„Erkennen Sie die Melodie?“ Ältere Opernfreunde erinnern sich sicherlich an die musikalische Quizsendung mit diesem Titel, die in den 1970/80er-Jahren im ZDF lief, und daran, dass die Titel-Melodie aus der Ouvertüre zur Oper Donna Diana von Emil Nikolaus von Reznicek (1860-1945) stammt. Mehr von ihm, vom Inhalt der genannten Oper oder gar weitere Opern sind völlig in Vergessenheit geraten. Anlässlich der Wiederaufführung seiner Volksoper Till Eulenspiegel im Theater für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim hier ein paar Hinweise zu Leben und Werk des Komponisten: Aufgewachsen in seinem Geburtsort Wien und später in Graz, erhielt er ersten Klavierunterricht mit 11 Jahren; er studierte zunächst Jura, bestand aber das erste Staatsexamen – möglicherweise absichtlich – nicht. Anschließend wurde ihm endlich erlaubt, seine bereits neben dem Jura-Studium erfolgte musikalische Ausbildung fortzusetzen, nun in Leipzig. In der Folgezeit war er als Kapellmeister in verschiedenen Theatern tätig, u.a. in Zürich, Stettin, Berlin und schließlich ab 1896 in Mannheim. Als Reznicek nach dem Tod seiner ersten Frau seine künftige Frau Berta kennenlernte, lebte diese zwar schon von ihrem ersten Ehemann getrennt, war aber noch nicht geschieden. Dass das junge Paar dennoch offen zusammenlebte, war für jene Zeit ein Skandal, zumal als 1898 der gemeinsame Sohn Emil-Ludwig unehelich zur Welt kam. Reznicek wurde danach aus seiner Mannheimer Stellung geradezu herausgemobbt. Er zog nach Wiesbaden, wo er seine 1902 uraufgeführte Volksoper Till Eulenspiegel komponierte,in der er die Mannheimer Erlebnisse verarbeitete. 1903 übersiedelte die Familie nach Berlin, wo von Reznicek bis zu seinem Tod 1945 lebte.

Emil Nikolaus von Reznicek gehörte im beginnenden 20. Jahrhundert zu den äußerst erfolgreichen Komponisten und wurde von Gustav Mahler, Richard Strauss und Alban Berg sehr geschätzt. Sein kompositorisches Schaffen ist in allen Bereichen äußerst vielfältig; eine ganze Reihe von Opern und Chorwerken stehen neben viel Sinfonik, Klavier- und Kammermusik sowie Liedern. Dass es nach 1945 nur vereinzelt Wiederaufführungen seiner Werke gab, mag daran gelegen haben, dass sein Bild in der Zeit ab 1933 jedenfalls nach außen widersprüchlich wirkte. Er wurde 1934 zum deutschen Delegierten des neu gegründeten Ständigen Rats für internationale Zusammenarbeit der Komponisten gewählt, einer Institution, die als Nazi-Organisation galt. Tatsächlich stand der mit einer Jüdin verheiratete von Reznicek den neuen Machthabern wohl eher kritisch gegenüber; er soll sein Amt dazu genutzt haben, Werken zur Aufführung in Deutschland zu verhelfen, die die Nationalsozialisten nicht ohne Weiteres akzeptiert hätten. Seinen Zeitgenossen galt er als sehr streitbar. In Hildesheim gibt es seit 2020, dem Beginn der Intendanz von Oliver Graf, in jeder Saison eine Trilogie, d.h. alle Sparten beschäftigen sich in einem einheitlichen Bühnenbild mit demselben Stoff. Diesmal ist es Till Eulenspiegel, der sein „Unwesen“ in der Oper treibt, ab Januar 2026 im Schauspiel von Moritz Nikolaus Koch und ab April in einem partizipativen Tanzstück. In der Oper werden in zwei Akten und einem Nachspiel drei Episoden aus Tills Leben behandelt: Dem vom Komponisten selbst verfassten Libretto liegt Fischarts Eulenspiegels Reimensweiß von 1572 zugrunde; so erklärt sich der altertümelnde Text des Librettos. Aber auch der Eulenspiegel-Roman von Charles de Coster von 1872 gilt als Vorlage, weil der Roman zur Zeit der Bauernkriege spielt und sozusagen operngerecht eine Liebesgeschichte enthält. Es beginnt 1525 in Kneitlingen am Elm, dem Geburtsort Eulenspiegels, wo Till seiner besorgten Mutter mitteilt, dass er künftig als Narr durch die Welt ziehen wolle. Auf dem Marktplatz trifft er auf die Milchfrau Gertrudis, und die beiden verlieben sich ineinander. Es geht nun gleich hochdramatisch zu, als Till von Opfern seiner Streiche beim kaiserlichen Vogt Uetz von Ambleben angeklagt wird, der Till zum Tod verurteilt. Mit List und Tücke erreicht Till jedoch die Umwandlung der Strafe in eine dreijährige Verbannung. Der zweite Akt spielt auf der Burg Ambleben drei Jahre später. Uetz terrorisiert mittlerweile die Bevölkerung mit ständigen Raubzügen. Till kehrt als verkleideter Mönch zurück und ermöglicht den Bauern, die Burg zu stürmen. Gemeinsam mit Gertrudis, die auf ihn gewartet hat, zieht er in die Welt hinaus. Im Nachspiel sind viele Jahre vergangen, als der todkranke Till in ein Spital zurückkehrt, das von Uetz und seinem Kumpanen, dem gegenüber Gertrudis übergriffigen Doctor, geführt wird. In einem letzten Streich gelingt es ihm, im Hospital aufgenommen zu werden, wo er gelassen von der Welt Abschied nehmen kann. Eine Überraschung ist die Musik, die nach Tills Tod folgt; sie suggeriert, dass Eulenspiegel zumindest als Idee irgendwie weiterlebt.

