Graz: „Krieg und Frieden“

22. Juli 2018, Helmut-List-Halle

Ein musikalisches Geschichtspanorama mit Jordi Savall

Schon vor einigen Jahren hatte Jordi Savall unter dem Titel Krieg und Frieden eine Doppel-CD herausgebracht – damals mit Musik aus der Zeit von 1614 bis 1714. Das neue Programm mit dem selben Titel umfasst die Zeit des Heiligen Römischen Reiches der beiden Habsburgerkaiser Maximilian I. und seines Enkels Kaiser Karl V. – also 1459 bis 1558 – und passte damit ideal zum diesjährigen Generalmotto der Styriarte Felix Austria. In diesem Falle ist es besonders wertvoll, dass das Konzertprogramm online verfügbar ist, weil es eine ausgezeichnete und unbedingt lesenswerte Zusammenschau zwischen der geschichtlichen Entwicklung und der aufgeführten Musik bietet.

Jordi Savall ist seit Jahren jene herausragende Musikerpersönlichkeit unserer Zeit, die es großartig versteht, in ihren Programmen „die Musik zu einem Mittel der Verständigung und des Frieden zwischen unterschiedlichen und manchmal verfeindeten Völkern und Kulturen“ zu machen. Und so wurde der Abend – wie erhofft und erwartet – zu einem abschließenden Höhepunkt der diesjährigen Festspielserie.

Seit Jahrzehnten versteht es Jordi Savall, um sich in seinen Ensembles Persönlichkeiten zu versammeln, die so wie er selbst nicht nur auf höchstem Niveau, sondern auch ohne jegliche sich in den Vordergrund drängende Selbstdarstellung musizieren. Je nach Thema des Konzerts werden die Ensembles neu zusammengestellt – und so überrascht es nicht, dass diesmal zum größten Teil ganz andere Musiker zu erleben waren als knapp drei Wochen davor beim ersten Savall-Konzert der Styriarte (siehe dazu bei Interesse unten den Bericht vom 4. Juli). Jeder Einzelne unter ihnen wirkt auch in anderen Zusammenhängen der internationalen Alte-Musik-Szene mit – und jeder Einzelne ist eine individuell geprägte Persönlichkeit. Jordi Savall gelingt es dann immer durch seine bezwingende Persönlichkeit, diese künstlerische Vielfalt zu einem unverwechselbaren Ganzen zu bündeln. Diesmal musizierten die Ensembles in folgender Besetzung – und sie müssen ganz einfach alle genannt werden:

LA CAPELLA REIAL DE CATALUNYA:

Lucía Martín-Cartón, Sopran
Viva Biancaluna Biffi, Mezzosopran
Kristin Mulders, Mezzosopran
Pascal Bertin, Countertenor
David Sagastume, Countertenor
Víctor Sordo, Tenor
Lluís Vilamajó, Tenor
Furio Zanasi, Bariton
Daniele Carnovich, Bass

HESPÈRION XXI:

Jean-Pierre Canihac, Zink
Béatrice Delpierre,Schalmei
Daniel Lassalle, Posaune
Elies Hernandis, Posaune
Joaquim Guerra, Dulzian
Jordi Savall,Diskantviola
Imke David,Tenorviola
Philippe Pierlot, Bassviola
Lorenz Duftschmid, Bassviola
Xavier Díaz-Latorre, Vihuela & Gitarre
Marco Vitale, Orgel
Dimitri Psonis, Perkussion

Leitung: Jordi Savall

Im ersten Programmteil standen Werke des großen holländischen Renaissancemeisters Heinrich Isaac (ca 1450-1517) im Zentrum, der 15 Jahre lang Hofkapellmeister von Maximilian I. war. Ein besonderes Erlebnis war Isaacs großartige (und heikel zu intonierende!) sechsstimmige a-cappella-Motette Virgo prudentissima, in der Jordi Savall von Beginn an die Orgel zur behutsamen Unterstützung der Gesangsstimmen einsetzte. Sehr hilfreich war für das Publikum, dass die gesungenen Texte in deutscher Übersetzung eingeblendet wurden, weil man dadurch sehr gut nachvollziehen konnte, was das politische Anliegen von Maximilian war, der das Stück beim Reichstag von Konstanz aufführen ließ: eine Parallele zwischen der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel und seiner eigenen Erhöhung zum Kaiser.

Ganz anders geartet, aber ebenso großartig und gleichzeitig bedrückend war das sephardische Gebet, zu dem vier Männerstimmen zusammentraten, um der Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahre 1492 zu gedenken. Davor erklang bombastisch-dominant, ja fast grell die Frottola Viva el gran Re Don Fernando, mit der die Rückeroberung der mächtigen Festung Granada von den muslimischen Mauren im Jahre 1492 (nach 770 Jahren!) gefeiert wurde. Da wurden geschichtliche Themen musikalisch lebendig, die uns auch heute noch beschäftigen – die Reconquista, die „Rückeroberung“ Spaniens von den muslimischen Mauren.

Nach der Pause ging es um die Zeit Karls V. mit Musik der spanischen Renaissance-Komponisten Christóbal de Morales, Mateo Flecha, Antonio de Cabézon, aber u. a. auch mit Musik von Adrian Willaert und Josquin Desprez mit dem Lieblingslied Karls V. Mille regretz (kann hier in einer alten Savall-Aufnahme nachgehört werden). Auch in diesem Teil war klug und kunstvoll die politische Geschichte mit entsprechenden Musikbeispielen verknüpft. Mit dem Tod Karls V. und der fünfstimmigen Motette Circumdederunt me gemitus mortis von Christóbal de Morales, die sich nach einem ruhigen Beginn breit ausladend entfaltet, klang das Programm sehr ruhig und besinnlich aus.

Der Jubel des Publikums im ausverkauften Saal war riesig und so gab es zwei Zugaben. Savall meinte, dass ein wichtiges in den Zeitraum des Programms fallendes weltgeschichtliches Ereignis nicht berücksichtigt worden sei: die Entdeckung Amerikas. Also stimmten die Ensembles zunächst eine fröhliche Ciacona aus der Neuen Welt an, bevor dann ein mexikanisches Lied aus dem 17. Jahrhundert den Schlusspunkt setzte – von dieser letzten Zugabe vermittelt das von der styriarte zur Verfügung gestellte Kurzvideo jenen musikantisch-lebhaften Eindruck, der für alle Savall-Konzerte so charakteristisch ist. Die Musizierfreude und Schaffenskraft des bald 77-jährigen Jordi Savall ist ungebrochen. Es ist geradezu unglaublich, wie viele Konzerte er bestreitet – in seinem Terminkalender sind allein bis Ende August 23(!) Konzerte in Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien und Holland mit ganz verschiedenen Programmen verzeichnet! Das Grazer Publikum freut sich jedenfalls schon, wenn Jordi Savall wieder kommt – die Styriarte 2019 findet vom 20. Juni bis 21. Juli 2019 statt.

Hermann Becke, 24. 7. 2018