Palermo: „La Traviata“

Premiere 21. und 1. Reprise 23.11.13

Quo vadis, Teatro Massimo?

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Diese Produktion war 2008 in Santa Fé für Natalie Dessays Debüt in der Titelrolle entstanden und 2009 auch am koproduzierenden Teatro Regio in Turin mit Elena Mosuc zu sehen. Nun war sie also in Palermo gelandet, wo Anna Maria Bruzzese die Arbeit des auch für die Kostüme verantwortlichen Laurent Pelly betreute. Wie schon seinerzeit erwähnt, finde ich es nicht richtig, wenn Regisseure ihre Inszenierungen nicht selbst auffrischen und den neuen Besetzungen anpassen. Aber so läuft es offenbar, wenn einmal eine Art Kettenreaktion eingetreten ist… Ansonsten funktionierte diese Auslegung, die mit Violettas Begräbnis beginnt und die Unglückliche auch allein sterben lässt, weil Alfredo und Germont père nur mehr in ihrer Vorstellung auftreten, recht gut, auch durch die vielfach einsetzbaren kubischen Elemente von Chantal Thomas, die als Ballsaal ebenso funktionierten wie, mit weißen Tüchern bedeckt, als Violettas leergeräumte Wohnung. In ihrer Zeichnung der vergnügungssüchtigen, von Männern dominierten Masse erinnert diese Interpretation auch ein wenig an Deckers berühmte Salzburger Inszenierung.

Die Palermitanerin Désirée Rancatore hatte die Titelrolle bereits in Montecarlo verkörpert und stellte sich nun erstmals in ihrer italienischen Heimat damit vor. Ihr Koloratursopran ist merkbar fülliger geworden und bewältigte auch die großen Ausbrüche wie „Amami, Alfredo“ ohne zu forcieren. Gleichzeitig ist der Künstlerin aber auch die leichte Höhe und flinke Koloratur erhalten geblieben, sodass sie ihre große, den 1. Akt beschließende Arie mit einem anstrengungslosen hohen Es krönen konnte. In der Darstellung war sie sehr packend und vermochte die Verzweiflung während des Duetts mit Germont und die matte Resignation von „Addio del passato“ wunderbar zum Ausdruck zu bringen. Ihre Partner waren leider nicht auf dem gleichen Niveau: Stefano Secco versuchte zwar löblicherweise, auf Linie zu singen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen, sodass seine Phrasen keinen großen Bogen bildeten. Sein Alfredo blieb auch darstellerisch recht blass. Germont wurde von dem gleichfalls aus Palermo stammenden Vincenzo Taormina gesungen, der auf einigen Erfolg als Buffo zurückblicken kann, aber die Finger von diesem Fach lassen sollte, denn zu flach und gequetscht klangen die Höhen. In der Darstellung war er überzeugender als sein Sohn. Valeria Tornatore von der Accademia della Scala hat mit der Annina eine ihren stimmlichen Fähigkeiten entsprechende Rolle gefunden, während der Gastone von Bruno Lazzaretti schwere vokale Abnützungserscheinungen aufwies. Über die Namen der weiteren Comprimari sei der Schleier des Vergessens gelegt, denn sie waren eines großen Hauses, wie es das Teatro Massimo ist, nicht würdig. Auf passablem Niveau ließ sich der von Piero Monti einstudierte Chor des Hauses hören.

An der Spitze der zweiten Besetzung stand die Russin Anna Skibinsky, deren Stimme recht zart ist, aber gut projiziert wird, sodass man nicht den Eindruck hatte, sie sei zu klein für das Haus. Auch sie bemühte sich sehr um die Figur der Violetta, wodurch es aber manchmal (vor allem im Duett mit Germont) zu fast veristischen stimmlichen Ausrutschern kam. Hatte man gegen die Herren Secco und Taormina einiges einzuwenden, so wünschte man sie sich an diesem Abend sehnlichst zurück, denn Luciano Ganci (Alfredo) und Devid Cecconi (Germont) waren auch als Zweitbesetzung nicht tragbar. Der Tenor (der figürlich mit seinem an Marcel Proust gemahnenden Aussehen durchaus gepasst hätte) musste immer wieder in Phrasen hineinatmen und bei seiner Cabaletta geradezu um Luft ringen. Noch schlimmer war es um den Bariton bestellt, der mehrfach falsch einsetzte, den Text durcheinander brachte und sich überhaupt auf die Bühne verirrt zu haben schien. Ist dies das neue Niveau des unter der Kontrolle eines Kommissars stehenden Hauses, nachdem man den früheren Intendanten hinausgeekelt hatte?

Der Dirigent Matteo Beltrami konnte am ersten Abend eine blitzblanke Einstudierung präsentieren, die Verdis Vorgaben mehr als gerecht wurde, während er sich bei der Reprise mehrfach der Rettung aus den von den beiden männlichen Protagonisten bewirkten Katastrophen widmen musste.

Eva Pleus 24.11.13

Photos: www.teatromassimo.it