Aachen: „King Arthur“, Henry Purcell

Eine neue Intendanz und auch eine neue Spielzeit mit Henry Purcells Semi-Oper „King Arthur“ zu eröffnen, mag ungewöhnlich erscheinen. In Aachen, wo nach 17 Jahren mit Elena Tzavara eine neue Leitung das Haus übernommen hat, wird diese ungewöhnliche Eröffnung zum Statement und gerät zu einem interessanten Überraschungscoup. Purcells Semi-Oper ist, wie es der Gattungsbegriff schon vermuten lässt, halb Oper und halb Schauspiel und so präsentiert sich das Aachener Ensemble mit teils neuen Gesichtern in allen Bereichen umfassend. Doch wer hier das traditionelle und langatmige Ritterstück erwartet, der wird enttäuscht. Die Aachener Produktion wird um den Untertitel „Let them eat Chaos“ ergänzt. Eine der vielen raffinierten dramaturgischen Überlegungen bei diesem Abend ist es, die Dialoge Drydens stark zu reduzieren und durch Lyrik von Kae Tempest zu ergänzen. „Let them eat chaos“ ist dabei ein Werk der jungen Britin, das die Grundüberlegung der Inszenierung perfekt transportiert.

(c) Thilo Beu

Man muss sich als Regisseur natürlich fragen, was man mit diesem Stück will. Belässt man es im Stile des Historienschinkens, so vermag es vielleicht noch als Familienoper zu dienen, man ist aber gut beraten, nach einer Meta-Ebene zu suchen und das haben Regisseur Marco Storman und sein Team vortrefflich getan. Grundgedanke des Abends ist es, das Motiv des Erstarrens einer Gesellschaft aufzunehmen. Der aus diesem Werk stammende „Cold Song“ bietet hier einen guten Aufhänger und so sieht man auf der Bühne eine Gesellschaft auf Sinnsuche, eine Gesellschaft, die erstarrt ist in ihrem monotonen Sein und der Welt ausgeliefert ist, die sie umgibt und der die Stürme des Lebens heftig ins Gesicht blasen. Bühnenbildner Demian Wohler hat hierfür ein komplexes Gebilde entworfen, das an verschiedene Wohlstands-Orte erinnert: Mal könnte es Mietskaserne sein, dann mutet es wie eine Einkaufspassage aus den 1980ern an, die mal als repräsentativer Ort gedacht war, aber dann vergessen und verloren wurde. Alles hat bessere Zeiten gesehen: Der Ort und seine Menschen. Gerade hier greift der Text von Kae Tempest, den Stefanie Rösner in der Rolle des Merlin exzellent in das Geschehen einbindet. Die ach so ritterlichen Figuren kommen in diesem Kosmos fast verloren vor. Der Krieg zwischen Sachsen und Briten tritt in den Hintergrund und die Figuren werden auf sich selbst reduziert. Das funktioniert überraschend gut und gibt eine ganz neue Sicht auf das Stück frei: Menschen, die in ihrem Müssen gefangen sind, Menschen, die Krieg führen, weil es von ihnen erwartet wird, Menschen, die in sich erstarrt und eingefroren sind – Menschen, die in ihrem eigenen Chaos gefangen sind und aufbrechen könnten oder müssten, gerade weil sie doch wissen, wie eine bessere Welt aussehen könnte. Aber sie tun es nicht. Sie bleiben.

