Premiere am 22. Januar 2022
Überdrehte Klamotte
Germán Olvera/Kiandra Howarth/andere Susanna
Die Neuinszenierung von Halévys „Jüdin“ zeigte 2019 überwältigende Opulenz, die jetzt in Mozarts Geniestreich von Lydia Steier mit Momme Hinrichs (Bühne, Video) und dem Kostümbildner Alfred Mayerhofer nicht erreicht wurde. Diesmal beschränkte das damals so erfolgreiche Team den äußerlichen Prunk auf prächtige, fantasievolle Kostüme und Perücken der ausgehenden Barockzeit. Das praktikable Bühnenbild ist dagegen eher schlicht und gefällt dadurch, dass sich die beweglichen Wände der verschiedenen Zimmer des gräflichen Schlosses leicht mal nach rechts und mal nach links verschieben und sich durch Einengen oder Vergrößern der jeweiligen emotionalen Situation anpassen lassen. Das dem „tollen Tag“ sowieso schon innewohnende, hohe Tempo wird dadurch noch erheblich gesteigert. Nicht gefällt die Manie, zu jeder Zeit teilweise völlig überdrehte Aktionen hinzuzufügen, was besonders in den einzelnen Arien dazu führt, dass man vom Inhalt stark abgelenkt wird, wenn z.B. um Figaro bei „Se vuol ballare“ und später bei „Aprite un po‘ quegl’occhi“ weitere Bedienstete um ihn herum wieseln. Auch die Gräfin ist betroffen, die wegen Depressionen den ganzen 2. Akt über ans Bett gefesselt ist und während ihrer traurigen Arie „Porgi amor…“ von zwei Betschwestern (in Wahrheit verkleidete Männer) „betreut“ wird. Überhaupt gleitet der 2. Akt endgültig in die Klamotte ab, wenn ein Sauerstoffgerät für die um Atem ringende Gräfin (Covid?) bemüht wird oder das bewegliche Bett während Cherubinos „Voi che sapete“ mehrmals im Kreis gedreht wird. Auf weitere Beispiele der vielen überdrehten, teilweise wohl satirisch gemeinten Aktionen soll hier verzichtet werden.
Andere Susanna/Kiandra Howarth/Nina van Essen
Im Ganzen ist die Sicht der amerikanischen Regisseurin auf die bekannte Geschichte zumindest gewöhnungsbedürftig: Die Oper beginnt in Hannover mit dem Schlussbild und der großen Verzeihungsgeste des Grafen Almaviva. Während der erst jetzt erklingenden Ouvertüre tritt Susanna aus dem Ensemble heraus und blickt zurück, wie es zu dem angeblich harmonischen Schluss gekommen ist. Im Prinzip ist das nichts Neues, weil bereits bei da Ponte und Mozart Susanna stärker als Figaro im Mittelpunkt des Geschehens steht. Hier ist sie allgegenwärtig, auch wenn sie gerade nicht unmittelbar am Geschehen beteiligt ist. Dazu kommt, dass sie sich ernsthaft in den Grafen verliebt, wofür es überhaupt keinen Anhalt in der Vorlage gibt. Dass sie für den offenbar alle weiblichen Bediensteten im Schloss (mehrere sind schwanger) „vernaschenden“ Grafen echte Gefühle entwickelt, ist mehr als unwahrscheinlich. Aber sie zerreißt den ihr von der Gräfin diktierten Brief, ersetzt ihn durch einen eigenen und erscheint im Schlussbild – wie der Graf – zunächst mit einem Koffer. All dies entspricht nicht dem Libretto, vor allem auch nicht Mozarts Musik. Denn in der berühmten „Rosen-Arie“ freut sich Susanna auf Figaro und nicht auf den Grafen!
Kiandra Howarth/Germán Olvera
Insgesamt erfreulich war die musikalische Verwirklichung in der besuchten Vorstellung: Dem temperamentvollen, aber stets präzisen Dirigat von Hannovers 2. Kapellmeister Giulio Cilona folgte das gut disponierte Staatsorchester bis auf einige Anlaufschwierigkeiten in der spritzigen Ouvertüre diszipliniert. Die vor allem in den Ensembleszenen und den Akt-Finals wahnwitzigen Tempovorstellungen passten zu den rasanten Abläufen auf der Bühne, wenn es auch mehrfach zu Wacklern führte. Beeindruckend spielfreudig war das gesamte Ensemble, das mit den Choristen und Statisten den Vorstellungen des Regieteams mit durchweg wirbligem Auftreten folgte, einschließlich mancher Körperpositionen, die nicht von sich aus gerade zum Singen animierten.
Susanna war Nikki Treurniet, die durch glaubhaftes Spiel und klares, durchweg intonationsreines Singen gefiel; trotz allen Trubels um sie herum gelang ihr die schön auf Linie gestaltete „Rosen-Arie“ anrührend. Ihr Figaro, der deutlich zu machen wusste, dass es ihm in der vorrevolutionären Zeit nicht nur um seine Braut, sondern auch um Angriffe gegen den Adelsstand ging, war mit kernigem, beweglichem Bass Richard Walshe. Darstellerisch und stimmlich besonders ausdrucksstark zeigte sich als Gräfin Almaviva Kiandra Howarth, die mit ihrem in allen Lagen abgerundeten Sopran in ihren beiden Arien geradezu dramatisch auftrumpfte. Ähnliches kann man zu Germán Olvera sagen, der den Grafen als eitlen Macho gab, wozu sein kräftiger Bassbariton bestens passte.
Richard Walshe/Kiandra Howarth/andere Susanna
Als ausgesprochen munterer Cherubino trat die in Hannover inzwischen beliebte Sängerin Nina van Essen auf, die mit ihrem hellen, kräftigen Mezzo deutlich machte, dass ihr durchaus dramatischere Aufgaben zuzutrauen sind. Mit charaktervollem Mezzo bewährte sich als Marcellina Monika Walerowicz, während Daniel Eggert stimmstark Dr. Bartolo gab. Philipp Kapeller zeichnete klarstimmig Basilio als selbstverliebten, schwulen Musiklehrer; aus dem Opernstudio gefielen als (schwangere) Barbarina Petra Radulovic aus Montenegro und der Ire Peter O’Reilly als Don Curzio. Mit dröhnendem Bass war Markus Suihkonen der Gärtner Antonio. Seine wenigen Aufgaben erfüllte der Staatsopernchor (Lorenzo Da Rio) klangausgewogen.
Das Publikum war durchweg begeistert und bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit starkem Beifall.
Fotos: © Sandra Then
Gerhard Eckels 30. Januar 2022
Weitere Vorstellungen: 5.,16.,18.,23,.26.2.2022 u.a.