Die Einladung zur Pressekonferenz zur Spielplanpräsentation 2022/23 an einer der weltgrößten Sprungschanzenanlage im legendären Wintersportzentrum Oberhof gibt schon im Vorfeld Rätsel auf. Warum gerade dort? Ja, das Staatstheater Meiningen will nicht nur hoch, sondern auch weiter hinaus, raus aus der Komfortzone traditioneller Spielstätten, rein in die Thüringer Kulturlandschaft. Und so kraxelten Medienvertreter, Landrätin Peggy Greiser, Staatssekretärin Tina Beer und Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder tapfer die steile Treppe neben der imposanten Riesenschanze hoch, um im stahlblauen Ufo-Turm der Kampfrichter auf ein hochmotiviertes Theaterteam zu treffen. In den 100 Minuten, in denen Intendant Jens Neundorff von Enzberg, Schauspieldirektor Frank Behnke, Orchesterdirektor Alexander John und Gabriela Gillert, Leitung „Junges Theater“ ihre Projekte und Pläne vorstellen, wird deutlich, wie außergewöhnlich und charismatisch Meiningen tickt. Dass Staatskanzlei, Landkreis und Stadt stets und gerade in Krisenzeiten jedwede Unterstützung bieten, ist wohl einzigartig.
Mit Erich Wolfgang Korngolds Oper „DIE TOTE STADT“ wird die Saison eröffnet und man darf gespannt sein, wie Regisseur Jochen Biganzoli dieses Psychodrama anpackt. Dass Mario Venzago die musikalische Leitung übernimmt, ist ein Glücksfall. Auch Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla“ weckt Neugier, nachdem bereits die Premiere bei den Bregenzer Festspielen unter der Regie von Brigitte Fassbaender ein Erfolg war. Spannend dürfte auch die komplette szenische Uraufführung von Georges Bizets Grand Opéra „IVAN IV“ werden. Hinrich Horstkotte entwirft Bühnenbild, Kostüme und führt Regie!! Frank Wildhorns Musical „Der Graf von Monte Christo“ nach der populären literarischen Vorlage von Alexandre Dumas verspricht, interessant zu werden. Schon im letzten Jahr erlebte man mit „Amadigi di Gaula“, dass man nicht nach Halle fahren muss, um Barock zu erleben. Und nun kommt Georg Friedrich Händels Oratorium „Messias“ als szenische Aufführung mit sehr zeitgemäßen Inhalten. Weil alte religiöse Muster und Glaubensgemeinschaften verschwinden, wird Regisseur Johannes Pölzgutter anderen Werten wie Nächstenliebe in unserer Gesellschaft nachspüren. Eine Frau, Verena Stoiber, inszeniert die Oper „Salome“ von Richard Strauss, eine tragische Figur, die ihren Kopf durchsetzt und ihn verliert. Haifisch- und Raubtierkapitalismus sind keineswegs ausgerottet und auch eine gerechtere Gesellschaft ist immer noch Utopie, deshalb ist Brechts „Dreigroschenoper“ nach wie vor aktuell. Leo Goldberg nimmt an einem Chansonabend in „Aggro Alan“ den Feminismus aufs Korn und Frauenhasser kommen auf ihre Kosten. Das Ballett-Ensemble aus Eisenach präsentiert außerdem den „Nussknacker“, „Giselle“ und eine Interpretation der „Vier Jahreszeiten“. Wer um Richard Wagner bisher einen Bogen machte, könnte es mit „Der Ring an einem Abend“ versuchen. Die Textfassung von Loriot ist göttlich. Authentisch wird es auf der Wartburg in Eisenach. Ansgar Haag inszeniert dort am Originalschauplatz den „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“.
Doch nun zu des Rätsels Auflösung, warum wir hier in der Lotto Thüringen Schanzenanlage im Kanzlersgrund tagen. Ich weiß, dass mich Skisprung-, Biathlon- und Rennrodelfreaks glühend beneiden. Aber nein, es gab keine Freikarten für die anstehenden Weltmeisterschaften 2023, hingegen die Einladung zu einem gigantischen Spektakel, bei dem Sport und Kultur gemeinsam auftreten. Wenn am 30. Juni und am 1. Juli abends „Die Schanze rockt“, treffen beide Welten aufeinander. Mehr als 10 000 Menschen können erleben, wie die Meininger Hofkapelle mit Popstars musiziert, wie DJs und Lasershows für Partystimmung sorgen, wie Klassik und Rock ein viel breiteres Publikum erreichen und begeistern können, das bisher nur oder vielleicht noch nie in einem Theater saß. Und da wären wir wieder bei diesem charismatischen Fluidum, das Theatervolk, Politiker und Sporteventmanager beseelt, Neues auszuprobieren, Traditionelles weiterzuführen und Hemmschwellen abzubauen. Ideen dazu gibt es genug.
Inge Kutsche 23.3.22
Fotos: Inge Kutsche