Vorstellung am 21. Juli 2022
Die diesjährigen DomStufen – Festspiele in Erfurt stehen im Zeichen einer Oper, die mit ihrer Handlung viel Potenzial für die Thematisierung politischer und religiöser Konflikte bietet. In Nabucco von Giuseppe Verdi geht es um den Konflikt zwischen Macht, Glaube, Liebe und den Umgang damit. Die Handlung basiert auf Episoden aus dem Alten Testament.
In der beeindrucken Kulisse zwischen Mariendom und St. Severi Kirche ist auf den Stufen ein Tempel mit einer Mauer aufgebaut, welche an die Klagemauer in Jerusalem erinnern soll. Davor prangt ein großer Davidstern, die Protagonisten betreten die Bühne durch mit Davidsternen versehene Türen. Auf den ersten Blick ein eher traditionelles Bild, doch die Inszenierung von Guy Montavon wagt sich in aktuelle politische Geschehnisse vor.
Die Hebräer haben ihren ersten Auftritt, mit ihren weißen Kostümen strahlen sie eine gewisse Unschuld aus. Im Kontrast dazu die schwarz gekleidete Fenena als Geisel (Ausstattung: Peter Sykora /Norman Heinrich ). Ihre Schwester Abigaille wechselt auf ein ausladendes, rotes Kleid, welches die Sklaventochter optisch deutlich von den anderen abhebt.
Die Babylonier sind schwarz gekleidet, auf den Armbinden rot-goldene Flammensymbole. Im weiteren Verlauf tragen sie Stahlhelme und Gummiknüppel, die Statue der Gottheit Baal ist der Prometheus-Statue von Adolf-Hitler-Lieblingsbildhauer Arno Breker nachempfunden. Sicherlich ein subtiler Hinweis auf die deutsch-jüdische Geschichte. Dass die Uniformierten dann mit den Knüppeln den Davidstern zerstören, die Kinder ihn dann schließlich wieder reparieren und die babylonischen Priester eher wie Oberbefehlshaber beim Militär auftreten, ist schon eher weniger subtil.
Das Zitat „Ich werde euch alle vernichten“ wird gleich zu Anfang eingeblendet – und dahinter sowohl Nabucco als auch Wladimir Putin als Urheber angezeigt. Der babylonische König kommt auch nicht frei, sondern wird am Ende noch erschossen. Hier ergab sich eine durchaus pessimistische und diskutable Sichtweise auf das zentrale Thema der Oper: Menschen können sich doch nicht ändern.
Der Gefangenenchor wird in der Aufführung zwei mal gesungen, beim zweiten mal werden beide Kirchen in blau und gelb beleuchtet und der Chor zeigt Schals in diesen Farben. Sicherlich eine schöne, berührende Geste und ein toller optischer Effekt. Langfristiger und weitsichtiger wäre es jedoch gewesen, zum Beispiel mit eingeblendeten Friedenssymbolen an diesen auf der ganzen Welt zu appellieren. Mit der Bezugnahme auf den Ukrainekrieg, dem der innerdeutschen Grenze nachempfundenen Stacheldrahtzaun und den Umgang mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin wirkt das ganze Geschehen leider stellenweise etwas überladen. So fehlt der Bezug zu den Figuren; in der großen Symbolträchtigkeit geht der Blick auf das Wesentliche verloren.
Dem Zuschauer bot sich dennoch auch dank großartiger visueller Effekte wie das Zerbrechen der Mauer und der Ankunft der Götterstatue ein schönes Freilufterlebnis. Dazu trug vor allem auch das Ensemble an Sängerinnen und Sängern bei.
Myron Michailidis hatte die musikalische Leitung des Abends. Etwas flott dirigierte er das Philharmonische Orchester Erfurt durch die Ouvertüre, schaffte es dennoch mit der nötigen Dynamik und Gespür für die wichtigen Momente das Publikum trotz Übertragung der Musik aus dem Theater zu begeistern. Die bei Nabucco so wichtigen und schönen Chorszenen werden vom stimmlich starken Opernchor des Theaters sowie den Mitgliedern des Philharmonischen Chores Erfurt mit Hingabe gesungen. Ergänzt wurde der Chor von Rainer Zaun (Oberpriester des Baal), Richard Carlucci (Abdallo) und Stephanie Johnson (Anna).
Als Abigaille überzeugt auf ganzer Linie die ukrainische Sopranistin Oksana Kramareva. Ihre Stimme füllt mühelos den großen Domplatz; kräftig, mit klaren Höhen singt sie diese anspruchsvolle Partie. Sie spielt die Abigaille mit einer ebenso beeindruckenden Bühnenpräsenz, mal verletzt und mal dem abgrundtiefen Hass verfallen. Großartig auch die Szene, in der Abigaille herausfindet dass sie die Tochter einer Sklavin ist („Di scorno! Prole Abigail di schiavi!„). Oksana Kramarevas Spinto-Sopran kommt hier besonders gut zur Geltung, drückt die seelischen und moralischen Abgründe ihrer Rolle ergreifend aus. Viele Bravorufe gab es beim Schlussapplaus für diese Leistung!
Zaccaria, der Hohepriester der Hebräer, wird von Mikhail Svetlov gesungen. Sein dunkler Bass passt perfekt zu der bedrohlichen Atmosphäre im ersten Akt, als er droht Fenena zu töten.
Fenena wird in der Inszenierung vom Vater sehr roh behandelt, Nabucco schlägt sie sogar zu Boden. Die Liebe zu Ismaele (gespielt vom dramatischen und ausdrucksstarken Tenor Brett Sprague) gibt ihr Sicherheit und Halt. Alle diese Emotionen werden von der Mezzosopranistin Florence Losseau mit einem wunderbar klaren Timbre, das vor allem bei den leisen Stellen mühelos dahinfließt, herübergebracht. Da war es schade, dass die Fenena in Nabucco nicht viel zu singen hat!
Der südafrikanische Sänger Siyabulela Ntlale ist seit der Spielzeit 2015/16 Mitglied des Erfurter Ensembles und hat dort schon viele Titelpartien gesungen. Dass er dieser Rolle vollkommen gerecht wird, beweist er hier als Nabucco. Mit seiner großartig dramatischen, gleichzeitig in den Höhen flexiblen Baritonstimme ist er die ideale Besetzung. Der Wandel zwischen Wahnsinn und Läuterung gelingt so authentisch, dass es an einigen Stellen sogar Zwischenapplaus vom Publikum gab.
Fazit: Das Theater Erfurt bietet eine Inszenierung, die mit großartigen Bildern überzeugt, jedoch manchmal den Blick auf das Wesentliche verliert. Im Zusammenspiel mit Orchester und Sängerensemble eine dennoch sehenswerte Produktion vor einmaliger Kulisse.
Katrin Düsterhus, 30.7.22
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Fotos @ Lutz Edelhoff