(c) Thilo Beu

Dabei werden die beiden Protagonisten Arthur und Oswald so grundverschieden dargestellt, dass am Ende die Menschlichkeit und die menschliche Emotion der kleinste gemeinsame Nenner ist. Arthur von Marlina Mitterhofer gespielt, erscheint wie ein Prinz, dessen übergroßes Schwert ihm eine Last ist, der das Kämpfen leid ist und eben kämpfen muss. Oswald, von Tim Knapper hünenhaft, aber verletzlich dargestellt wird zum Gegenspieler doch vermag man als Zuschauer die Sinnlosigkeit dieser Auseinandersetzung erkennen. Das, was diese Figuren noch antreibt, was der Motor für die Veränderung sein kann, das ist die Liebe. Die Liebe der Protagonisten zur blinden Emmeline, von Hermia Gerdes mit viel Affekt und großem Getöse dargestellt, ist letztlich der Weg aus dem Chaos, der Start-Knopf für den Aufbruch in eine andere Welt, deren Botschaft „Liebt mehr“ am Ende des Abends auch plakativ auf großen Bannern im Saal des Theaters zu lesen ist.

(c) Thilo Beu

Wer nun denken mag, dass dieser Abend reichlich verkopft ist, der liegt letztlich nicht ganz falsch und hier und da wird der pädagogische Zeigefinger auch ein wenig zu viel gehoben. Aber was den Abend dennoch so interessant macht, ist dass man sich hier wirklich was getraut hat und einem an sich in Belanglosigkeit ertrinkenden Stück eine Aktualität verpasst hat, die funktioniert. So entsteht ein Abend, der sowohl auf schauspielerischer Seite wie auch auf musikalischer Seite seine bemerkenswerten Seiten hat. GMD Christopher Ward zeigt sich als veritabler Experte für barocke Musik. Auf historischen Instrumenten spielt eine kleine Besetzung des Aachener Symphonieorchesters exzellent auf. Ein elektronisches Sounddesign unterstreicht die Verlorenheit aller und auch das Orchester bindet sich in effektvoller Improvisation in den Klang abseits des Notentextes stimmig ein. In den Gesangspartien präsentieren sich ebenfalls bekannte und neue Gesichter des Aachener Ensembles. Suzanne Jerosme als Philidel lässt die Rolle des Windgeistes mit ungeheurer Leichtigkeit erklingen, mit betörend schöner Stimme singt Laia Vallés den Armor. Ronan Collett gibt den murrigen Erdgeist Grimbald und beeindruckt gerade im Cold-Song, den er (und hier mag der Opernfreund vortrefflich streiten, ob das denn statthaft ist oder nicht) über ein Mikro und mit viel Hall singt. Die Rolle des Aurelius ist für Neuzugang Angel Marcias sicherlich keine Paraderolle, dennoch präsentiert er eine lupenreine Tenorstimme, die man sich in Produktionen des italienischen Faches durchaus besser vorstellen kann. Der von Jori Klomp einstudierte Chor präsentiert sich spielfreudig und mit exzellent ausgewogenem Klangbild.

(c) Thilo Beu

Der Aachener „King Arthur“ ist eine Produktion, über die man sicherlich sehr gut diskutieren kann. Wer einen klassischen Inszenierungsstil bevorzugt, der wird sich hier nicht begeistern können, wer aber gewillt ist, sich auf diesen Abend und seine Erzählweise einzulassen, der wird wie das Publikum im gut besuchten Aachener Theater begeistert sein. Dieser Abend hat Substanz und regt im besten Sinne zum Nachdenken an. Es ist eine mutige Produktion, die als Statement einer neuen Ära an diesem traditionsreichen Haus verstanden sein will. Man hat den Eindruck, hier sind Stück und Musik, Bühne und Schauspieler ordentlich durchgeschüttelt worden und es ist wirklich etwas Interessantes, etwas Neues dabei herausgekommen und diese Macher sind eben nicht erstarrt und nutzen das kreative Chaos, um neu zu beginnen. Man darf gespannt sein, was dieses Theater in der Zukunft leisten wird.

Sebastian Jacobs 10. Oktober 2023


King Arthur
Semi-Oper von Henry Purcell

Theater Aachen
Premiere: 30. September 2023
Besuchte Vorstellung: 7. Oktober 2023

Inszenierung: Marco Storman
Musikalische Leitung: Christopher Ward