23. und 25.7.2020 in der Helmut-List-Halle
Kammermusik von Schubert und barocker Glanz
In diesem Bericht fasse ich zwei Konzerte zusammen, die paradigmatisch für die Programmgestaltung der diesjährigen styriarte unter dem Motto Geschenke der Nacht sind: Da gab es einerseits die kammermusikalische Raffinesse mit Schubert und andererseits den barocken Glanz mit Fux, Bach und Händel. Aber der Reihe nach:
Das Programm der ersten von zwei Schubertiaden war Schuberts einzigem Privatkonzert mit ausschließlich eigenen Werke im März 1828 nachempfunden. Damals erklang der 1.Satz des erst posthum im Druck erschienenen Streichquartetts in G, diesmal exzellent interpretiert von Maria Bader-Kubizek, Aki Saulière, Axel Kircher und Rudolf Leopold, wobei – zumindest von meinem Platz aus – Bratsche und Violoncello speziell im 1.Satz dynamisch dominierten. Der krasse Dur-Moll-Wechsel des breit ausladenden ersten Satzes im G-Dur-Quartett, D 887 eröffnete eindrucksvoll diesen Abend. Der 2. Satz mit der melancholischen Liedmelodie des Cellos in moll gelang ganz wunderbar. Das Publikum hielt den Atem an.
Zwischen den Streichquartett-Sätzen erklangen drei Lieder aus dem zitierten Privatkonzert Schuberts und drei Abendlieder. Die seit 10 Jahren an der Wiener Staatsoper wirkende Mezzosopranistin Stephanie Houtzeel war dafür nach Graz zurückgekehrt, wo sie ihre Opernkarriere begonnen hatte. Sie wurde am Hammerflügel stilgerecht, wenn auch ein wenig zurückhaltend von Florian Birsak begleitet. Waren zunächst im wunderbaren Lied Die Sterne noch kleine stimmliche Unausgewogenheiten zu registrieren, hatte sich Houtzeel sehr schnell auf die spezielle akustische Situation des großen Saals in Verbindung mit dem zarten Hammerklavierklang eingestellt. Sie fand in ihren Interpretationen eine ideale Balance zwischen großer Geste (etwa in Fragment aus Aeschylus) und berührender Innerlichkeit in Jägers Abendlied . Man erlebte eine reife und facettenreiche, eine großartige Liedgestalterin. Da musste ich daran denken, dass ich die junge Stephanie Houtzeel erstmals im Schubertjahr 1997 beim 3. Internationalen Wettbewerb Franz Schubert und die Musik des 20.Jahrhunderts in Graz gehört hatte. Sie erreichte damals die 3. und letzte Runde – und so wie ich verstanden damals viele im Publikum die Jury-Entscheidung nicht, warum ihr kein Preis zuerkannt wurde. Nun – Stephanie Houtzeel hat dennoch ihren Weg zu einer bedeutenden Sängerpersönlichkeit geschafft – auch hochrangige Jurys können irren!
Das Abschlussstück des Abends war das berühmte Ständchen Zögernd leise – diesmal allerdings in der Fassung mit Frauenchor, wie es in Schuberts Privatkonzert 1828 tatsächlich erklungen war. Zu Stephanie Houtzeel und Florian Birsak gesellten sich nun die 16 Damen der Camerata Styria – wie schön, erstmals wieder einen Chor im Konzert zu erleben. Man genoss das fein aufeinander abgestimmte Musizieren.
Diesmal gab es wieder ein sehr gelungenes Kurzvorspiel im Foyer das unbedingt Erwähnung verdient. Im Programmheft liest man darüber:
Im September des Jahres 1827 weilte Franz Schubert in Graz und amüsierte sich mit Freunden auf Ausflügen in die Umgebung. Unter anderem ging es hinaus ins Hallerschlössl am Ruckerlberg. Tatsächlich hat sich aus dieser Zeit ein Theaterzettel aus der Hand einer ominösen schönen Witwe erhalten, der auf ein Stück verweist, das dort gespielt wurde. Titel „Der Fußfall im Hallerschlössl, oder: Zwilchen’s mi nit so“, also übersetzt etwa: „Belästigen Sie mich nicht“. Außerdem erfahren wir, welche Rollen im Stück besetzt waren und wer sie spielte – was uns einen schönen Einblick in die Spitznamen des Schubertkreises verschafft: Pachleros und Haren-gos sind die Rechtsanwälte Pachler und Haring, Schilcherl ist der trinkfreudige Anselm Hüttenbrenner, und Schwammerl der kleine, füllige Franz Schubert.
Diese Episode arrangierte Thomas Höft geschickt für eine musikalische Mini-Komödie, in der vier Herren des Arnold-Schönberg-Chors heitere A-Cappella-Quartette des Schubertfreundes Anselm Hüttenbrenner sangen.
