In ihrer Reihe Fokus ’33 zeigt die Oper Bonn immer wieder vergessene Oper. Darunter sind tolle Stücke wie Li-Tai-Pe von Clemens von Franckenstein, bei denen man nicht versteht, dass sie nirgendwo gezeigt werden, aber auch schwächere Werke wie Der singende Teufel von Franz Schreker. Jetzt hatte Die Ameise von Peter Ronnefeld Premiere.

Die Karriere des 1935 geborenen Peter Ronnefeld war steil, endete aber tragisch. 1961 wurde er Chefdirigent der Bonner Oper, zwei Jahre später wechselte er als Generalmusikdirektor nach Kiel. Eigentlich sollte er 1965 in Köln die Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten dirigieren und in Kiel die von Aribert Reimanns Ein Traumspiel. Eine Krebserkrankung, an der er im gleichen Jahr starb, verhinderte aber diese Pläne.
Das wirr-phantasievolle Libretto zu Die Ameise stammt von Richard Bletschacher und erzählt die Liebesgeschichte des Gesangslehrers Salvatore zu seiner Schülerin Formica. Die wurde von Salvatore ermordet, nachdem sie auf eigenen Füßen stehen wollte. Nach der Verurteilung versucht er im Gefängnis einer Ameise das Singen beizubringen, und in seiner Fantasie verwandelt sich die Ameise in die ermordete Schülerin. Als er aufgrund guter Führung freigelassen wird, will er mit der singenden Ameise in einem Nachtklub auftreten, wo das Insekt aber zertreten wird. Erzählt wird die Handlung nicht in ihrer Chronologie, sondern es gibt immer wieder Rückblenden.
Das Stück war 1961 in Düsseldorf uraufgeführt worden und zuletzt 1969 in Linz inszeniert worden. 1986 gab eine ORF-Studioproduktion unter dem Dirigat von Lothar Zagrosek, die aber keine szenischen Aufführungen zur Folge hatte. Dabei machte diese Aufnahme, die auch bei YouTube abrufbar ist, bereits vor 39 Jahren das Publikum mit einer fantasievollen und abwechslungsreichen Partitur bekannt, die voller Überraschungen steckt.

In der Bonner Neuinszenierung ist Dietrich Henschel zwar ein überzeugender Darsteller des Salvatore, erreicht aber nicht die Kantabilität, mit der Theo Adam die Rolle in der Aufnahme von 1986 gestaltet hat. Henschels Stimme hat in den letzten Jahren zudem an Fülle und Farbe verloren. Mit einem anderen Sänger würde diese Partie ein viel stärkeres Profil entwickeln.
Sopranistin Nicole Wacker glänzt als koloratursichere Formica mit kräftigen Spitzentönen und verfügt zudem über eine solide Tiefe. In Erinnerung bleibt der Auftritt der beiden Gefängnisinsassen. Carl Rumstadt singt mit kräftigem Bariton das Chanson des Fassadendiebs, das vom Taschenkletterer Tae Hwan Yun auf mehreren Töpfen begleitet wird. Ralf Rachbauer gefällt in der Rolle des Dieners mit klangvollem Charaktertenor.
Dirigent Daniel Johannes Mayr sorgt sich um eine werkgetreue Aufführung, bringt die Partitur aber vor allem in den ersten beiden Akten nicht richtig in Schwung. Der große Sprechchor über die Ameisenarten mit nachfolgender Orchesterzwischenspiel, bleibt hier monotone Minimalmusic, die nicht mitreißt. Jedoch entfalten die von Strawinskys Neoklassizismus inspirierten Orchesterstücken eine bissige Schärfe, die Spaß macht. Musikalisch eindringlich gelingt das große Quartett im 3. Akt. Schade, dass die Big-Band-Nummer im Schlussakt nur aus der Konserve erklingt.

Bühnenbildner Nikolaus Weber hat einen Raum entworfen, der sich schnell vom Nachtclub, Hör-und Gerichtsaal verwandeln kann. Eine Gitterwand zeigt, dass wir uns im Gefängnis befinden, und die Privaträume Salvatores erscheinen in Form einer gedruckten Säule und eines Kamins. Regisseurin Kateryna Sokolova, die mit ihrem Essener Rigoletto zum Saisonbeginn schon positiv aufgefallen ist, bringt die Geschichte mit plastischen Charakteren auf die Bühne, wobei ihr besonders die Szenen zwischen Formica und Salvatore gut gelingen.
Die Bonner Aufführung gelingt es, einen frühverstorbenen Komponisten der deutschen Nachkriegsgeschichte dem Vergessen zu entreißen. Musikalisch ist hier aber noch Luft nach oben, so dass man sich freuen würde, wenn sich auch andere Opernhäuser an dieses Stück wagen würden.
Rudolf Hermes, 19. Dezember 2025
Die Ameise
Peter Ronnefeld
Oper Bonn
Premiere: 14. Dezember 2025
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Inszenierung: Kateryna Sokolova
Beethoven Orchester Bonn