19. und 21. Juli: Helmut-List-Halle
STYRIARTE 2019
Wie erwartet und erhofft: die geschickte Dramaturgie des Festivals mit 55 Einzelvorstellungen in einem Monat machte es auch heuer möglich, dass die Styriarte 2019 mit zwei absoluten Höhepunkten zu Ende ging – und das mit zwei Ensembles, die die Styriarte seit Jahrzehnten künstlerisch entscheidend mitprägen: Der CONCENTUS-MUSICUS-WIEN war schon bei der Gründung des Festivals im Juni 1985 dabei. Jordi Savall ist seit 1993 regelmäßiger Gast und bestreitet seit einigen Jahren traditionell das Schlusskonzert.
Natürlich hat der Concentus Musicus Wien im Laufe seines über 60-jährigen Bestehens die Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach unter Nikolaus Harnoncourt wiederholt aufgeführt und auch auf Tonträger aufgenommen – auf dem Produktionsfoto aus dem Jahre 1982 sieht man Erich Höbarth, Andrea Bischof und Anita Mitterer, die auch noch 37 Jahre später dabei sind! Und die Erklärungen von Nikolaus Harnoncourt sind auch medial festgehalten. Diesmal vermittelten der Dramaturg der Styriarte Karl Böhmer und der Ensembleleiter Stefan Gottfried allerdings eine völlig neue Sichtweise auf die wohl berühmtesten Konzerte Bachs. Im Programmheft heißt es dazu:
Im heutigen Konzert wagt der Concentus Musicus Wien das Experiment, die sechs Konzerte in den Zusammenhang barocker Herrscherallegorie zu stellen. Götter der Antike thronen über jedem der sechs Werke wie auf den Deckengemälden eines Barockschlosses. Diesen Zusammenhang erklärt Stefan Gottfried vor jedem Konzert in einem kleinen Film.
Mit diesem Kunstgriff gelang es nicht nur, die Aufmerksamkeit und Hörbereitschaft des Publikums wirksam zu steigern, fast konnte man auch meinen, die Konzerte würden tatsächlich im prachtvollen Planetensaal des Schlosses Eggenberg musiziert und nicht in der nüchtern-modernen Konzerthalle, die eigentlich mit ihren 1200 Plätzen für diese subtilen Werke zu groß ist. Jedenfalls gelang mit diesen Filmeinspielungen das, was Intendant Mathis Huber unlängst in einem TV-Interview als ein zentrales Anliegen der Styriarte formuliert hatte: Vermittlung der Kunst an die Welt von heute.
Mit dieser Höranleitung erlebte das Publikum den Barockfürsten nacheinander als Jäger und als Krieger, den Musenfürsten und den Hirten seiner Untertanen, den Liebhaber mit starken Lenden und den Denker mit dem scharfen Verstand. Dem Concentus gelang eine ausdrucksstarke, farbige und ungemein abwechslungsreiche Interpretation mit großartigen Solisten – Konzertmeister Erich Höbarth auf dem Violino piccolo, die prächtig auftrumpfenden Hornisten Athanasios Ioannu und Dániel Pálkövi, Sieglinde Größinger auf der sanft-phrasierenden Traversflöte, Gabriele Cassoni mit virtuosem Trompetenklang, Rahel Stoellger und Lydia Graber auf den Blockflöten mit bezaubernden Echo-Effekten, die kräftig artikulierenden Gamben von Pierre Pitzl und Christoph Urbanetz und die melancholischen Oboen, angeführt von Hans Peter Westermann. Sie alle gruppierten sich unter dem als Primus inter pares vom Cembalo aus koordinierenden Stefan Gottfried um das Kernstück des Concentus – um die wunderbare Streichergruppe mit rhythmisch-federndem Violoncello- und Kontrabassfundament. Das war traditionsreiches und gleichzeitig ganz auf der Höhe unserer Zeit stehendes Musizieren auf Originalinstrumenten – großartig!
Die ORF-KLANGWOLKE übertrug dieses Ereignis in die ganze Steiermark, ORF III übertrug österreichweit – hier noch vier Tage nachzusehen und nachzuhören. Und wem das zeitlich zu knapp ist, der kann alles auch noch am 10.August 2019 hier bei 3Sat erleben. Damit ist die weltweite Vermarktung gesichert.
