Wiesbaden: „Tristan und Isolde“

Aufführung am 13.11.2021 (Premiere am 7.11.2021)

Musikalisch großartig und interpretatorisch interessant!

Das Staatstheater Wiesbaden zeigte die erste Reprise der Neuinszenierung des Hausherrn Uwe Eric Laufenberg von „Tristan und Isolde“ vor einem nur schütter gefüllten Haus – wohl Ausdruck der erneuten Corona-bedingten Auflagen für Theater- und ähnliche Veranstaltungen einerseits und der Angst großer Teile des Publikums, bei den gegenwärtigen Bedingungen hoher Inzidenzen unter Leute zu gehen. Denn an dieser Inszenierung des „Tristan“ und vor allem an der wahrhaft großartigen musikalischen Gestaltung durch Michael Güttler am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden konnte es nicht liegen. Das hatte man schon in den Premieren-Kritiken lesen können. Nach der bedenklichen Duisburg-Erfahrung am 31. Oktober war es ein Genuss, ein herrlich zur Steigerung gebrachtes „Tristan“-Vorspiel von Beginn seiner Komposition an hören zu dürfen, und drei Viertel davon sogar noch vor geschlossenem Vorhang! Es ist unglaublich, was es zur Einstimmung in das Werk ausmacht, wenn dann zu den letzten Takten der Vorhang hochgeht. Rolf Glittenberg, man kennt seine Ästhetik auch bei Wagner, schuf eine Bühne mit nur wenigen, aber dramaturgisch sinnhaften Elementen. Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer glänzten wie immer mit fantasievoller und rollenbezogener Eleganz.

Andreas Frank schafft dazu einen Lichtraum, der meist das tiefe „Tristan“-Blau thematisiert und ansonsten manchmal auf grünliche Töne und im Schluss-Aufzug eher auf helle setzt. Generell wird große visuelle Ruhe geschaffen. Die Videos von Gérard Naziri befinden sich in ihrer nur schemenhaften Andeutung gewisser Situationen, Objekte und Assoziationen in beachtlichem Einklang mit der Lichtregie. Zunächst glaubt man Schiffselemente und Wrackteile wahrzunehmen. Am Ende des 1. Aufzugs ist andeutungsweise gar ein auf Grund liegendes Schlachtschiff zu erkennen, wohl Hinweis auf die bald folgenden tödlichen Auseinandersetzungen. Wenn sie auf diese Weise zur Unterstützung optischer Wahrnehmungen dezent assoziativ beitragen, können Videos gerade auch im Einklang mit der Wagnerschen Musik sehr große Effekte haben. Weniger ist mehr, scheint auch hier zu gelten.

Im zweiten Aufzug wird das Bild von einigen zeitweise übertrieben agierenden Tänzer-Pärchen bestimmt, die künstlerisch gestylt sind und sich auch so bewegen, ja manchmal wie altgriechische Marmorstatuen wirken. Sie sollen mit ihren verspielten erotischen Aktionen unter und auf großen Tüchern wohl die Atmosphäre der kurzen Liebesnacht von Tristan und Isolde in all ihren möglichen Facetten metaphorisch ausleuchten. In der Tat wird es einmal so dunkel, das auch das Liebespaar nicht mehr zu erkennen ist. Herrlich dominieren dann der Brangäne-Ruf und das Orchester! Insgesamt ist die Personenführung sehr gut.

