Susanne Serfling entschädigt
Premiere am 15.03.14
Wenig Neues aus Zypern – Otello ohne Salz und Pfeffer
„Vorrei e non vorrei“ singt Zerlina in Mozarts Don Giovanni. Das gleich mag sich Giuseppe Verdi gedacht haben, als er von seinem Verleger Ricordi nach seiner „letzten“ Oper Aida immer wieder gedrängt wurde, sich noch einmal eines Librettos zur Vertonung anzunehmen. Mit Arrigo Boito kam zudem ein neuer Librettist ins Spiel, dessen Anwürfe aus der scapigliatura gegen die italienische Musiktradition Verdi einst verletzt hatten. Auf Betreiben Ricordis wartete Boito für Verdi mit seiner vieraktigen Adaptation von Shakespeares Othello auf. „Soll ich, oder soll ich nicht?“, die Frage mag Verdi wohl schon für sich entschieden haben, denn aus Gefallen an dem Stoff kaufte er Boito schon einmal das Libretto ab. Aber dennoch: man versuchte sich erst an der gemeinsamen Überarbeitung von Verdis früher durchgefallenem Simone Boccanegra, der nun zu einem durchschlagenden Erfolg wurde, ehe Verdi in enger Kooperation mit dem Librettisten die Oper komponierte, die nach der UA an der Scala 1886 zu einem der Jahrhunderterfolge der Opernliteratur wurde. Verdi hätte es wohl nicht nötig gehabt, für die erste Aufführung an der opéra 1894 für eine „Pariser Fassung“ ein Ballett für den dritten Akt nachzukomponieren; so etwas hatte ein anderer 33 Jahre zuvor auch machen müssen: Geld regiert eben auch die (Kunst)Welt…
Joel Montero (Otello), Enrico Marrucci (Jago)
Gerhard Hess stellt nun am Staatstheater eine recht konventionelle Lesart des Werks zur Diskussion und konzentriert sich dabei auf die drei Hauptdarsteller. Da ist alles, wie man es nach Kenntnis des Librettos (oder zumindest der Zusammenfassung) erwartet. Man findet weder „Neudeutungs“ansätze noch werden Nebenaspekte hinzugefügt oder herausgehoben. Dabei bleibt vieles leider auch im Beliebigen. Die Handlung spielt irgendwo im Mittelmeerraum (vielleicht auch auf Zypern) nicht weit vor der Jetztzeit. Natürlich kann man einen Otello so machen. Matthias Nebel hat als Einheitsbühnenbild einen für die vier Akte nur jeweils sparsam möblierten Raum entworfen, in welchem Reihen großer Pfeiler, die keine Dach- oder Deckenkonstruktion mehr tragen, in diagonaler Reihe auf der Bühne stehen. Einer war schon umgefallen; zwei weitere erwischt es bei den ersten Takten („Ouvertüre“ genannt) der Oper, als sie in Gewitter und fernem Kanonendonner krachend umstürzen. Um die stehen gebliebenen und liegenden Konstruktionselemente baut der Regisseur seine unspektakuläre Personen- und Bewegungsregie auf, welche die letzte Überzeugungskraft meistens schuldig bleibt. Die Soldateska haben die Kostümbildner Matthias Nebel und Charlotte Pistorius in weiße Uniformen mit unterschiedlichen Rangabzeichen, schwarze Schaftstiefel und Gürtel mit Koppelschloss und Pistolentasche gekleidet; das weibliche Volk in volkstümliche pastoral anmutende lange Kleidung. Für Lodovico wird immerhin ein großer roter Teppich ausgerollt. Dieser Bühnenansatz missachtet leider eines der ganz wesentlichen szenischen Bauprinzipien der Oper, den sich über die vier Akte verengenden Raum bis zur finalen Todesszene: erst das weite Hafengelände mit Meer, dann der großen Burghof, weiters den Repräsentationssaal und schließlich das Schlafgemach. Diese geniale äußere Anlage der Oper von den Massenszenen zu Beginn bis zum erschütternden Ende des hohen Paares wird übrigens vielfach außer Acht gelassen.
