Am 6. August 1945, nur wenige Wochen nach der unter dem Codenamen „Trinity“ erfolgten Probezündung der in der Wüste Alamogordo, nahe Los Alamos in New Mexico entwickelten ersten amerikanischen Atombombe, entfachte deren Abwurf über Hiroshima und drei Tage später Nagasaki bekanntlich das fürchterlichste Inferno, mit dem ein neues Zeitalter begann. Zugleich markierte dieser verheerende Einsatz die Kapitulation Japans und damit das Ende des 2. Weltkrieges. Das ist jetzt 80 Jahre her – die Nachrichten und Berichte im August dieses Jahres über die Gedenkveranstaltungen nicht nur in Japan waren erschütternd und bekamen angesichts der fortschreitenden weltweiten atomaren Aufrüstung und Kriegsereignisse eine bedrängende Aktualität.

Der Zeitpunkt einer Neuinszenierung der zweiaktigen Oper Doctor Atomic von John Adams am Freiburger Theater, in der es um den Physiker J. Robert Oppenheimer und das „Manhattan-Projekt“ geht, konnte im Gedenkjahr 2025 nicht passender gewählt werden. Die neue Intendanz hat den Regisseur Marco Štorman und Frauke Löffel als Bühnenbildnerin gewonnen, und so hatte am 29. November im Großen Haus das ton- und bildgewaltige „musikalische Wissenschaftsdrama“, wie es auf dem Programmheftcover heißt, seine denkwürdige Premiere. Doctor Atomic ist nach Adams‘ zeitkritischen Opern Nixon in China (1987) und The Death of Klinghoffer (1991) die dritte Oper, angeregt durch Pamela Rosenberg, von 2001–2006 Generalintendantin des Opernhauses San Francisco. Sie war 1999 auf den Komponisten mit einem Opernauftrag zugegangen. Als Sujet schlug sie einen „American Faust“ vor, repräsentiert durch den Physiker Oppenheimer. Er hatte unter strengster Geheimhaltung ab 1942 die wissenschaftliche Leitung des Manhattan-Projekts in der Laborstadt Los Alamos übernommen, in dem es galt, mit seiner Wissenschaftlerequipe im Kräftewettlauf des 2. Weltkrieges mit einer Amerikanischen Atombombe den Deutschen- und Russischen Forschern zuvorzukommen. Wie die fiktive Komponistengestalt in Thomas Manns Roman Doktor Faustus, so zitiert Adams die Idee Rosenbergs in seiner Autobiographie, habe sich auch Oppenheimer auf einen „latter day pact with the Devil“ eingelassen. Und so spielt der Titel der Oper tatsächlich auf Manns Roman an. Mit diesem Kompositionsauftrag tauchte Adams aber nicht nur in die Folgen einer Wissenschaftshybris ein, sondern sah sich mit den inneren Ängsten und Traumata seiner eigenen Kindheit konfrontiert, die von den Katastrophenbildern und atomarer Bedrohung begleitet war. Es konnte ihm daher nicht um eine linear erzählte Chronologie der Ereignisse gehen. Vielmehr entwickelte er mit seinem Regisseur Peter Sellers nach vierjähriger Recherche in den Aktenbeständen und persönlichen Dokumenten der Hauptakteure ein Libretto, das nahezu ausschließlich aus collagiertem Quellenmaterial besteht. Das war neu in der Librettistik. In den Text ließen sie überdies Oppenheimers Vorlieben für die Lyrik Charles Baudelaires, Myriel Rukeyser und John Donnes Holy Sonnet XIV: Batter my heart, three-person’d God (1633) einfließen, das als große Arie das überwältigende Finale des ersten Aktes bildet. Hier wurde es gesungen von dem die Rolle Oppenheimers ideal verkörpernden und stimmlich alle Schattierungen seiner inneren Prozesse auslotenden Timothy Connor.
Auch Oppenheimers Faszination für die Bhagavad Gita, genauer die Omnipräsenz Vishnas, wird als mythisches Menetekel in der 3. Szene des 2. Akts „con fuoco“ vom Chor geradezu beschwörend deklamiert.

Die Oper geriet also zu einem wirkungsmächtigen Psychodrama, einer Parabel über Lebensängste, Zweifel und die Suche nach Erlösung, von denen alle Beteiligten im Handlungsverlauf ergriffen werden. Bereits die Uraufführung am 1. Oktober 2005 im War Memorial Opera House in San Francisco löste bei der internationalen Presse Begeisterungsstürme aus, das Werk wurde als bedeutendes Statement zur Operngeschichte des 21. Jahrhunderts gefeiert. Auf die deutschen Bühnen gelangte die Oper im Februar 2010 mit der Aufführung im Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. Seither findet man sie in den Spielplänen der großen Bühnen, stets von ausführlichen Kommentaren begleitet.
In Freiburg, wo – wie erwähnt – die Inszenierung in den Händen des hier bereits wohlbekannten Marco Štorman und der Bühnenbildnerin Frauke Löffel lag, wurde mit langem Vorlauf ein besonderes Bühnenkonzept entwickelt, in dem Zeit und Stagnation eine wichtige Rolle spielen. In der Bühnenmitte steht im ersten Akt eine fragile, transparente Hauskonstruktion (Abbildung 1), zu Beginn vom Chor in den Rollen der in Los Alamos arbeitenden Wissenschaftler, Techniker, Militärs und deren Frauen archaisch umstellt. Die ersten Sätze des Chors, trockene Forschungskommmentare, muten wie die Choreinwürfe in antiken Tragödien an: „We believed that matter can be neither created nor destroyed …“ („Wir glaubten, dass Materie weder erzeugt noch vernichtet werden kann“).