Im dritten Aufzug gibt es einige Überraschungen, die aber in einem Thema liegen, welches den Regisseur und seinen Dramaturgen Wolfgang Behrens besonders interessiert: Und zwar, dass die vier „Augenblicke“ zwischen Tristan und Isolde immer unter prekären Bedingungen stattgefunden haben bzw. stattfinden, bedroht sind, oder von vorneherein verschoben. Der erste fand ja vor der eigentlichen Handlung statt und wird von Isolde Brangäne gegenüber mit „Er sah mir in die Augen…“ referiert. Es war eine widrige Situation, denn Isolde erkannte in dem Moment, dass Tristan ihren Verlobten Morold im Kampf getötet hatte. Im 1. Aufzug schreibt Wagner beim gemeinsamen Genuss des Liebestrankes „Beide blicken sich in höchster Aufregung unverwandt in die Augen“, wobei die Gemeinsamkeit fast fehlschlägt. Denn Tristan trinkt vor Isolde und scheint ihr kaum etwas übrig zu lassen. Eine „Ungeschicklichkeit“, wie Behrens völlig zu Recht schreibt, hätte fast das vorzeitige Scheitern ihrer Liebe bedeuten können! Auch dieser „Augenblick“ ist jedenfalls von kurzer Dauer und prekär, denn schon stellt sich König Marke mit seinem Gefolge ein. Dass es dem Regieteam vor allem auf den „Augenblick“ ankommt, zeigt es auch durch eine winzige Schale für den Liebestank.

Im 2. Aufzug ist Tristans und Isoldes „Augenblick auf eine Länge gedehnt, die dem Wort ‚Augenblick‘ Hohn zu sprechen scheint“, meint Behrens wiederum plausibel, denn Wagner operiert hier mit „himmlischen Längen“, um ekstatische Zustände – wenn auch anderen Charakters – zu strecken. Durch die Bewusstheit der Theorie von Tag- und Nachtwelt findet das Paar wieder zur Welt- und Selbstvergessenheit. Somit sind Tristan und Isolde erwachsener geworden. Sie reflektieren mehr als bei den beiden ersten „Augenblicken“ in der Vorgeschichte und im 1. Aufzug.

Im 3. Aufzug ist die Erwartung eines gemeinsamen und langen „Augenblickes“ wieder prekär. Denn Tristan stirbt zuerst, kann bei seinem finalen „Isolde“ nur noch einen letzten kurzen Blick auf die zu spät Gekommene werfen. Sie sterben also getrennt, Tristan in seinen Fieberphantasien, Isolde im darauf folgenden Liebestod. Es gibt, de facto, nicht die so ersehnte Gemeinsamkeit im Tode, die „höchste Lust“, von der Isolde am Schluss singt. All diese Überlegungen von Laufenberg und Behrens scheinen mir für eine differenzierte, ja vielleicht gar neue Sicht auf das Oeuvre „Tristan und Isolde“ äußerst interessant und sinnhaft. Nur, wie sie ihren Wunsch nach einer tatsächlichen Erfüllung des letzten und damit wohl ewigen „Augenblickes“, also der „höchsten Lust“ eines gemeinsamen Übergangs in den Liebestod szenisch darstellen, erscheint mir dramaturgisch nicht überzeugend und in dieser Form auch gar nicht erforderlich. Und es ist im Sinne Wagners auch nicht richtig. Nachvollziehbar, ja sogar eindrucksvoll ist ja noch, dass der gesamte Hofstaat Tristans in Kareol in schwarzer Trauerkleidung entsetzt dessen Leiden sieht. Dass sich dann aber alle angesichts des zu erwartenden Endes – der schwarze Sarg ist schon da – eine/r nach dem/r anderen gewissermaßen als letzten Treuebeweis in ein offenes Grab stürzt, wirkt schon recht bizarr. Sie hätten doch mit gesenkten Köpfen abgehen können. Dass dann aber der in einem ohnehin ästhetisch überhaupt nicht zur eher mythisch konzipierten Regie in einem profanen Stationsbett liegende Tristan sich in der Ekstase bis auf den Verband entkleidet und ebenfalls in das Grab steigt und später ein nackter Mann aus diesem hervorkommt und sich tot in das Bett legt, wirkt dezent gesagt, allzu überraschend und verstörend. Im Gerangel des Kampfes am Ende wird dieser Mann – für die Zuseher nicht sichtbar – schnell gegen den „echten“ Tristan ausgetauscht, der dann zusammen mit Isolde eben doch noch den einen letzten „Augenblick“ genießen kann, der nicht prekär oder abgeschnitten, sondern ewig ist, den gemeinsamen Übergang in den Liebestod mit „höchster Lust“. Das hätte man doch viel einfacher haben können, wie es einst in Nürnberg zu sehen war. Der beim Anblick Isoldes verstorbene Tristan erwacht bei ihrem Liebestod – und eben durch dessen Intensität – zu einem transzendierten neuen Leben, das beide den gemeinsamen Übergang ermöglicht. Außerdem hat er, anders als nun in Wiesbaden, eben doch noch einen letzten kurzen „Augenblick“ mit Isolde gehabt… Das konnte also nicht überzeugen.

