber entstanden war. Die Uraufführung 1832 in Mailand leitete, nachdem sich Rossini vom Opernschreiben zurückgezogen hatte und bevor Verdi bekannt wurde, die letzte Dekade des Belcantismus ein, deren dominierender Komponist Donizetti wurde, nachdem auch Bellini 1835 gestorben war. Die Einfachheit und dabei erstaunliche Logik der Geschichte mit den Figuren, die sich von der commedia dell’arte ableiten lassen, die Eingängigkeit der Melodien und die Überschaubarkeit der Begleitpartitur machen dieses spritzige Werk neben Rossinis barbiere zur beliebtesten Buffa der Belcantozeit. Schon 1841 kam die Oper nach Darmstadt.
Bild 3: Margaret Rose Koenn (Adina), Arturo Martín (Nemorino)
Das Stück hat eine Handlung mit der für die Oper typischen klassischen personellen Viererkonstellation mit Sopran, Tenor und zwei tiefen Männerstimmen. Hier ist es der naive Bauer Nemorino, seine angebetete Adina, die mit ihm spielt, der eitle Unteroffizier Belcore, der dem Nemorino die Adina wegschnappen will, und Der Quacksalber Dulcamara („Süßsauer“), der unabsichtlich die Handlung in die richtige Richtung zum lieto fine bringt. Wer kriegt da wohl wen? Diese Handlung lässt sich problemlos fast überall hin verlagern; umso besser, wenn da noch ein Zug Soldaten hinpasst. Michael Schulz, Intendant des „Musikththeaters im Revier“ (MiR) in Gelsenkirchen (In Gelsenkirchen kann man auch noch etwas anderes machen, als nur alle vierzehn Tage zum Fußball gehen.) hat das Stück für die Semperoper in Dresden inszeniert. Nun wurde die Produktion nach Darmstadt übernommen. Er verlegt die Handlung in einen heruntergekommen Tanzschuppen, in welchem nach dem Krieg in den 50er Jahren gerade die gröbsten Schäden beseitigt waren. Die Fenster sind noch verbrettert, die Decken heruntergebrochen. Die mit viel Liebe zum Detail gestaltete Bühne hat Dirk Becker entworfen. An einfachen Tischchen sitzt eine gelangweilte und langweilige Tanzteegesellschaft – einige starren nur dämlich vor sich hin, andere lesen Zeitung, zwei oder drei Paare schwofen lustlos. Die teuren Pflichtgetränke auf den Tischen werden nicht angerührt. Die bunt gemischten zeitentsprechenden Kostüme sind von Renée Listerdal. An der Seite befindet sich ein Stapel Matratzen. Adina liegt darauf und frönt ihrer Leseleidenschaft. Der dümmliche Nemorino streunt mit einem Stoffbeutel durch diese Gesellschaft, weil er in der Nähe Adinas sein will.
Kyung-Il Ko (Dulcamara), Lydia Ackermann (Giannetta)
So weit so gut, das könnte eine gute Ausgangskonstellation für das quirlige Geschehen sein. Ist es aber nicht. Der Parkettboden wölbt sich hoch, Belcore und seine acht Infanteristen kommen aus dem Keller hochgekrochen. Aus dem Kohlenkeller kommen sie wohl nicht, denn sie sind in weiße Overalls à la SpuSi gekleidet. Derer entledigen sie sich langatmig, und bis sie zu ihren schönen historischen Ausgehuniformen auch den Dreispitz und den Federbusch aufgesetzt haben – alles bestens synchronisiert mit den Vorgaben des Sergeanten – kommt schon der erste Gähner auf. Dass die Soldaten dann in etwa einem Dutzend weiterer Auftritte alles exakt chronometriert ihrem Vorgesetzten nachmachen, gerät dann zu lästig aufgesetzter Fantasielosigkeit. Der „Witz“ wird aber noch gesteigert, als diese Soldaten in einem schnell aufgeschlagenen Zweimannzelt verschwinden – und zwar alle Acht! Der Mann am Klavier auf der, der mit der Begleitung der secco-Rezitative nicht ausgelastet ist und nebenher ein Buch liest, tritt überdies etliche Male geistesabwesend mit einem Luftballon zur Bühnenmitte, den er durch das kaputte Dach aufsteigen lassen will. Erst beim fünften Versuch fällt der nicht mehr geplatzt zurück auf die Bühne. Das sollte wohl Situationskomik sein. Zur Feier der Verlobung zwischen Adina und Belcore kommt aus dem gleichen Deckenloch ein schöner Kronleuchter heruntergefahren. Daneben gibt es noch jede Menge weiterer Blödel- oder Nonsense-Gags auf RTL-Niveau, auf die nur einige wenige im Publikum ansprechen. Schulz hat das sicher gut gemeint, aber Gag heißt eben noch nicht Esprit, Witz oder gar Niveau. Dass sich Dulcamara die Reste des Festessens einfüllt, hat man auch schon gesehen. Nicht aber – und hier hat sogar der Nonsense etwas Niveau – dass er zuvor mit einem Schiff in die Szene gefahren kommt, statt wie sonst mit ape, Lieferwagen oder Pferdekutsche. Dass man sich am Meer mit Ozeananschluss befindet, wird zum Schluss noch einmal verdeutlicht: Nachdem sich alle liebhaben, werden die Bretter von den Fenstern gerissen: Ausblick auf die See. Aus nicht offensichtlichen Gründen sticht Dulcamaras Schiff ohne ihn wieder in See. Ein Renner wird diese Produktion auch in Darmstadt nicht werden.
