
Wolfgang Amadeus Mozarts dritte und letzte auf einen Text von Lorenzo Da Ponte geschriebene Oper war in Mailand zunächst nur zögerlich aufgenommen worden (Uraufführung 1807) und erhielt erst ab den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts mehrere Neuproduktionen.
Für Robert Carsen war es das erste Mal, dass er sich mit dem Werk auseinandersetzte, und er hatte einen überzeugenden grundlegenden Einfall. Inspiriert von den zahlreichen (Trash)sendungen wie „Temptation Island“, wo junge Paare ihre Standhaftigkeit (in der Erwartung eines Geldpreises) einer Prüfung unterwerfen, verlegte der Regisseur die Handlung in ein TV-Studio (die Sendung trägt den Originaluntertitel des Werks „La scuola degli amanti“): Die beiden Paare Fiordiligi-Guglielmo und Dorabella-Ferrando nehmen an dem Bewerb teil, der von Don Alfonso als Showmaster und von Despina als seine Gehilfin moderiert wird. Das alles ist handwerklich hervorragend gemacht, denn Carsen belässt die vier Liebenden nicht im luftleeren Raum, sondern bevölkert die Szene mit Gleichaltrigen – sonst keine Freundin von hinzugefügtem Personal, bewunderte ich die Leistung der Mimen (Mädchen und Burschen in jeweils abgetrennten Räumen, die auch als Schlafsäle fungierten), die von Carsen mit ungeheurer Lebendigkeit geführt wurden. Die vom Regisseur gemeinsam mit Luis F. Carvalho (von letzterem stammten auch die Kostüme) gestaltete Bühne erhielt grandiose Unterstützung durch die Videos von Renaud Rubiano (auch diese waren ausnahmsweise nicht nur am Platz, sondern schufen spezielle Eindrücke, wie etwa den Flugzeugträger, der Guglielmo und Ferrando in den Krieg führen soll, oder den Swimmingpool, an dem sich die angebliche Vergiftung der beiden abspielt, oder die wunderbar kitschige Pseudoeheschließung).

Einen wichtigen Platz nahm auch die Choreographie (denn so musste man das muntere Treiben wohl benennen) von Rebecca Howell ein, ebenso wie die von Carsen gemeinsam mit Peter van Praet erarbeitete Lichtregie, die bei den durch die Mesmer’sche Behandlung hervorgerufenen Zuckungen der jungen Maenner geradezu psychedelisch wurde. Diese Verlegung der Handlung funktioniert an sich perfekt, hat aber einen Haken in der Figur der Despina bzw. in ihren Szenen in der Verkleidung als Arzt und Notar, wo die Story aus heutiger Sicht nicht glaubhaft wirkt, nicht glaubhaft wirken kann. Umgekehrt klappt die Verwandlung der Liebhaber der Schwestern perfekt, denn aus netten, angepassten Burschen werden zwei wüste langhaarige Typen, denen man abnimmt, dass sie mit ihrer direkten Art Eindruck auf die Mädchen zu machen verstehen, eben weil sie so ganz anders als ihre echten Verlobten sind. Es braucht also keine Verkleidung, weil die Verlagerung auf psychischer Ebene stattfindet. Dem entspricht Carsens Entscheidung, das konventionelle Happyend zu umgehen, indem hier die neu gebildeten Paare zusammenbleiben (wurde sicher auch von Mozart so gesehen, als er während der Begebenheiten Sopran und Tenor so wie Mezzo und Bariton zusammenspannte).
Das nicht unumstrittene Dirigat von Alexander Soddy gefiel mir persönlich sehr, denn er verzichtete auf tändelnde Rokokohaftigkeit und unterstrich in Übereinstimmung mit der Regie die psychologisch schwerwiegenden Momente der Musik, wobei ihm das Orchester des Hauses überzeugt folgte. Allen sechs Interpreten ist ihre darstellerische Wendigkeit und Wahrhaftigkeit zu attestieren, doch war vokal nicht alles zufriedenstellend.

Wirklich makellos war in dieser Hinsicht nur Luca Micheletti als Guglielmo, von dessen warm timbriertem Bariton man sich mehr im lyrischen Fach wünschen würde als seine nicht immer gänzlich geglückten Ausflüge zu Verdi. Seine Dorabella war die von der Barockoper kommende Holländerin Nina van Essen, von der ich mir einen flexibleren Gesangsstil gewünscht hätte. Sandrine Piau hat auf eben diesem Gebiet eine ruhmreiche Karriere hinter sich, aber leider eben hinter sich. Die dänisch-französische Sopranistin Elsa Dreisig besitzt unweigerliche stimmliche Qualitäten, aber die Rolle der Fiordiligi stellt Ansprüche, die, fehlt das verlangte Supermaterial, mit purer Technik nicht zu erfüllen sind. Giovanni Sala (Ferrando) ist technisch bestens vorbereitet und hochmusikalisch, aber ach, sein Timbre geht über das eines Comprimario nicht hinaus. Der von mir sehr geschätzte Gerald Finley schien mir seinen Einwürfen, also speziell den Rezitativen, nicht den gewünschten stimmlichen Nachdruck zu verleihen. Aber: Die schauspielerischen Leistungen ließen die vokalen Abstriche, die im Grunde nur der Ordnung halber hier erwähnt werden, vollkommen vergessen. Im Ganzen somit ein bedeutender Abend.
Eva Pleus, 28. November 2025
Così fan tutte
Wolfgang Amadeus Mozart
Teatro alla Scala
Besuchte Vorstellung: 26. November 2025
Regie: Robert Carsen
Musikalische Leitung: Alexander Soddy
Orchestra del Teatro alla Scala