Von Szene zu Szene wird das Haus gedreht, so dass es scheint, als illustriere es die verschiedenen Perspektiven seiner Bewohner. Vor allem aber ist es ein Schutzraum, in dessen oberem Stockwerk sich Oppenheimers Frau Kitty (Inga Schäfer) und ihre in die Handlung eingefügte Haushälterin, die indigene Pasqualita (Yewon Kim/ Anja Jung) als Mahnerinnen bewegen, beide von berührender, starker Stimmkraft.
Die Oper beginnt mit einer 2.10-minütigen Soundscape-Zuspielung mit Sprachfetzen und musique concrète-Anspielungen bei extrem langsam herunterfahrender Raumbeleuchtung, die in einem Orchesterschlag und jener Pulsation mündet, für die Adams als Spätminimalist bekannt ist. In Chor- und Soloszenen wie dem erwähnten Finale des 1. Aktes wird sie jedoch von spätromantischen Klängen und lyrischen Passagen aufgebrochen.
Solisten, Chor und das große Orchester, in dem zu den Streichern alle Farben der Holz- und Blechbläser (mit virtuosem Solotrompeter) bis zur Kontrabass Klarinette und dem Kontrabass Fagott besetzt sind, vierfaches Schlagzeug, Celesta, großer Gong, Donnerblech verlangt wird, werden von GMD André de Ridder mit ungemeiner Konzentration und Spannung durch die stellenweise hochvirtuose und eruptive Musik geleitet. Nur an wenigen Stellen wurden die sieben Szenen der zwei Akte gestrafft.

Die Handlung, für die neben Oppenheimer fünf Hauptprotagonisten stehen (überzeugend gesungen und agiert von Jin Seok Lee als Atomphysiker Edward Teller, Roberto Gionfriddo als Physiker Robert Wilson, Juan Orozco als militärischer Leiter General Leslie Groves, Jakob Kunath als Meteorologe John (Jack) Hubbard und Juyoung Mun als Leiter des Standortlazaretts, Captain James Nolan) wird nicht dialogisch entwickelt. Sie spiegelt im Gegenteil auch durch die Textsorte Isolation und zunehmendes Zurückgeworfensein auf sich selbst angesichts der herannahenden Katastrophe. Das wird besonders spürbar im zweiten Akt, als es durch ein aufziehendes Gewitter zu quälenden Verzögerungen vor der Probezündung kommt. Diese angespannte Nervosität wird geradezu zynisch konterkariert durch Requisiten wie die ein wenig hilflos wirkenden Gartengrills, die Normalität suggerieren sollen und eine in die Szene geschobene Knochenmühle, die in der vierten Szene des 2. Akts zum grauenvollen Endzeitsymbol wird (Abbildung 2).
Wenn sich aber im Verlauf der ersten Szene des 2. Akts, die in ein orchestrales Interludium übergeht, nacheinander drei ca. 16 x 10 m große Prospekte senken, bekommt das Operngeschehen apokalyptische Dimensionen.
Paraphrasiert wird das Gemälde Edouard Manets „L’Explosion“, das von Bühnenbildnerin Frauke Löffel adaptiert, hochvergrößert und im Malersaal von sieben Malern auf fast transparenten Gobelintüll gebracht wurde. Auf den Hängern 2 und 3 wird das Motiv zu einem dreidimensionalen Höllensturz weiterentwickelt und so „der freigestellte menschliche Körper ins Spiel“ gebracht. Frauke Löffel weiter: „Auf sich selber zurückgeworfen, vielleicht so als läge der Weltraum direkt auf der Hautoberfläche und räumliche Urkräfte wie Expansion (Explosion, Chaos), Aufwärts- und Abwärtsbewegung entfalten sich ungebremst“ (Abbildung 3).
Gegen diese Bildermacht (Abbildung 4) singt die indigene Pasqualita (Yewon Kim) mit einem Tewa-Wiegenlied („In the north the clowdflower blooms“) an. Und während des Hauses allmählich verschwindet, verdunkelt sich auch der Prospekthintergrund. Frauke Löffel: „nach der Schwärzung der Bilder wirkt zuletzt noch die Kontraktionskraft: die einstige Schutzhülle und Beheimatung in der Welt wird zum Spielzeug eines nun menschlichen Gottes“.
Mit der Warnsirene wird am Aktschluss die Zündung signalisiert, das musikalische Inferno wird hinter Tape-Zuspielungen, Kindergeschrei und den abgerissenen Sätzen einer japanischen Frau leiser bis zum fade out. Zurück bleibt Oppenheimer mit dem zum „Spielzeug“ gewordenen Schutzhaus (Abbildung 5).

Diese auf alle überflüssigen Aktionen verzichtende, auf Existenz und Verantwortungsfragen konzentrierte und von großartigen Künstlern getragene Inszenierung sollte, muss man erlebt haben.
Gabriele Busch-Salmen, 16. Dezember 2025
Doctor Atomic
Oper in zwei Akten von John Adams
Theater Freiburg
Premiere: 29. November 2025
Regie: Marco Štorman
Sound Designer, Ton: Joscha Muschal, Kai Littkopf
Musikalische Leitung: GMD André de Ridder
Philharmonisches Orchester Freiburg