Die musikalische Seite des Abends zeigte sich auch durchwachsen. Donizetti komponierte die Oper in knapp zwei Wochen, rezyklierte dabei sogar (eigenes) älteres Material und hatte natürlich nicht besonders viel Zeit, aus seinem überkommenen „stereotypen Formelkram“ (Uwe Schweikert) in Melodik, Begleitung und Harmonik herauszukommen. Aber dennoch lieben wir ja die beschwingte Musik, nehmen die einfach-klassischen harmonischen Wendungen an und erfreuen uns an der Leichtigkeit der Melodien. Elias Grandy gewann aber mit dem
Staatsorchester Darmstadt in kleiner Besetzung zunächst nicht recht den Zugang zur Partitur. Die Ouvertüre klang trocken, die kurzen kontrastierenden Passagen wurden nicht verbunden, durch Generalpausen fiel das eher auseinander. Auf das präzise aufspielende Orchester hingegen war Verlass. Im Verlauf kam
Margaret Rose Koenn (Adina), David Pichlmaier (Belcore)
mehr Inspiration in die Orchesterbegleitung, die aber dennoch immer wieder in den Stil einer Kurkapelle zurückfiel. Grandy bevorzugte streckenweise sehr ambitiöse Tempi und ließ bei den Stretten in bester Rossini-Manier so anziehen, dass das Bühnenpersonal Probleme hatte zu folgen. Diesbezüglich ist die Partitur nicht ohne Schwierigkeiten, denn auch der Chor muss da gut eingebunden sein. Dass es hier und da noch klapperte, wird sich sicher noch beheben lassen, zumal der klangschöne Chor von Markus Baisch gut einstudiert war. In immer bunteren Kleidern bewährte der sich auch in den bewegten Szenen und war schauspielerisch gefordert.
Margaret Rose Koenn (Adina), David Pichlmaier (Belcore), Opernchor und Statisterie
Die Darmstädter Produktion wurde auf Deutsch (ohne Übertitel) in der Übersetzung von Joachim Popelka gesungen. Das ist durchaus problematisch. Denn die sängerischen Zungenbrecher sind für die Solisten in der konsonantenreicheren deutschen Sprache noch schwerer zu bewältigen; da kann die Artikulation nicht dazugewinnen. Der Zuschauer ist vom Lesen der Übertitel befreit, aber die Textverständlichkeit bleibt doch auch bei allen Anstrengungen so begrenzt, dass größere Teile des Texts verloren gehen. Hier lag auch das Hauptmanko der sonst durchaus respektablen Besetzung. Für die Produktion sind in Darmstadt alle vier Hauptrollen doppelt besetzt. An diesem Premierenabend gab Margaret Rose Koenn die Adina mit adretter Bühnenerscheinung, beweglichem Spiel und ebenso beweglichem schönem Sopran mit einem erotischen leichten Vibrato in den hohen Passagen. Aber selbst bei einem Sopran könnte die Textverständlichkeit besser sein. Der Nemorino des Arturo Martín fiel dagegen ab. Sein heller Tenor verfügte über eine schöne Mittellage und brachte auch trotz Intonationsproblemen einige beachtliche Spitzentöne. Aber im Passagio hatte er Probleme, klang in hohen Lagen eng und musste einmal ins Falsett ausweichen. David Pichlmeier, von hochgewachsener Gestalt, brachte einen grundsoliden Belcore mit sehr guter Aussprache; die Regie hatte ihm aber ein recht hölzernes Spiel zugewiesen. Gemischt fiel der Eindruck von Kyung-Ol Ko als Dulcamara aus. Er sang mit schön fundiertem kultiviert-kräftigem Bariton, aber leider mit einer sehr starken koreanischen Einfärbung und Textverständlichkeit gegen null. Die Gianetta, mehr Chorführerin als Solistin, wurde von Lydia Ackermann gegeben.
Bei dem sehr gut besuchten, aber nicht ausverkauften Premierenabend zeigten sich in den Sitzreihen nach der Pause deutliche Lücken. Bei der Premiere eines Standardwerks ist es eher ungewöhnlich, dass Besucher nach Hause gehen. Der Beifall des Publikums war höflich und freundlich. Das Regieteam zeigte sich nicht. Anscheinend ist die Neueinstudierung der von der Semperoper in Dresden übernommenen Produktion in Darmstadt von der örtlichen Spielleitung geleistet worden. Nach dem ziemlich zähen Don Pasquale in der letzten Spielzeit, der vom Teatro la Fenice übernommen worden war, nun schon der zweite Donizetti, bei dem die Intendanz kein gutes Händchen gezeigt hat. Man kann sich das doch vorher ansehen und braucht nicht die Katze im Sack zu kaufen! Die Dresdner Kritiken waren auch nicht eben überschwänglich. Vom 5. Oktober bis zum 23. Januar wird der Liebestrank noch zehn Mal gegeben.
Manfred Langer, 29.09.13 Fotos: Barbara Aumüller
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