Freiburg: „Don Carlos“, Giuseppe Verdi

Der musikalischen Leitung und der Regie fehlen in der vieraktigen Mailänder Version von Verdis Werk der Wald von Fontainebleau. Dieser Wald war für die Holzbeschaffung der Bevölkerung unter den miserablen Lebensbedingungen, ausgelöst durch den französisch-spanischen Krieg, wesentlich. André de Ridder, GMD in Freiburg, und der Regisseur Michael von zur Mühlen lösen ihr Dilemma auf einzigartige Weise: Das Publikum wartet darauf, die Plätze einzunehmen, welche vom Chor belegt sind. Die Sänger eröffnen, als klagende Holzfäller, musikalisch den Opernabend. Ein Einstieg in ein musikalisches Werk, wie ich ihn noch nie erleben konnte. Dazu André de Ridder: Für unsere Neuinszenierung wurde eine spezielle Einlasssituation geschaffen, ein Prolog zur vieraktigen Mailänderfassung. Darin erklingt ein Arrangement aus Teilen des ersten Aktes der französischen Fassung, die jedoch vor der Uraufführung gestrichen und erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt worden sind. Chor und Extrachor des Theater Freiburg, einstudiert von Norbert Kleinschmidt, überzeugen in dieser Produktion mit einer bravourösen Leistung.

© Britt Schilling

Die ganze Inszenierung ist geprägt von hervorragenden Ideen, sowohl in bühnentechnischer Hinsicht als auch in der Personenführung. Im ersten und zweiten Akt spielt die Handlung in der Bühnenmitte. Der Bühnenbauer Christoph Ernst zeigt im Vordergrund die Garderobe eines Theaters, wo Sängerinnen und Sänger geschminkt werden und sich ausruhen. Im Hintergrund sieht man den Zuschauerraum eines Theaters, die Zuschauer sind der Opernchor des Theater Freiburg und die Freiburger Statisterie. Künstlerinnen und Künstler singen auf der erhöhten Bühne. Die alte Aufführungspraxis des Rampensingens wird in der Freiburger Inszenierung hervorragend als Stilmittel verwendet. In den ersten zwei Akten wird die Handlung eigentlich nur musikalisch vorwärtsgetrieben, dies aber auf stringente Art, welche keine Wünsche offenlässt. Das Ende des zweiten Aktes gipfelt im Autodafé und den ersten Worten von Philipp II. ‘Sie hat mich nie geliebt’!    

Im dritten und vierten Akt erlebe ich eine normale Bühne, und es wird auch mehr agiert, ohne jedoch den musikalischen Inhalt zu beeinträchtigen. In diesem Freiburger Don Carlos ist die Musik und nicht die Handlung das tragende Element, so wie es sich eigentlich im Musiktheater gehört. Ein Beispiel für andere Regisseure?!

Das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Stabführung von André de Ridder interpretiert Verdis Komposition mit einer bewundernswerten Präzision und einem musikalisch sicheren Gefühl für die italienische Musik. Dazu spielen die Musiker mit einer differenzierten Dynamik, welche die Sänger in ihrer Interpretation der Rollen unterstützt und verstärkt.

Jin Seok Lee als Philip II. überzeugt durch Diktion und Intonation ebenso wie durch seine Interpretation des Monarchen, des omnipotenten Herrschers. Den Infant von Spanien Don Carlos gibt Jenish Ismanov. Seine Darstellung als der unglücklich Verliebte ist in jeder Hinsicht zwingend. Diktion, Intonation, Mimik und Gestik stimmen in jeder Szene, sei es als Held für die Flamen, sei es als Verkünder von Freiheit-Gedankenfreiheit. Und dies im Spanien des 17. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Inquisition, einer Inquisition, welche keine Abweichungen duldet.

Elisabeth, Königin von Spanien wird musikalisch und schauspielerisch dargestellt von Caroline Melzer. Sie überzeugt durch eine saubere Stimmführung in jeder Lage, mit bewundernswerter Klarheit und Diktion auch in den Höhen ohne Schärfe. Ihre Diktion ist makellos, ihre Präsenz auf der Bühne wahrhaft königlich, auch wenn sie leidet, da ihre Liebe zu Carlos immer noch heiss brennt. Als Rodrigo, Marquis von Posa, erlebt das zahlreich erschienene Publikum einen imponierenden Juan Orozco. Seine Darstellung des Freundes und Retters von Don Carlos überzeugt. Als Prinzessin Eboli erscheint Anja Jung, souverän wie immer, hier mal nicht als Hexe, sondern als Fürstin, Prinzessin. Als Grossinquisitor und Mönch gefällt Ivo Stanchev. In weiteren Rollen: Cassandra Wright, Sara de Franco, Junbum Lee, ferner die Garderobieren Kerstin Gehrig und Nora Riess. Die Texte, der Kommentar, von Thomas Köck werden gesprochen von Marieke Kregel.

Ein überzeugender Opernabend geht zu Ende. In den drei Stunden kommt kein Moment der Gedanke auf: „Das ist zu lang“. Es gibt in dieser Inszenierung keine Längen, welche nicht dramaturgisch begründet und wesentlich sind.

Der lange frenetische Applaus des Publikums belohnt die Arbeit des gesamten Teams zurecht. Hoffentlich erleben wir noch viele solche Inszenierungen!

Peter Heuberger, 19. März 2024


Don Carlos
Giuseppe Verdi

Theater Freiburg

Premiere: 16. März 2024

Inszenierung: Michael v. zur Mühlen
Bühne, Kostüme: Christoph Ernst
Musikalische Leitung: André de Ridder
Philharmonisches Orchester Freiburg