Am Tag nach Brandenburgischen Konzerten beschloss Jordi Savall mit dem von ihm gegründeten Instrumentalensemble Le-Concert-des-Nations die Styriarte 2019 mit A Midsummer Night’s Dream – Bühnenmusiken von Robert Johnson (1583-1633), Matthew Locke (1621-1677) und Henry Purcell (1659 -1695) zu den Dramen von William Shakespeare. Für den Musikliebhaber war es ein besonderer Genuss, zwei weltweit führende Original-Klang-Ensembles im unmittelbaren Vergleich zu erleben – umso mehr als man ja auch noch die letzte szenische Produktion mit Nikolaus Harnoncourt im Bewusstsein hat: Es war dies vor fünf Jahren Purcells Fairy Queen!
War es 2014 ein rein musikalisches Opernspektakel ohne gesprochenen Shakespeare gewesen, so hatte man diesmal den großartigen Schauspieler Johannes Silberschneider gewonnen, der zwischen den Musikstücken kurze Auszüge aus Das Wintermärchen, Macbeth, Der Sturm und Ein Sommernachtstraum las. Das machte Silberschneider wahrhaft virtuos. Ihm gelang es, in den Shakespeare-Texten mit Musik-Bezug – übrigens von Clara und Robert Schumann zusammengestellt!! – immer sofort plastische Bühnenatmosphäre entstehen zu lassen, ohne sich ungebührlich in den Vordergrund zu drängen. Auch die Übergänge von Musik zu Text waren immer kongenial und höchst musikalisch gestaltet.
Le Concert des Nations besteht seit 1989 – und in diesem wunderbaren Ensemble ist es so wie im Concentus Musicus Wien – da gibt es Mitglieder, die praktisch von Beginn an mit Jordi Savall musizieren, wie etwa den spanischen Percussionisten Pedro Estevan oder den argentinischen Konzertmeister Manfredo Kraemer – im Laufe der Jahre sind dann weitere Mitglieder dazugekommen, wie z.B. der italienische Cembalist Luca Guglielmi. Diese erfahrenen Mitglieder zählen seit Jahren zum Kernensemble und nehmen ganz organisch die jungen neuen Mitglieder in das traditionsreiche Musizieren mit. Das Ensemble war das erste Orchester, das hauptsächlich aus Musikern aus romanischen und lateinamerikanischen Ländern (Spanien, Lateinamerika, Frankreich, Italien, Portugal usw.) bestand und auch heute noch besteht. Alle diese Musiker sind herausragende internationale Spezialisten in der Interpretation der Alten Musik. Ihre Herkunft bestimmt natürlich das Klangbild des Ensembles – da erlebt man mediterrane Frische und südliche Musizierfreude. Das tut der frühbarocken englischen Musik gut und der Schwung überträgt sich auf das Publikum, das am Ende die Ausführenden begeistert feiert.
Und wie immer bei Savall gibt es ein von ihm charmant moderiertes Zugaben-Programm. Da wird zwar durch einen von Johannes Silberschneider humorvoll vorgetragenen Auszug aus dem Kaufmann von Venedig zunächst ein Shakespeare-Bezug hergestellt, aber die Bourrée stammt zwar aus der selben Zeit, aber eben aus Frankreich: es ist ein Hochzeitsstück für den französischen König Ludwig XIII – vielfach erprobt als Savall’sches Zugabenstück und natürlich auf youtube hier leicht aufspürbar und für Fans nachhörbar.
Jordi Savall lobt nicht nur das heutige wunderbare Konzert, sondern baut in heiter-gelöster Manier den heuer zu begehenden 30.Geburtstag des Ensembles in seine Moderation ein. Er lädt das Publikum ein, mitzufeiern und beim nächsten Stück auch aktiv mitzuwirken. Hatte er im letzten Styriarte-Konzert vor einer Woche, das Publikum zum Singen gebracht, so werden wir diesmal sozusagen als Percussionskollektiv eingeladen, auf Savalls Zeichen einen bestimmten immer wiederkehrenden Rhythmus zu klatschen. Es geht um eine lebhafte Contredanse aus Les Boréades von Rameau. Das Publikum macht begeistert mit – auch dieses Stück findet sich – natürlich! – mit Jordi Savall hier auf youtube. Wenn ich’s recht im Ohr habe, dann hat das Grazer Publikum disziplinierter „mitmusiziert“ als das Publikum in Vicenza vor sechs Jahren….
Wie auch immer:
Intendant Mathis Huber hat mit berechtigtem Stolz Bilanz gezogen über die Styriarte 2019 mit 92 Prozent Auslastung und mehr als 30.000 Besuchern – siehe dazu hier sein ganz aktuelles Interview.
Und Graz freut sich auf die nächste Styriarte vom 19. Juni bis 19.Juli 2020 unter dem Motto Geschenke der Nacht – und ist natürlich speziell gespannt auf die Beiträge des Concentus Musicus Wien und von Jordi Savall !!
22. 7. 2019, Hermann Becke