Joel Montero (Otello), Susanne Serfling (Desdemona)
Auch die Musik ist in groben Zügen so angelegt: von Lärm und Getümmel im Großen wird sie immer mehr verinnerlicht, während Jago die Eifersucht in Otellos Inneres sät und mit kaum fassbarer Infamie bis zur Katastrophe nährt. Die Darstellung dieser Entwicklung gelingt in de Inszenierung gut. Ein heute zum Klischee gewordenes Inszenierungselement, nämlich die unterklassige Herkunft Otellos und sein daraus resultierender Minderwertigkeitskomplex (auch weil er farbig ist?) kommt nur ganz am Rande vor, nämlich im Text („presto in uggia verranno i foschi baci di quel selvaggio dalle gonfie labbra“ „bald überdrüssig wird sie sein der finsteren Küsse des schwarzen Wilden mit den wulstigen Lippen“ sagt Jago zu Rodrigo, um ihm die Hoffnung auf Desdemona zu lassen.) Otello wird vielmehr zunächst als rundlicher selbstgefälliger, eitler Latino gezeigt, dessen etwas dümmlicher Stolz leicht angreifbar ist. Dass er bis in die Handwurzeln und die Halskrause dunkel eingeschminkt ist, wirkt heute eher belustigend, zumal der ohnehin dunkle Teint des mexikanischen Darstellers Joel Montero den Farbansprüchen an einen Mauren durchaus genügt hätte. Desdemona als blondes opferwilliges Dummchen darzustellen, ist hingegen ein altes Klischee in Otello-Inszenierungen. Ihr Auftreten im zweiten Akt wie eine Heiligenfigur in einem Lichtkegel auf ansonsten dunkler Bühne wirkt unmotiviert, macht sie aus diesem „Engel“ doch keine unverletzliche abgehobene Person. Noch ein zweites Mal fällt die Lichtregie aus dem Rahmen, nämlich bei der gespenstisch wirkenden Beleuchtung der Chorszene im dritten Akt, als Desdemona und Otello vor den fratzenhaften Zuschauern herausgeleuchtet werden.
Während Wagners Opernszenen quasi in Echtzeit ablaufen, lassen Boito und Verdi die Oper zunächst im Zeitraffer abspielen. Nicht eine Minuten nach krachender Seeschlacht im Gewitter vor der Küste kommt Otello schon wie geleckt als strahlender Sieger die Treppe vom Schloss zum Hafen herunter. Wohl kaum jemand kann so schnell betrunken werden wie Cassio nach zwei gereichten Weinbechern (selbst ein Enzymdefekt könnte das nicht erklären!). Zum Schluss wird dieses Prinzip verlassen: Desdemona ist (definitiv?) erwürgt, kann aber doch wieder an der Konversation teilnehmen; sie ist also gar nicht tot. Otello ersticht sich librettokonform; hier hätte der Regisseur mit größerer Logik Otellos Pistole instrumentalisieren sollen. Aber auch so ist der Weg vom ruhmreich auftretenden Otello vom anfänglichen „esultate“ bis zum stillen traurigen Ende des am Boden liegenden Löwen von Venedig als unentrinnbar dargestellt.
Susanne Serfling (Desdemona), Joel Montero (Otello), Enrico Marrucci (Jago), Chor
„Die Dirigentin Anna Skryleva ist seit Beginn der Spielzeit 2013/14 1. Kapellmeisterin und Stellvertreterin des Generalmusikdirektors am Staatstheater Darmstadt. Ausschlaggebend für dieses Engagement war ein erfolgreiches „Salome“-Dirigat im Juni 2013.“ so schreibt sie selbst auf Ihrer Netz-Seite und bestritt nun ihre erste Premiere in Darmstadt. Mit äußerster schriller Wucht lässt sie die das Staatsorchester Darmstadt die einleitende Kampf- und Gewittermusik spielen; die Tempi sind zunächst ehrgeizig; Chor und Extrachor (Einstudierung: Markus Baisch) und Orchester kommen gerade eben zusammen. Auch weiterhin gefällt Skrylewa die dynamische Hervorhebung dissonanten Passagen vor allem in den beiden ersten Akten. Im Verlauf nahm sie die Gestaltung kraftstrotzender Effekte zugunsten zarterer Striche zurück und bewies mit feinem Sinn für das Melos, dass sie mit dem Staatsorchester auch die zunehmenden, der Desdemona zugeordneten Lyrismen eindringlich gestalten kann. Die motivisch dominierte Musik des vierten Akts zum Weide-Lied und zum Ave Maria mit ihren pastellfarbenen Holzbläseruntermalungen und den für Verdi ungewohnten harmonischen Rückungen lässt sie unter die Haut gehen, ebenso wie die dezenten Streicherlinien und höchsten Violintöne, mit denen das Ave Maria ausklingt. Eine makellose, konzentrierte Leistung des Staatsorchesters.
