Wien: „Isacco“, Marianna Martines

Kaum jemand kennt heute noch die Sängerin, Cembalistin und Komponistin Marianna (von) Martines, 1744 in Wien geboren, wo sie ebenda 1812 starb. Ihr Vater war der neapolitanische Zeremonienmeister des päpstlichen Nuntius. Als Freund Metastasios kam er in das alte Michaeler Haus am Kohlmarkt und lebte dort mit seiner Familie als Untermieter des Dichters. Die talentierte Marianna wurde von ihrem väterlichen Freund Pietro Metastasio, dem Hofdichter unter Kaiser Karl VI., in Fremdsprachen und Literatur unterrichtet und in der Musik gefördert.

© Herwig Pammer

Klavierunterricht erhielt sie von Joseph Haydn. Mögliche weitere Lehrer könnten Nicola Porpora und Johann Adolph Hasse gewesen sein, die sich damals gleichfalls in Wien aufhielten. 1781 komponierte Martines das Oratorium Sant’Elena al Calvario auf ein Libretto Metastasios und im folgenden Jahr schrieb sie ihr vielleicht berühmtestes Werk Isacco figura del redentore (Isaak – Vorbild des Erlösers), das Metastasio bereits 1739/40 geschrieben hatte und rund 50 Mal vertont wurde. Die Uraufführung durch die Wiener Tonkünstler-Sozietät wurde zu einem großen Erfolg für die Komponistin. Die Handlung geht auf Gen 22 zurück, wo Jahwe Abraham prüft, indem er von ihm verlangt, seinen eigenen Sohn Isaak zu opfern. Dieser Topos wurde zeitlich gesehen später in der Atridensage aufgegriffen, wo Agamemnon zur Beendigung des Trojanischen Krieges und weil er die Göttin Artemis beleidigt hatte, seine eigene Tochter Iphigenie opfern muss. Diese wird jedoch nach Tauris entrückt und der nichtsahnende Vater opfert stattdessen eine Hirschkuh. Übrigens wird im Koran an keiner Stelle ein Menschenopfer von Allah verlangt! In Metastasios Libretto steht das Leiden von Abrahams Gattin und Mutter Sara im Mittelpunkt, während die versuchte Opferung Isaaks als Botenbericht erzählt wird und natürlich deutet er das Geschehen, wie im Christentum üblich, auf das Neue Testament und die Passion Christi hin. Auch hat Metastasio den biblischen Bericht um die Figur der Sara, Isaccos Mutter ergänzt, und noch die Figur des Gamari hinzugefügt. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, die auch die Kostüme entworfen hat, lässt zu Beginn die fünf Sängerdarsteller – die Herren in schwarzen Anzügen mit Krawatte, die Damen mit weißen Blusen – am hinteren Bühnenrand Platz nehmen.

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Fabian Liszt verantwortete das minimalistische Bühnenbild und wirkte zusätzlich noch an den Kostümen mit. Karl Wiedemann zeichnete noch für die Beleuchtung der Bühne verantwortlich… Dann betritt ein Statistenkind, der junge Isacco, mit Teddybären die Bühne. Sodann treten die Protagonisten in die Handlung ein, während uns im Bühnenhintergrund Videos von Lukas Schöffel in die Gegenwart einer leeren Wohnung, mit Türen, Fenstern und Kinderspielzeug versetzen, im Finale dann mit Christbaum und Kreuz abgab. Da während der Fastenzeit ursprünglich keine Opern aufgeführt werden durften, kamen findige Komponisten darauf, Oratorien, also geistliche Opern, zu schreiben, welche natürlich auch szenisch aufgeführt werden konnten und durften! Der erste Teil des Oratoriums widmet sich dem durch einen Engel vorgetragenen Befehl Gottes, zum Aufbruch in das Land Morija zum Brandopfer seines Sohnes. Im zweiten Teil wartet Sara auf die Rückkehr Abrahams, der den Sachverhalt aufklärt, worauf der Engel ihm vom Wohlgefallen Gottes berichtet. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es in der Bibel nur männliche Engel gibt. Die sicherlich bibelaffine Komponistin schrieb aber wohl zum Zwecke einer ausgewogenen Stimmverteilung diesen Part für einen Sopran. In einer Vision erkennt Abramo schließlich den Zusammenhang mit dem zukünftigen Opfer eines anderen Sohnes, nämlich Jesus Christus, dem künftigen Erlöser der Welt. Martines‘ Musik erklingt im Fahrwasser der „Neapolitanischen Schule des 18.Jhds“, deren Hauptvertreter Nicola PorporaLeonardo VinciGiovanni Battista Pergolesi und Johann Adolph Hasse waren, und der Wiener Klassik mit ihrem Dreigestirn Haydn, Mozart und Beethoven. Die Rolle des Chores wurde von den fünf Solisten übernommen und anstelle eines Sopranes sang ein Sopranist die Rolle des Isacco. Das Bach Consort Wien unter Chiara Cattani begann mit einer schwungvoll vorgetragenen Ouvertüre und verlieh den Rezitativen starke Akzente. Christian Senn gefiel als Abramo mit schön geführtem Bassbariton während Sophie Gordeladze als Sara gewaltige Gefühlsausbrüche im zweiten Teil hören ließ.

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Dennis Orellana verkörperte den Sohn Isacco mit äußerst intensivem Spiel und einem höhensicheren Sopran in allen halsbrecherischen Koloraturen. Andjela Spaić lieh dem Engel ihren noch jungen, nicht immer höhensicheren, Sopran. Anle Gou als Gamari konnte seinen Tenor erst im zweiten Teil öfters angenehm erklingen lassen. Am Ende erscheinen die Solisten wieder als Chor in Anzug und eleganten Kleidern auf der Bühne wie zu Beginn des Oratoriums, nur Sara bricht aus dieser Familienaufstellung aus und geht einfach in den Bühnenhintergrund. Danach bricht die Musik plötzlich ab und wir sehen wieder einmal betroffen, den Vorhang zu und so manche Frage offen… Szenisch hat dieser Abend zwar nicht sonderlich überzeugt, dafür aber in musikalischer Hinsicht und das Publikum wie der Rezensent gewannen die Überzeugung, eine hochbegabte Komponistin kennen gelernt zu haben, deren erstes Oratorium man allzu gerne in naher Zukunft ebenfalls szenisch aufgeführt erleben möchte. Demgemäß spendete das Publikum der dicht gefüllten dritten Vorstellung besonders starken Applaus.

Harald Lacina, 12. Juni 2025


Isacco
Marianna Martines
MusikTheater an der Wien in der Kammeroper

10. Juni 2025
Premiere: 5. Juni 2025

InszenierungEva-Maria Höckmayr
Musikalische Leitung: Chiara Cattani
Bach Consort Wien

© Herwig Pammer