Premiere 24. Mai 2019
Ergreifendes Musiktheater
Wie mit Aida zu Beginn der Spielzeit wurde diese im Opernhaus Dortmund mit einer Oper beendete die ebenfalls in Ägypten zur Zeit der Pharaonen spielt, wobei Theben als zeitweiliger Schauplatz in beiden vorkommt. Ausser machtbesessenen Priestern gibt es aber keine Gemeinsamkeiten zwischen Verdi´s weitgehend erfundener altägyptischer Welt und der der Oper Echnaton von Philipp Glass auf ein Libretto des Komponisten in Zusammenarbeit mit Shalom Goldmann, Robert Israel und Richard Riddell. Historisch überliefert wird hier dargestellt das durch eine reaktionäre Priesterschaft herbeigeführte Scheitern eines jungen Pharao mit der zu seiner Zeit noch visionären Idee von der Existenz nur eines einzigen Gottes, nämlich des Sonnengottes Aton Um den völligen Bruch mit der Vergangenheit deutlich zu machen, änderte er seinen Namen in Echnaton und liess eine neue Hauptstadt bauen. (Achet Aton)
Nur bei Darstellung des Aufbaus dieser Stadt sichtbar auf einem Video (Alessandro Grisendi) verließ man in Dortmund die sonst durchgehaltene historische Perspektive und es erschien eine moderne Großstadt, in der auch das (Westfalen-)Stadion nicht vergessen wurde – Aton läßt ja auch da hinein seine Sonne scheinen!
Ansonsten wurden altägyptische Schauplätze angedeutet – deren Wechsel geschah durch lautloses (tolle Technik!) hydraulisches Heben und Senken der Bühnenoberfläche (Bühne Tatyana von Walsum) und eindrucksvolle Lichteffekte (Bonnie Beecher/Stefan Schmidt) Erwähnt sei etwa das Eindringen des Lichts in den bis dahin dunklen Amun-Tempel bei Absetzung von dessen Priesterschaft und das Aufgehen der Sonne als weissem Kreis. Die Kostüme (auch Tatyana von Walsum) waren ebenfalls altägyptischen Vorbildern nachempfunden – etwa die Amun-Priester in dunklem Rot, die Aton-Anhänger natürlich in weiß und ganz prächtig in einer Krönungszeremonie in goldene Gewänder gekleidet Echnaton und seine Frau Nofretete.
Die historische Perspektive war auch geboten wegen der Verwendung von originalen Texten in altägyptischer, akkadischer und aramäischer Sprache im Libretto. Neben Übertiteln erklärte ein Erzähler dem Zuschauer die jeweilige Episode. Feierlich rezitierte Claus Dieter Clausnitzer die antiken Texte und beschrieb zum Schluß etwas lockerer als Reiseführer die Ruinen der zerstörten Hauptstadt – heute Amarna.
Wie bei Glass üblich wird keine durchgehende Handlung erzählt, sondern es werden getrennte tableauartige fast statische Episoden dargestellt. Um trotzdem Bewegung auf die Bühne zu bringen, wurde unter der musikalischen Leitung von Motonori Kobayashi die Regie dem Tänzer und Choreographen Giuseppe Spota anvertraut, dem künftigen Ballett-Direktor des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen. Dieser betraute damit die etwa zehn Tänzer des NRW Juniorballetts.
Letzteres war einer der Hauptakteure des Abends und begleitete alle Szenen mit zur häufig rhythmisch expressiven Musik passenden Körperbewegungen (Choreografie ebenfalls Giuseppe Spota).
Das zeigte gleich zu Beginn der Leichenzug des verstorbenen Pharao Amenophis. Dieser trug nicht wie vorgeschrieben seinen eigenen Kopf vor sich her, Körper und Kopf wurden vielmehr durch je einen Tänzer verdeutlicht, die dann zur gesamten Tänzergruppe jeder mit einem eigenen (Styropor.-) Kopf weiterentwickelt wurden. Später bejubelten sie etwa mit goldenen Körpern tänzerisch den Sonnengott oder spielten auch die sechs Töchter Echnatons und seiner Frau Nofretete, die dann aus dem off singen konnten – ihr Gesang war ein musikalischer Höhepunkt. Natürlich gestalteten die Tänzer maßgeblich die einzigen theatralischen Momente der Oper mit, die Absetzung der Amun Priester und die Zerstörung ihres Tempels sowie dann deren Rückkehr an die Macht und den Untergang von Echnaton und Nofretete.