Zwei Tage später begann dann der glanzvolle Abschluss der diesjährigen styriarte, die in der Zeit vom 1. bis 26. Juli trotz der Corona-Einschränkungen höchst erfolgreich und vom Publikum begeistert aufgenommen insgesamt 77 (!) einstündige Veranstaltungen auf die Bühne gebracht hatte.
Unter dem Titel Feuerwerksmusik hatten sich das Ensemble Zefiro und das styriarte Festspiel-Orchester geleitet vom Oboisten Alfredo Bernardini zu einem prächtigen Barockprogramm zusammengefunden. An sechs Terminen (jeweils drei pro Tag) erklangen in großer Besetzung Glanzstücke der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Johann Joseph Fux (1701) – Johann Sebastian Bach (1721) – Georg Friedrich Händel (1749)
Es war übrigens wahrlich ein völker- und künstlerverbindendes Projekt, bildeten doch erstmals Musikerinnen und Musiker aus Österreich und aus einem ursprünglichen italienischen Corona-Krisengebiet ein gemeinsames Orchester. Es lohnt sich nicht zuletzt deshalb, das Videogespräch zwischen styriarte-Intendanten Mathis Huber und Alfredo Bernardini nachzuverfolgen.
Die Auszüge aus der Serenata in C von Johann Joseph Fux begannen mit einem feierlichen Solo des ersten Trompeters – virtuos gespielt von Gabriele Cassone. Die Fux-Serenata ist ein abwechslungsreiches und brillantes Stück, in dem zur großen Streicherbesetzung auch immer wieder die Trompeten treten. Alfredo Bernardini hatte es verstanden, um sich großartige Instrumentalisten zu versammeln und diese mit erfahrenen Grazer Musikerinnen und Musikern der Alte-Musik-Szene zu einem idealen großen Barockorchester zusammenzuführen.
Auf die für ein kaiserliches Hochzeitsfest des österreichischen Hofs geschriebene Fux-Serenata folgte ebenso prächtige Hochzeitsmusik von Johann Sebastian Bach: sein Brandenburgisches Konzert Nr. 1, das er für eine fürstliche Hochzeit in Weimar geschrieben hatte. Anstelle der Trompeten bei Fux stehen bei Bach nun die Hörner im Vordergrund – auch sie wurden überzeugend gespielt . Den ganzen Abend hindurch hatte – wie einst auch bei Nikolaus Harnoncourt – immer die Authentizität und das engagiert-mitreissende Musizieren Vorrang vor der Perfektion .
Im Adagio-Satz gab es ein geradezu ideales Zusammenspiel zwischen der Konzertmeisterin Cecilia Bernardini auf dem violino piccolo und ihrem Vater Alfredo Bernardini als Oboisten und Dirigenten.
Zum bombastischern Abschluss des Konzertes vereinigten sich alle Trompeten und Hörner mit dem übrigen großen Orchester zu der Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Händel. Gespielt wurde nicht die Blasorchesterfassung der Uraufführung – damals verlangte Händel dreifaches Blech, 12 Oboen, 8 Fagotte und 3 Pauken, um in einem Londoner Park gebührend das Ende des österreichischen Erbfolgekrieges zu feiern, in dem England mit der österreichischen Kaiserin Maria Theresia verbündet war.
Eigentlich hätten ja alle sechs Aufführungen im Innenhof des barocken Schlosses Eggenberg stattfinden sollen. Allerdings mussten die ersten beiden Aufführungen aus Witterungsgründen in die List-Halle verlegt werden. Mein Bericht bezieht sich auf die erste Aufführung, die im Saal stattfand. Die 3.Aufführung konnte dann tatsächlich im Schlosshof gespielt werden. Der Saal ist natürlich nicht annähernd so stimmungsvoll wie der Schlosshof, aber dafür konnte hier gespielt werden, wo auch die Generalprobe stattgefunden hatte und wo man auch als Publikum alle musikalischen Feinheiten genießen konnte. Die große Einsatzbereitschaft aller Ausführenden (natürlich auch des technischen Teams) kann nicht hoch genug gelobt werden. Man muss sich vergegenwärtigen, dass dieses vor allem für die Bläser sehr fordernde Programm 4x an einem Tag gespielt wurde: am Vormittag in der Generalprobe, um 15 und 18 Uhr im Saal und dann noch die Übersiedlung in den Schlosshof für das Freiluftkonzert um 21 Uhr – eine großartige Leistung aller Beteiligten!
Es war jedenfalls ein großartiger Schlusspunkt eines mutigen Festspiels, das am ersten rechtlich möglichen Termin gestartet war und Corona-bedingt viele Programmanpassungen vornehmen musste. Das stimmt einen optimistisch für das Jahr 2021 – da soll die styriarte vom 25. Juni bis 25.Juli statfinden!
Hermann Becke, 26.7.2020
Fotos: Styriarte, © Nikola Milatovic und Matthias Wagner