Premiere: 22. 2. 2014
Modern und werkgetreu
Rückblick eines Traumatisierten
Das Theater Freiburg kann wahrlich auf eine große Wagner-Tradition zurückblicken. In den vergangenen Jahren kamen an diesem schon oft bewährten Opernhaus im Breisgau geradezu sensationelle Produktionen von Musikdramen des Bayreuther Meisters zustande, die auch gesanglich Maßstäbe setzten. An dieses hohe Niveau vermag der jetzt neu herausgebrachte „Tannhäuser“, der in einer Mischfassung aus Pariser und Dresdener Fassung präsentiert wurde, nahtlos anzuknüpfen. Hier haben wir es mit einem geradezu preisverdächtigen Musterbeispiel in Sachen spannendes, hervorragend durchdachtes und einen überzeugenden psychologischen Einschlag aufweisendes Musiktheater zu tun. Während bei den vorangegangenen Freiburger Wagner-Produktionen immer Frank Hilbrich für die Inszenierung verantwortlich zeigte, hatte dieses Mal Eva-Maria Höckmayr, die dem Theater Freiburg bereits eine gelungene „Pique Dame“ beschert hatte, am Regiepult Platz genommen und dort eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie zu den ersten ihres Fachs gehört.
Christian Voigt (Tannhäuser), Chor
Nina von Essen hat ihr als Einheitsbühnenbild einen Kirchenraum mit Bänken und einer Kanzel entworfen. Ein im Hintergrund erhöht liegender kleinerer „Sakralraum“ dient Elisabeth, dem Landgrafen und zum Schluss auch Venus als stiller Rückzugsort, von dem aus sie gleichsam von einer erhöhten Warte aus das im unteren Bereich wie in einer Arena ablaufende dramatische Geschehen beobachten können. In diesem Ambiente hat die Regisseurin Wagners Werk in starken, oft sehr unter die Haut gehenden Bildern – so wird beispielsweise während des Bacchanals Elisabeth unter den Augen des hier persönlich auf der Bühne erscheinenden Papstes ans Kreuz geschlagen und anschließend zum Schnürboden emporgezogen – gekonnt modernisiert, ohne dabei dessen Wesensgehalt anzutasten. Sämtliche Regieeinfälle lassen sich aus dem Libretto heraus begründen, womit man diese gelungene Produktion trotz ihres zeitgenössischen Anstrichs als durchaus werkgetreu bezeichnen kann, wobei dieser nicht unproblematische Begriff ja sowieso längst einer Neudefinition harrt.
Frau Höckmayr rollt das Stück von hinten auf und setzt mit ihrer Interpretation in der Psyche des Titelhelden an. Das Kernereignis sieht sie in dem Bannfluch des Papstes, der bei ihr am Anfang des Geschehens steht. Dieses emotional in krassester Weise einschneidende Erlebnis löst in dem vergebens um Gnade flehenden Tannhäuser eine Psychose aus. Im Folgenden hält er eine Rückschau und durchlebt noch einmal alle positiven und negativen Ereignisse der Vergangenheit mit all ihren Emotionen, die sowohl positiver als auch negativer Natur sind. Dabei steht ihm ein Alter Ego zur Seite. Dem aufgewühlten, traumatisierten Inneren des Helden entspricht es, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend durchlässig werden und eine phantastische, surreal anmutende Traumwelt entsteht, die ihren Ursprung in Tannhäusers Seelenleben hat. In extremer Weise schwankt er zwischen Wirklichkeit und Phantasie hin und her, wobei ihm die Welt des Venusbergs eine Möglichkeit zur Verarbeitung seiner auf der Wartburg gemachten schlechten Erfahrungen bietet. Sie erscheint als Ort der Reflexion und auch der Sehnsucht. Letztere manifestiert sich auch in dem weiblichen Prinzip, verkörpert durch Venus und Elisabeth als zwei gleichermaßen notwendige Komponenten geistiger als auch sinnlicher Liebe.