Susanne Serfling (Desdemona), Erica Brookhyser (Emilia)
Mit drei bis vier Hauptdarstellern ist das Personentableau dieser Oper fast beängstigend einfach. Die Besetzung des Otello mit Joel Montero konnte leider den Erwartungen an diese Rolle nicht gerecht werden. Schon beim esultate, einem zugegebenermaßen höchst fordernden Auftrittsgesang, war Montero hörbar am Anschlag. Den hohen Passagen fehlt es an Glanz und Kraft, den mittleren zuweilen an stimmlicher Festigkeit. Schauspielerisch war da zudem zu viel (italienische) Einheitsgestik zu beobachten. Im Liebesduett des ersten Akts sang und schaute er glatt an Desdemona vorbei. Aber immerhin konnte er mit der zunehmend sich cholerisch äußernden Eifersucht in etlichen Ausbrüchen punkten. Dem Jago des Gastbaritons Enrico Marrucci gelang die stimmliche Darstellung des Fieslings weniger durch die Schwärze seiner Stimme als durch sein Darstellungsvermögen: eine eher schmächtige Figur als trockener, unangenehmer Schleicher, teuflisch omnipräsent. Dazu eine unsympathisch wirkende kalte Schärfe seines ansonsten kräftigen, wendigen, geschmeidigen und bestens textverständlichen Baritons. Arturo Martín überzeugte mit hellem, kräftigem, schmelzigem, aber etwas eindimensionalen Tenor als schwächlich gezeichneter Cassio. (Dessen eine Epaulette im Zweikampf mit Montero schon abgerissen wurde, ehe e ganz degradiert wurde.) Erica Brookhyser als Emilia wieder einmal in Bestform mit ihrem warmen, runden Mezzo. Dem Lodovico des Kyung-Il Ko fehlten stimmlich Kraft und Glanz des herzoglichen Gesandten. Mehr als solide die bewährten Thomas Mehnert und Peter Koppelmann in den kleinen Rollen von Montano und Rodrigo.
Susanne Serfling (Desdemona), Joel Montero (Otello)
Das Glanzlicht des Abends aber setzte Susanne Serfling als Desdemona. Zeigte sie in den beiden ersten Akten, welche Fortschritte sie in gut dosierter Kraft und Ausdrucksvielfalt als Jugendlich-Dramatische macht (untadelige weiche Intonation, große leuchtende Aufschwünge), verzauberte sie ihr Publikum vollends in den lyrischen Passagen des Weide-Lieds und des Ave Maria. Ihr glockenreiner Sopran mit schlanken, fokussierten Höhen, ihre schön ausnuancierten Farbgebungen vom feinen Schimmern bis zur anrührenden Existenzfrage und ihre verinnerlichte Expressivität vermittelten den bleibenden, nachhaltigen Eindruck des Abends, den sie damit auch für solche Zuschauer rettete, die sich mehr Pfeffer und Salz in der Inszenierung gewünscht hätten, die alle moderneren Elemente von Otellos Rezeptionsgeschichte konsequent außer Acht lässt und erst im zweiten Teil an Eindrücklichkeit und Tiefe gewinnt.
Das Publikum im ausverkauften Haus feierte natürlich zu Recht vor allem die Darstellerin der Desdemona, begeisterte sich auch fürs Orchester und die Dirigentin, spendete auch allen anderen Mitwirkenden intensiven lang anhaltenden Beifall und applaudierte dem Regieteam. Vom 21.03. bis 03.07. gibt es noch acht Vorstellungen dieser Produktion.
Manfred Langer, 17.03.14 Fotos: Barbara Aumüller