Marco Jentsch singt einen edel wirkenden Tristan mit einem schlanken lyrisch dramatischen Tenor. Er wird sicher ein guter Parsifal sein, und weitere Optionen auch bei Wagner deuten sich an. Barbara Havemann kommt als Isolde am besten mit den dramatischeren Tönen zur Recht, auf die sie sich mehr als man sollte zu konzentrieren scheint. Denn ihre Mittellage hat nicht die Fülle und Geschmeidigkeit, die man bei einer Isolde gern hören möchte. So stellt sich keine runde und klanglich ausgewogene vokale Leistung ein. Darstellerisch macht sie ihre Sache jedoch ausgezeichnet, bei etwas begrenzter Mimik. Young Doo Park ist ein ganz vorzüglicher Körnig Marke mit profundem und technisch bestens geführtem Bass sowie einer Lust, auch den oft zu passiven Marke-Monolog einmal schauspielerisch zu gestalten. Sein langer Monolog wird somit auch theatralisch zu einem Ereignis. Michael Kupfer-Radecky sprang als immer wieder bewährter Kurwenal mit kraftvollem Bariton und guter Aktion ein. Diese Rolle scheint ihm auf den Leib geschrieben. Khatuna Mikaberidze ist eine Brangäne mir sehr klangvollem und schön timbriertem, bisweilen fast dramatischem Mezzo sowie einer rollenentsprechenden Darstellung, wie sie hier relativ begrenzt verlangt wird. Julian Habermann singt den jungen Seemann mit einem guten Tenor aus dem Off. Erik Biegel ist mit seinem Sprechgesang ein sehr aktiver Hirt in einem viel zu großen, aber deshalb interessanten Gewand. Andreas Karasiak singt dem Melot mit einer etwas zu engen Stimme. Yoontaek Rhim absolviert die zwei Zeilen des Steuermanns zuverlässig.

Das beste von allem war jedoch Michael Güttler mit dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden. In einem Haus, das nicht nur ein prunkvolles Foyer aus „längst vergang‘nen Zeiten“ aufweist und einen daran denken lässt, was alles noch da sein könnte, wenn die Jahre 1944/45 anders gelaufen wären, hat das Wiesbadener Staatstheater offenbar auch eine ausgezeichnete Akustik. Aber auch bei der muss man gut musizieren. Güttler bewies durch ein ungemein nuancenreiches Dirigat und im Nachfühlen emotionaler Momente auf der Bühne seine große Kenntnis von Wagners opus summum. So war es eine Freunde, diesem Klangerlebnis beiwohnen zu können. Ganz nebenbei sei gesagt, dass es durchaus auch wunderbar sein kann, wenn das Englischhorn wie in Duisburg nicht die ganze Zeit auf der Bühne ist, sondern im Graben gespielt wird. Der von Albert Horne einstudierte Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden bewies ebenfalls seine große Kompetenz. Ein weitgehend szenisch, aber vor allem musikalisch erfreulicher Abend – mitten im prekären neuen Berliner „Ring“ an der DOB!

Fotos: Monika und Karl Forster

Klaus Billand/4.12.2021

www.klaus-billand.com