Anna Nechaeva (Elisabeth), Christian Voigt (Tannhäuser), Jin Seok Lee (Landgraf)
Dieser Ansatzpunkt ist nicht mehr neu, wird aber gekonnt mit schonungsloser Radikalität durchgezogen. Während andere Regisseure mit derselben Idee beide Frauen ein und derselben Gesangssolistin anvertrauten, sind sie bei Eva-Maria Höckmayr in traditioneller Weise mit zwei Sängerinnen besetzt. Das ist in dieser Produktion aber auch nötig, denn häufig sind beide Damen gemeinsam auf der Bühne – manchmal real, teilweise aber auch in Form von überlebensgroßen Videoprojektionen. Das als ausgemachtes Zerrbild von Tannhäusers erotischen Phantasien mit äußester Rasanz in Szene gesetzte Bacchanal konfrontiert das Publikum nachhaltig mit teils reellen, teils imaginären Erscheinungsformen der beiden Damen, wobei es hoch erotisch hergeht. Nicht immer war das Durcheinander, das bei dieser Szene auf der Bühne herrschte, in allen seinen Einzelheiten genau zu erfassen. Dabei führt die Regisseurin den Zuschauer auch ein wenig an der Nase herum. Die traditionelle, von Julia Rösler mit einem herrlichen blauen Kostüm und einem Heiligenschein ausgestattete Madonna, die man zuerst für Elisabeth hielt, entpuppt sich auf einmal als Venus, die dem Minnesänger vor einem ziemlich rasch vollzogenen Kostümwechsel von dem „Sakralraum“ aus ihren entblößten Busen präsentiert. Auf der anderen Seite scheint eine in Form einer riesigen Videoprojektion auf die Wand geworfene, aber nur von hinten gezeigte splitternackte Frau, deren allmählichem Entkleidungsvorgang man vorher verfolgen durfte und in der man natürlich Venus zu erkennen glaubte, überraschenderweise Elisabeth darzustellen. Dass keine der beiden Liebesarten ohne die andere auskommt, beide sich gegeneinander bedingen und sogar austauschbar sind, wurde durch diesen genialen Regieeinfall nur allzu deutlich. Wenn sich am Ende des dritten Aufzuges Elisabeth und Venus im „Sakralraum“ zum ersten Mal richtig treffen, erfährt dieser Einfall noch einmal eine Bestätigung. Als die Nichte des Landgrafen ihre Rivalin auf einmal in diesem Gemach erblickt, das Venus zuvor auch schon einmal fast nackt betreten hatte, wird sie sich schlagartig über diese eherne Notwendigkeit klar. Bereits zuvor hat die Regie sie weniger als Heilige als vielmehr als sehr sinnliche Frau gezeichnet, deren auf die Wände projiziertes und auf diese Weise bewusst herausgestelltes vielsagendes Minenspiel Bände sprach. Dieses Konzept wird zudem durch eine Identifikation auf der Kostümebene bestätigt. Beide Damen dürfen sowohl ein in reinem Weiß gehaltenes als auch ein die Sünde ausdrückendes rotes Kleid tragen. In dem „Sakralraum“ stirbt Elisabeth dann auch.
Christian Voigt (Tannhäuser), Victoria Mester (Venus)
Auch die Vorführung der Wartburg als einer von einer fragwürdigen Doppelmoral geprägten Gesellschaft hat man schon ähnlich gesehen. Hier fühlte man sich ein wenig an Sebastian Baumgartens zu Unrecht so sehr gescholtener Bayreuther Inszenierung von Wagners Oper erinnert. Nicht nur einmal begibt sich der Landgraf in den „Sakralraum“ und beobachtet derart abgeschirmt das sinnliche Treiben. Er und sein Hofstaat sind sich der Präsenz des Venusbergs wohl bewusst. Jeder hat eine bestimmte Vorstellung von dieser Gegenwelt, artikuliert sie aber nicht. Das ist auch nicht erlaubt. Gegen dieses Verbot verstößt Tannhäuser, wenn er beim von der Kanzel aus geführten Sängerwettstreit dieses gesellschaftliche Tabu bricht. Er hat das Schweigegebot gebrochen und konfrontiert die fragwürdige Gemeinschaft mit einer für sie unangenehmen Wahrheit. Er fördert das zutage, was verborgen bleiben soll – ein Vorgang, der sich später beim Papst wiederholt. Dieser gehört in Frau Höckmayrs Interpretation ebenfalls zur Wartburgwelt und ist vielleicht sogar mit Landgraf Hermann verwandt. Derselben fragwürdigen Mentalität wie dieser verhaftet, ist es kein Wunder, dass er dem reuigen Büßer die Absolution verweigert. Dieser Einfall, Rom als verlängerten Arm der Wartburg zu zeigen, ist brillant.