Seine schwierigen und mächtigen sängerischen Auftritte in den für den Hörer nicht zu unterscheidenden verschiedenen antiken Sprachen bewältigte der Opernchor einstudiert von Fabio Mancini mit Bravour. Hervorgehoben seien etwa die Huldigung an den neuen Pharao Echnaton, die Hymnen der Anhänger Amuns oder – dynamisch zurückgenommen – aus der Ferne der Gesang der Israeliten, die den Sonnengesang Echnatons in ihre ferne Zukunft weiterführten.
Diesen Sonnengesang, der die Sonne als Schöpferin allen Lebens preist, sang Echnaton-Darsteller David DQ Lee mit seiner vollen und runden Countertenor-Stimme ganz ausdrucksvoll und ohne falsches Vibrato. (Auch den historischen Echnaton umgab angeblich eine androgyne Aura.) Weiterer stimmlicher Höhepunkt war sein Duett zusammen mit Aytaj Shikhalizada als Nofretete auf ein in einer Mumie gefundenes Liebesgedicht, das vorher vom Sprecher auf Deutsch rezitiert wurde. Besonderen musikalischen Reiz erhielt das Duett dadurch, daß sich etwas tieferer Mezzo-Sopran und etwas höhere Countertenor-Stimme überkreuzten. Gedoubelt wurden sie wieder vom Ballett.
Fritz Steinbacher sang und spielte überzeugend den unsympathischen Hohen Priester des Amun, zuerst würdevoll im Terzett mit General und Nachfolger Echnatons Harembab (Mandla Mndebele) und Nofretetes Vater Aye (Denis Velev), dann gedemütigt durch Echnaton und wieder triumphierend nach dessen Entmachtung. Echnatons Mutter Teje (Anna Sohn) komplettierte auch stimmlich die Pharaonen-Familie.
Chor und besonders alle Gesangssolisten unterstrichen die jeweilige Handlung durch minimale Gesten, wie wir sie etwa von Robert Wilson her kennen.
Minimal wird ja auch die Musik von Philipp Glass bezeichnet wegen ihrer immer wiederholten aber leicht abgeänderten musikalischen Grundbausteine. Diese hörbar schwierige Aufgabe bewältigten die Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von Motonori Kobayashi so erfolgreich, daß nie die bei Glass gefürchtete musikalische Monotonie aufkam, sondern eine durchgehende meditative teils auch archaisch-anmutende Klangwelt geschaffen wurde. Da Violinen nicht vorgesehen sind, machten die wenigen Solostellen der tieferen Streicher umso mehr Eindruck. Holzbläser, Solo-Trompete und der grosse Schlagzeug-Apparat waren dann aber doch bestimmend für das Hörerlebnis.
Beim sogenannten Epilog blickten die Schatten von Echnaton, Nofretete und Mutter Teje ins Publikum durch drei Fenster, die durch Neonröhren ähnlich aber kleiner als die auf dem Theatervorplatz gebildet wurden. Zum abschliessenden Akkord in der Haupttonart a-moll verschwanden sie dann analog zur Prozession beim Beginn der Oper.
Das Publikum im zumindest im Parkett ausverkauften Opernhaus war sichtlich ergriffen und spendete Beifall und Bravorufe für alle Mitwirkenden und das Leitungsteam, zu Recht vor allem für das Ballett, den Chor und das Orchester als Dank für einen Opernabend ohne krampfhafte überflüssige Aktualisierung, wie man ihn so beeindruckend selten erlebt.
Sigi Brockmann 25. Mai 2019
Fotos (c) Björn Hickmann