Premiere am 17.06.2022
Regie und Inszenierung: Achim Freyer
Diese „Zauberflöte“, so viel sei schon vorweggenommen, ist eine wahrhaft prall gefüllte Wundertüte voller Überraschungen. Schon bevor sich der rote Vorhang öffnet und die Ouvertüre an Fahrt aufnimmt, lugen die ersten Gestalten hervor, schneiden Grimassen und deuten mit ihren Faxen an: „Nehmt alles nicht so ernst, Schalk und Witz kitzeln euch gerade dann, wenn ihr es nicht erwartet.“ Herrlich verrückte und ausgefallene Kostüme, eine Welt aus faszinierenden Farben und Licht, die Mozarts Musik Konkurrenz macht, magische Figuren, mal echt, mal aus Plüsch oder Pappe, und eine perfekte Besetzung bezaubern und begeistern. Selbst wenn man Achim Freyers Zauberflöte fünfmal sieht und hört, wird man nicht genügend Zeit, Augen, Ohren und Geist haben, diese Vielzahl an kuriosen Details überhaupt zu entdecken oder ihren Sinn zu hinterfragen. Und das muss man auch nicht.
Die Musik ist keinesfalls Basis. Sie spielt ihre eigene Rolle und steht oft im Gegensatz zur Handlung. Sie baut Spannung auf, schlägt mit Wucht zu, besänftigt, deutet Entwicklungen an, schmeichelt oder verstört. Harish Shankar und die Meininger Hofkapelle sind einfach unvergleichlich gut. Hochvirtuose Arien mit abenteuerlichen Koloraturen neben Strophenliedern und Chorälen bilden den Spagat zwischen Oper und volkstümlichem Singspiel. Ausnahmslos alle Sängerinnen und Sänger identifizieren sich mit ihren Rollen und verkörpern sie mit großartigem Spiel und Gesang. Tamino steckt in einer riesigen, plumpen schwarzweißen Hose, und hat recht wenig von einem Prinzen. Auch Pamina wirkt in einem blauen Rock mit weißer Bluse schlicht und zierlich und nicht wie eine Königstochter. Ganz anders Papageno. Was versteckt sich in der Aufgeblasenheit seiner überdimensionalen grünen Latzhose und was bedeutet seine Schildkappe mit gewaltigem rotem Entenschnabel? Großmaul, Kleingeist oder ist er einfach einer, der aus dem Bauch heraus handelt und lebt mit ganz menschlichen Bedürfnissen? Nicht zufällig trägt später Papagena ein ähnliches Outfit. Auf den ersten Blick edel und eindrucksvoll erscheint die Königin der Nacht im blauen Gewand, unter dem sich aber ein teuflisch rotes Catsuit versteckt. Lange Krallen symbolisieren, wozu sie fähig sein kann. Die drei Damen in ihrem Umfeld agieren wie Feen mit kunstvollen Frisuren in blauen Samtgewändern und die drei Knaben stecken in bunten Pumphosen, jede anders. Sarastro wirkt in seinem gelben Gewand und Strahlenkranz wie ein Gott, dessen Größe durch Plateauschuhe noch gewinnt. Ihm huldigen, ganz in hellen Anzügen mit sonnengelben Frisuren und Sonnenbrillen, seine Anhänger im Sonnentempel. Auch der Sprecher ist eine respekteinflößende Gestalt im langen Talar mit eindrucksvollem Kopfputz. Monostatos, der Oberaufseher, darf als Schwarzer in tiefrotem orientalischem Tuch auftreten und sein Gesicht weist Zebrastreifen auf. Warum wohl?
Diese Inszenierung gibt Gas, verkommt aber nicht zur Revue. Denn der dreidimensionale Bühnenraum bleibt konstant: drei riesige aufgemalte Türen in warmen Rot-, Pink- und Ockertönen, vor und hinter denen sich alles abspielt. Keine unnötigen Accessoires lenken ab und so ruht der Blick stets auf den Akteuren. Auch deren Kostüme wechseln nicht, mit Ausnahme des Chors.
Achim Freyer ist ein Magier, der mit Farben, Licht, märchenhaften und allegorischen Elementen zaubert, den hyperpräsenten Figuren Leben einhaucht und sie beleuchtet. Aber bevor sich der Zuschauer emotional ansprechen lassen und binden kann, bricht die Momentaufnahme schon wieder ab. Ähnlich wie in Brechts „Epischem Theater“ bleibt er damit Beobachter und darf selbst beurteilen, was er sieht. Freyer nimmt seiner „Zauberflöte“ die Bedeutungsschwere durch ein feinsinniges Gleichgewicht der düsteren und hellen Ereignisse. Mit Humor, Ulk und viel Komik verlieren Bedrohungen, Leid und Ängste ihren Schrecken. Auch werden keine Personen in Schubladen gepresst. Hier gibt es nicht die Guten oder die Bösen, nicht die Idealtypen. Selbst Sarastro hat am Ende Flecken auf seiner Weste und seine Krone ist um einen Zacken ärmer. Es menschelt und keiner richtet sich in seiner Lebenseinstellung ein. Alle sind auf dem Weg und auf der Suche. Die Älteren scheinen zu wissen, was zählt. Sie legen den Jüngeren Zwänge und Prüfungen auf, die sie mutig übernehmen, aber mit einem Ziel, das deren Vorstellung von Leben dann doch nicht entspricht und sie verschwinden.
Ganz wunderbare Gags und Ideen verleihen dem Stück einen besonderen Liebreiz, wenn bunte Vögel an Schnüren auf die Bühne purzeln oder Sarastro von zwei riesigen Löwen begleitet wird, deren Gesichter so eindrucksvoll und bedrohlich wirken, aber dann ihre roten Zungen rausstrecken und sabbern. Phantasievolle Zaubertiere erscheinen und ein Spielzeugflugzeug überbringt Nachrichten. Am Ende lugt Papagenos Vogelschwänzlein noch aus der Hose, denn er will ganz viele Kinder und Papagena liefert: Fünf langbeinige Stoffküken darf er aus ihrem Hosenlatz zu Tage fördern.
Vielleicht kringeln sich Mozart und Schikaneder vor Lachen, wenn sie vom Himmel auf die vielen Inszenierungen samt schlauer Interpretationen blicken, wo sie sich doch kaum etwas von dem dabei gedacht hatten, sondern sich nur mit dem Wiener Publikum einen großen Spaß erlaubten. Aber Achim Freyers Meininger Version dürften sie Respekt zollen, weil er ihr Original weiter gedacht hat und die Wundertüte ist längst noch nicht leer.
Inge Kutsche
Fotos: Christina Iberl