Anna Nechaeva (Elisabeth), Christian Voigt (Tannhäuser), Viktoria Mester (Venus)
Lediglich Wolfram versteht es, geschickt zwischen sinnlicher und geistiger Liebe hin und her zu pendeln, ohne seinen Sängerkollegen dabei seine wahre Gesinnung zu offenbaren. Zu Elisabeth pflegt er eine innigere Beziehung als es in sonstigen Produktionen des Werkes der Fall ist, gerät mir ihr auch mal in körperlichen Kontakt und auch Küsse werden ausgetauscht. Gleichzeitig ist er aber auch Venus sehr zugetan und macht aus seinem Lied an den Abendstern ein an sie gerichtetes Liebesbekenntnis. Da sie ja der Abendstern ist, ist diese Idee von Frau Höckmayr nur zu berechtigt. Es ist schon ein tolles Versteckspiel, dass Wolfram mit der manchmal auch in Form von Filmprojektionen vorgeführten und beim Sängerkrieg auf Galerien sitzenden Wartburggesellschaft da treibt. Im dritten Aufzug warten alle Sänger im Kollektiv auf die Rückkehr Tannhäusers. Fast wahnsinnig anmutend rennt die verzweifelte Elisabeth in ihrem Kreis umher und bricht schließlich zusammen. Auf dem Boden liegend bricht sie in hysterisches Lachen aus. Später lauschen alle gemeinsam auch der Romerzählung Tannhäusers, der inzwischen ein gehöriges Maß an Selbsthass entwickelt hat. Der Ekel vor der in einem ewigen Kreislauf von Sünde und Vergebung gefangenen Welt lässt ihn zu guter Letzt zugrunde gehen.
GMD Fabrice Bollon hatte das bestens disponierte Philharmonische Orchester Freiburg gut im Griff und ließ es bereits in dem Bacchanal in tristanhaft berauschenden und gewaltigen eruptiven Klangwogen glänzen. Sein Dirigat war ausdrucksstark und energiegeladen und trotz einiger Stellen, die man sich vielleicht etwas leiser gewünscht hätte, auch recht differenziert.
Alejandro Lárraga Schleske (Wolfram), Chor
Bei den Sängern hatte an diesem Premierenabend leider der Krankheitsteufel zugeschlagen. Getroffen hatte es ausgerechnet den Vertreter der Titelrolle Christian Voigt, der sich dankenswerterweise bereit erklärt hatte, trotz einer starken Erkältung zu singen. Diese machte ihm im Lauf des Abends aber immer mehr zu schaffen. Nach einem noch relativ gut durchgehaltenen ersten Aufzug wurde seine Tongebung im zweiten Akt insbesondere in der Höhe immer flacher und im dritten Aufzug, den er kaum noch durchhielt, kam es auch zu stimmlichen Einbrüchen. Im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte müsste er ein guter Tannhäuser sein. Der OPERNFREUND wünscht gute Besserung. Eine Hoffnung für das hochdramatische Sopranfach stellt Anna Nechaeva dar, die sich mit fulminantem, insgesamt gut durchgebildetem Sopranmaterial und großer vokaler Intensität in die Partie der Elisabeth stürzte. Manchmal wollte sie stimmlich indes zu viel geben, woraus eine etwas flackernde Tongebung entstand. Ein derartiges Übermaß an Stimmkraft hat sie bei ihren tollen vokalen Qualitäten nicht nötig. Vorsicht kann man da nur sagen, das kann sich womöglich eines Tages rächen. Weniger wäre mehr gewesen! Als Venus war ihr die über einen sinnlichen, tiefgründigen und dabei bestens gestützten Mezzosopran verfügende Viktoria Mester eine treffliche Gegenspielerin. Weiterentwickelt hat sich Alejandro Lárraga Schleske, der einen schönen, lyrisch grundierten Wolfram sang und nur bei Pianissimi manchmal etwas vom Körper weg ging. Einen wunderbar sonoren, italienisch geschulten Bass brachte Jin Seok Lee für den Landgrafen Hermann mit. Und in dem den Walther von der Vogelweise mit strahlendem, hervorragend focussiertem Heldentenor singenden Roberto Gionfriddo wächst ein guter Tannhäuser nach. Nicht sein derzeit gewohntes Niveau erreichte der Biterolf von KS Neal Schwantes, dessen Tongebung etwas trocken wirkte. Vokal unauffällig blieben Shinsuke Nishioka (Heinrich der Schreiber) und Andrei Yvan (Reinmar von Zweter). Nachhaltig machte dagegen der junge David Rother auf sich aufmerksam. Noch nie hat man einen so guten, kraftvollen Knabensopran den jungen Hirten singen hören. Auf hohem Niveau entledigte sich der von Bernhard Moncado hervorragend einstudierte Chor und Extrachor seiner Aufgabe. Für die ebenfalls treffliche Vorbereitung des Kinder- und Jugendchors zeigte Thomas Schmieger verantwortlich. Tannhäusers stummes Alter Ego wurde von Eduard Martens verkörpert.
Fazit: Eine ungemein mitreißende, stringent umgesetzte und atmosphärisch dichte Produktion, die dem Theater Freiburg zu großen Ehren gereicht und deren Besuch sehr empfohlen wird.
Ludwig Steinbach, 23. 2. 2014
Die Bilder stammen von Maurice Korbel.