Diese nun wiederaufgenommene Produktion von Davide Livermore (Regie), Giò Forma (Bühne), Gianluca Falaschi (Kostüme), Daniel Ezralow (Choreographie), D-Wok (Videos) und Antonio Castro (Licht) hatte die Scala-Saison 2021 eröffnet (siehe „Merker“ Nr. 381 vom Jänner 2022). Marco Monzini betreute die Wiederaufnahme, und mir scheint, dass er den Solisten in Hinsicht auf die szenische Gestaltung das Feld überlassen hat, doch dazu später. Weiterhin besonders störend in dieser ganz auf Technologie setzenden Regie blieb der in der Bühnenmitte zeitweise auftauchende Aufzug, dessen Türen von strammen Liftboys (in der aus Filmen der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts bekannten Montur) geöffnet und geschlossen wurden. Zweimal kam es auch zu lautem Krachen hinter der Bühne, welcher Lärm den Eindruck des Zusammenbruchs eines Teils der Gestelle bewirkte. Eine ziemliche Zumutung für die Sänger, die bewundernswert die Nerven behielten.
Die musikalische Leitung hatte nach seinerzeit Riccardo Chailly diesmal Giampaolo Bisanti inne, der mit dem Orchester des Hauses eine gediegene Leistung bot, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Über jede Kritik erhaben allerdings wieder der von Alberto Malazzi einstudierte Chor der Scala, der neuerlich alle Nuancen zwischen drohender (stimmlicher) Gebärde und der halblauten Klage um das Vaterland, „Patria oppressa“, hören ließ.
Nach drei Vorstellungen mit Luca Salsi, derzeit der Macbeth internationaler Opernhäuser, hatte Amartuvshin Enkhbat übernommen. Wenn meine Info, es handle sich um ein Debüt in dieser Rolle, stimmt, kann ich nur den berühmten Hut ziehen. Gesanglich „saß“ die Partie perfekt, darstellerisch hätte es eines Regisseurs bedurft, um die Persönlichkeit des ehrgeizigen, aber wankelmütigen Feldherrn und Königs zu vertiefen. Enkhbat wirkte von Anfang an etwas sehr gebrochen, gewann im Laufe der Vorstellung aber an Profil und begeisterte nicht nur mit seiner lautstark akklamierten Arie „Pietà, rispetto, amore“, sondern war auch sehr berührend mit dem aus der Florentiner Fassung übernommenen „Mal per me“ nach dem tödlichen Schwerthieb durch Macduff.
In fabelhafter Form befand sich Anna Netrebko (die ersten beiden Vorstellungen waren wegen Netrebkos Auftreten als Aida in der Arena di Verona von Ekaterina Semenchuk bestritten worden). Sie warf sich mit beispielloser Energie in die Rolle und wurde ab ihrem ersten Auftritt und der Cabaletta „Or tutti sorgete“ zurecht gefeiert. Die Nachtwandelszene war (nicht zu vergessen: auf höchster Höhne und nur durch einen Haken gesichert) bestechend interpretiert, wobei nicht verschwiegen werden soll, dass es schon länger gehaltene Schlusstöne (auch von derselben Sängerin) gegeben hat. Ein überzeugender Banco war Jongmin Park, auch wenn sein im Timbre an sich schwarzer Bass in der extremen Tiefe an Farbe verliert. Solid, aber nicht weiter aufregend war die Besetzung des Macduff mit Giorgio Berrugi, während Jinxu Xiahou mit dem Malcolm einmal mehr aufhorchen ließ. Verlässlich Andrea Pellegrini als Medico, aber die Dama von Marily Santoro konnte sich während der Nachtwandelszene ihrer Herrin mit leicht essigsaurem Ton nicht durchsetzen. Verlässlich das aus Chorsolisten und Mitgliedern der Accademia della Scala bestehende „übrige Bagagi“.
Am Ende großer, stürmischer Beifall vor allem für die beiden Protagonisten.
Eva Pleus 2. Juli 2023
Giuseppe Verdi
Macbeth
Teatro alla Scala
Premiere der Wiederaufnahme: 17.6.2023
Besuchte Vorstellung: 29.6.2023
Regie: Davide Livermore
Bühne: Giò Forma und D-Wok
Kostüme: Gianluca Falaschi
Choreographie: Daniel Ezralow
Chorleitung: Alberto Malazzi
Dirigent: Giampaolo Bisanti
Orchestra del Teatro alla Scala