Erfurt: „Agnes von Hohenstaufen“

Besuchte Premiere am 01.06.18

Preussenpomp

Wer war Gaspare Spontini? Dem "normalen" Operngänger wird er vielleicht gar kein Begriff sein, den "Afficionados" auf jeden Fall über Maria Callas, die eine begnadete Darstellerin der Titelpartie seiner wohl bekanntesten Oper "Die Vestalin" war. Der italienische Komponist macht in seinem Heimatland zunächst mit Buffo-Opern Karriere, bevor er im Paris Napoleons mit seinen großen, historischen Opern Furore macht. Zunächst mit der bereits genannten "La Vestale", dann noch mit "Fernand Cortez" und mit "Olimpie". Als Komponist von Weltrang holte Friedrich Wilhelm VI. von Preussen ihn als wohl ersten Generalmusikdirektor an die Berliner Hofoper, wo er mit grossem Erfolg reussierte. Beliebt war er allerdings nicht bei den nationalen Bestrebungen Deutschland wenigstens über die Kunst eine Einheit zu geben, zumal mit Webers "Freischütz" gerade der Gegenentwurf zur historischen Grand Opera herauskam. Nach einigen Jahren geriet er dann künstlerisch in Zugzwang, endlich dem seinem Amt angemessenen grossen Entwurf zu einer preussischen Nationaloper hervorzubringen. Was 1827 mit "Agnes von Hohenstaufen" zu einer Prinzenhochzeit auf halbfertige Weise begangen wurde, erst zwei Jahre später, ebenfalls zu einer Hochzeit, wurde das Werk richtig fertiggestellt und die Uraufführung erfolgreich begangen. Bis 1840 taucht die Oper auf den Spielplänen vereinzelt auf, dann erst wieder 1954 und 1974 beim Maggio Musicale in Florenz, wie 1986 in Rom. In Erfurt kann man jetzt also die erste deutschsprachige Wiederaufführung seit etwa 180 Jahren erleben. Allein das muß schon als kulturelle Großtat gewürdigt werden, zumal vor ein paar Jahren bereits ein Versuch mit "Fernand Cortez" in Erfurt gewagt wurde, dazwischen traute sich das Staatstheater Karlruhe an eine "Vestalin". Soviel also zur Rezeption Spontinis, insbesondere der "Agnes", in den letzten Jahren.

Manchmal spielt der Zufall auch richtig gut mit, denn einige Wochen vor der Wiederaufführung der "Agnes" wurde in einer Kopenhagener Bibliothek die verschollene Ouvertüre entdeckt und konnte, seit 1840, zum ersten Male gespielt werden. Die Handlung in einer kurz fasslichen Version. Agnes, als Cousine des Hohenstaufenkaisers Heinrich VI., ist seit ihrer Jugend mit Heinrich, dem Sohn Heinrichs des Löwen verlobt und verliebt. Ja, es gibt da drei Heinriche ! Politische Animositäten lassen den Kaiser den Löwen unter Bann stellen und Agnes mit dem französischen König Phillip August vermählen lassen wollen. Letzterer findet sich als französischer Botschafter incognito zum Hoftag in Mainz ein und gerät mit Agnes´Verlobten in Kniest, da geht es immer um Ehre und Duell. Irmengard, Agnes`Mutter, steht ebenfalls zur alten Verlobung und der Liebe zwischen Agnes und Heinrich und lässt den Bischof von Mainz vorsichtshalber eine Trauung vornehmen. Irrungen, Wirrungen; zum Schluss wollen alle nur das Paar zusammenbringen, bis auf den verbohrten Kaiser, der sich als royaler Vollposten zeigt und damit erschreckende Parallelen zu heutigen Politikern aufweist. Alle sind gegen ihn, seine Verwandten, die Kurfürsten, der französische König und auch der siegreiche Heinrich der Löwe finden sich zum Finale ein. Eigentlich könnte man ihn jetzt absetzen, doch es kommt zu einen preussischen Kotau der Sonderklasse, Untertanentreue übelster Art, dann eben irgendwie das große Finale, in dem man noch gegen Welschland in den Krieg ziehen kann. Dieses recht unappetitliche Machwerk an Libretto wurde von dem damals recht beliebten Ernst Raupach verzapft und steht in seiner Papiertüten-Bräsigkeit mit nationalen Gemeinplätzen, meines Erachtens noch hinter Helmina von Chezys Libretto für Webers "Euryanthe" an.

Wie zieht man sich bei so einem Stück inszenatorisch aus dem Schlamassel? Marc Adam macht das recht geschickt, denn er setzt den Nationalismus Preussens in Bezug auf die spätere historische Entwicklung, verschränkt den Ersten Weltkrieg als geschichtliche Klammer mit der Entstehungszeit und dem Mittelalterbezug des Librettos. Monika Gora schöpft in der Ausstattung aus dem Vollen und stellt im Licht von Florian Hahn wirklich sehr beeindruckende Bilder zur Schau für die grossen Tableaus. Eine Gasmaske liegt gleich einem Menetekel am Bühnenportal. Marc Adams Personenregie verlässt nie eine gewisse Opernbiederkeit, man herzt und umarmt sich, das Duell ist ein durchaus spannender Höhepunkt, der Chor wird irgendwie bewegt, mehr besorgt, denn geführt. Um so mehr kann man sich auf die Musik konzentrieren:

