Bei diesem strahlenden Sonnen-Sommertag unter blauem Himmel war das Konzertpublikum weniger motiviert als sonst schon mal. Zu Beginn gab es von dem estländischen Komponisten Arvo Pärt „Fratres“. Der gehört zu einer Stilrichtung zeitgenössischer Musik, die als Neue Einfachheit bezeichnet wird. Vertreter dieser neuen Musik sind Manfred Trojahn, Lutz-Werner Hesse u.a.. Pärt wurde in Deutschland einem größeren Publikum mit seiner Berliner Messe bekannt, die er 1990 für den Deutschen Katholikentag komponiert und die der hiesige Laurentius Chor vor zwei Jahren im Petersdom zu Rom aufgeführt hat. Der international vielfach geehrte lebte fast 30 Jahre in Berlin, erhielt und fand seinen eigenen Stil, den er „Tinitinabuli“ (lateinisch Glöckchen) nannte. In „Freires“ meldete sich über leisem Orgelpunkt der tiefen Kontrabässe sich mit hellem Holzböckchen kurz das Schlagwerk, während die Geigen später alle Streicher fast liedhaft ihr Dur- und Moll-Akkorde langsam auf und ab spielten oder musikalisch hin und her schwangen in monoton sich wiederholendem 4er Rhythmus, dem die 2. Taktzeit abhandenkommen ist. Der fast monotone Klang in erhabener Ruhe forderte den Dirigenten eher organisatorisch als gestalterisch, auch wenn der rhythmusarme, reine Streichersatz gelegentlich unterbrochen wird für erneute Einwürfe des Holzböckchens. Der Orchesterklang nimmt an Intensität und Lautstärke zu, um zum Ende hin wieder abzuschwellen. Das Stück endete nach 10 Min im pp. Das Publikum schien ergriffen, brauchte bis zum dann starken Applaus Zeit.

Mit seiner Sinfonie in drei Sätzen, komponiert 1942-45, hat sich Strawinsky „die schwierigen Zeiten mit ihren heftigen und wechselnden Ereignissen, ihrer Verzweiflung und Hoffnung, ihrer unausgesetzte Peinigung…“ von der Seele komponiert, wie im Programmheft zur Uraufführung zu lesen war. Mit marschierenden Akkorden des Orchesters im Fortissimo, rhythmisch kräftigem Klavier von der Seite und starkem Blech von hinten entwickelte sich der zerrissene erste Satz, dessen immer wieder verschobener, kräftig-synkopaler, komplexer Rhythmus durch gegeneinander eingesetzte Taktzeiten zusätzlich eindringliche Unruhe schafft und in seiner Herbheit gelegentlich fast an das Sacre erinnert. Hier waren dirigentische Übersicht und Gestaltung erheblich gefordert und wurde von dem schlanken Dirigenten auch temperamentvoll geliefert. Das Andante des 2. Satzes entsprach eher einem langsamen Walzer, bot wunderbare Soli im Zusammenspiel zwischen Harfe und Flöte oder auch in kurzen Episoden mit solistischem Violinquartett, eine herrliche Cellokantilene, und war ursprünglich als Filmmusik vorgesehen. Heikel schien der schnelle Pizzicato-Abgang vor dem schnellen Fagott Solo. Der letzte Satz mag ein Kriegsthema enthalten, zu welchem der Komponist vielleicht „von im Stechschritt marschierenden Soldaten in den Wochenschauen“ angeregt worden war. Das Publikum jubelte Beifall dem Dirigenten zu, der diesen auf die verschiedenen Solisten des Orchesters umlenkte.
Perry So wurde 1982 in Hongkong geboren, graduierte an der Yale Universität in comparative literature und begann dort mit dem Universitätsorchester das Dirigieren. 2008 gewann er den 5. Internationalen Prokofiev-Dirigentenwettbewerb in St. Petersburg. Inzwischen dirigierte er das San Francisco Symphonie Orchestra, die Nürnberger Symphoniker, die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Koblenz und viele andere Orchester zwischen Neuseeland, China, Südafrika, dem Balkan und den USA. Der Weltläufige ist aktuell Chefdirigent des Orquestra Sinfonica de Navarra, welches 1879 von Pablo de Sarasate gegründet wurde.

Nach der Pause folgte als Hauptwerk des Konzertes die zweite Sinfonie von Robert Schumann, zu der er er im Dezember 1845 den Entwurf geschrieben hat. Da litt er unter Depression, unter Hörstörungen, Vergiftungsangst und Todesfurcht. „In mir paukt und trompetet es seit einigen Tagen sehr. Ich weiß nicht, was daraus werden wird“ schrieb er an Felix Mendelssohn- Bartholdy. Von „gravierenden Hörstörungen, dem beständigen Singen und Brausen im Ohr“ wurde er beim Komponieren der Sinfonie und während seiner Badekur auf Norderney im Sommer 1846 befreit. Die Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung nach der mit drohenden ff- Orchesterschlägen (Aufsteigender Quintsprung) die Entwicklung des 1. Satzes ihren Lauf nimmt. Immer wieder wird Bezug genommen auf ein aufsteigendes 4ton-Motiv, welches gegenläufig absteigend beantwortet wird. Mit etlichen orchestralen Schlägen geht der 1.; Satz zu Ende. Der 2. Satz wurde hier sehr schnell gespielt, im Zwischenteil mit schnellen Triolen weiter unruhig gesteigert, ein wahrer Sommernachtstraum. Mit elegantem exaktem Dirigat konnte der Dirigent hier alle seine Qualitäten zeigen. Das Adagio espressivo schlug mit dem Oboen Solo, später den Hörnerrufen, singender Klarinette und Querflöte das Publikum sogleich in Bann. Da störten einzelne, kleinste Unsauberkeiten der Hörner bei ihren Oktavsprüngen fast nicht. Nach Ritardando über großem Orgelpunkt und Generalpause ging die Sinfonie mit mächtigen Paukenschlägen zu Ende. Frenetischer Applaus und Bravi gab es für diese temperamentvolle Aufführung und Blumen für den agilen Dirigenten, der beim Publikum einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat.
Johannes Vesper, 12. Mail 2025
Dank an unsere Freunde von den MUSENBLÄTTERn (Wuppertal)
Arvo Pärt (*1935) Fratres
Igor Strawinsky (1882-1971): Sinfonie in drei Sätzen
Robert Schumann (1810-1856): Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61
9. Konzert des
Sinfonieorchesters Wuppertal
Historische Stadthalle Wuppertal
11./ 12. Mai 2025
Dirigat: Perry So
Sinfonieorchester Wuppertal