Spontini heute bringen ist wirklich mutig, denn er ist weit von unseren Hörgewohnheiten entfernt, die sich die Alte Musik neu entdeckt haben. Weiter noch als Meyerbeer, der langsam wieder Fuß fasst in den Spielplänen. Die Ouvertüre verblüfft , denn nach blechernen Fanfaren bricht eine sehr eigene Italianita aus, Fiorituren des Orchesters die an slawische Musik denken lassen. Manchmal habe ich das Gefühl, das musikalisch der Balkan nicht fern ist. Dann natürlich die Eröffnungschöre und wirklich ganz ausgezeichnete Instrumentierungseffekte, merkwürdige , ja, Verschrobenheiten in Es-Dur, da ist wieder einer von dem Richard Wagner deutlich gelernt hat. Irgendwie merkwürdig , doch mit Schmiss, man geht in die erste Pause und hat richtig die Rouladenphrasen im Ohr. Nach dem zweiten Akt lässt die anfängliche Begeisterung schon nach. Nach dem dritten Akt mit Finale bleibt eine Überreizung zurück, die Frage nach wirklich guter Melodik hängt im Raum. Doch mehr Effekt als Inhalt? Orchestral sicher brilliant gemacht und zeitweise auch mitreissend.

Erinnerungen an ein Gerücht: Spontini sei , unter anderem, nicht sehr beliebt in Berlin gewesen, weil er nie die deutsche Sprache gelernt hätte. Nach der Aufführung möchte man das glauben, denn der Komponist hat überhaupt kein Gefühl für das deutsche Libretto, geschweige denn die Prosodie der Sprache. Die Betonungen klingen schrecklich aufgesetzt und falsch wie die schlechte Übersetzung einer slawischen Oper, was heißt, die Wiederholungen wirken absolut willkürlich, die Belkanto-Fiorituren sind ohne Sinn in die Worte komponiert. Zu Hause habe ich mir nochmal einen der italienisch gesungenen Mittschnitte aus den Siebziger Jahren angehört, das klingt wesentlich überzeugender und geschmeidiger, auf Deutsch gesungen ist das Werk, zumindest als Muttersprachler, einfach nicht zu ertragen , geschweige denn zu retten.

Um so mehr muss man die Aufgaben der Erfurter Künstler in Rechnung stellen. Zuförderst der jungen Dirigentin Zoi Tsokanou, der es gelingt die Musik zum Leben zu erwecken und das Spagat zwischen Möglichkeiten und Effekten zu jonglieren, nicht zuletzt die Balance zwischen Graben, Bühne und den Bühnenmusiken zu wahren. Das Philharmonische Orchester Erfurt spielt mit den großen Chormassen hervorragend mit am Strang, geholfen bei dieser Aufgabe mag auch das Ansetzen von Cherubinis "Medea" zu Saisonanfang gewesen sein. Eine haarige Aufgabe doch glänzend gemeistert

Im Grunde auch das gesamte Niveau der Sänger, in ihren zum Teil echten Monstre-Partien. Das Liebespaar wurde von Claudia Sorokin und Bernhard Berchthold gegeben. Die nimmermüde Sopranistin gefiel mit mädchenhafter Erscheinung und guter stimmlicher Durchbildung, lediglich ein leichtes Vibrato in der Höhe trübte den Eindruck. Grandios der Tenor in der Zwischenfachpartie des Heinrich, da findet sich neben leicht heldischem Strahl, auch die zärtlich Voix Mixte des Liebhabers, Einzelheiten wirken noch nicht ganz rund, doch wen wundert das bei dieser Musik. Mir gefällt das angenehm instrumentale Timbre des zweiten Sopranes, Margarethe Fredheim als Irmengard, die Terzenseligkeiten zwischen Mutter und Tochter gehören zu den Höhepunkten des Aufführung. Mátè Sòlyom-Nagy singt mit vehementem Nachdruck den verbohrten Staufenkaiser, auch viel , lange und nimmermüde. Siyabulela Ntlale als Frankenkönig mit schönem Bariton kann fast als Publikumsliebling des Abends bezeichnet werden, dem Beifall kann man nur beistimmen. Juri Batukov mit leicht mattiertem Bass hat seinen Auftritt als Heinrich der Löwe. Kakhaber Shavidze(Bischof von Mainz), Caleb Yoo mit auffallend schönem Bariton (Burggraf), Jörg Rathmann (Theobald) und Henry Neill (Kampfrichter) weisen auf die Güte des erfurter Ensembles nachdrücklich hin. Alle Solisten hatten die wahrlich nicht leichte Aufgabe die geforderte lockere Agilita mit heroisch preussischem Furor zu verbinden, Respekt!

Ein verdienter großer Erfolg für die Oper Erfurt, vielleicht wird Spontini nicht für das Repertoire zu gewinnen sein, doch hätten wir es nicht erleben dürfen, hätten wir es nicht gewusst. Eine Großtat ! Das Publikum zeigte sich nach dem , immerhin mit zwei Pausen dreistündigen Abend, schier begeistert. Trotz des fehlenden Glaubens an das Werk eine Fahrt zu den wenigen Aufführungen nach erfurt lohnt sich unbedingt.

Martin Freitag 8.6.2018

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