Regisseur Jan Langenheim verzichtete wohltuend auf eine Aktualisierung des Bühnengeschehens, wenn man davon absieht, dass es als einzige aktuelle Anspielung deutsche und ukrainische (!) Untertitel gibt – schließlich spielt die Oper während eines schrecklichen Krieges. Das einfache, mit grauen Stoffvorhängen versehene Bühnenbild von Lars Linnhoff ist auch in den anderen Stücken über Till Eulenspiegel gut verwendbar. Vor diesem Hintergrund konnte Amelie Müller mitmärchenhaften und dadurch zeitlos wirkenden Kostümen in bunten Farben schwelgen. Insgesamt ist dem TfN eine unterhaltsame Produktion gelungen, wozu die vielseitige, teilweise lautmalerische Musik mit einigen Wagner-Anklängen, auch unter Verwendung historischer Texte und Melodien ganz wesentlich beitrug. Garant dafür war der scheidende GMD Florian Ziemen, der die gut disponierte TfN-Philharmonie stets zu schwungvollem Musizieren, aber auch zum Auskosten der mehr lyrischen Szenen animierte.
Auffällig war die große Spielfreude aller Mitwirkenden, die ausgesprochen lebhaft zu agieren hatten und die mit der sängerisch anspruchsvollen Partitur bestens zurecht kamen. Da ist zuerst in der Titelrolle der puertoricanisch-amerikanische Tenor David Soto Zambrana, seit dieser Spielzeit neu im Hildesheimer Ensemble, zu nennen. Er beeindruckte durch sein quirliges, fast tänzerisches Auftreten und seine in allen Lagen markige, durchgehend intonationsreine Stimme. Ebenfalls neu im Ensemble ist die Litauerin Gabrielė Jocaitė als entzückendeGertrudis, die mit blitzsauberem, höhensicherem Sopran imponierte.

Mit witziger Bühnenpräsenz bewährten sich alsüber alle Maßen korrupter kaiserlicher Vogt Uetz von Ambleben Tobias Hieronimi und der Kanadier Andrey Andreychik als urkomischer Doctor mit abgerundetem, wohlklingendem Bariton. In kleineren Partien überzeugten jeweils in mehreren Rollen Julian Rohde und der Südafrikaner Eddie Mokofeng.
Zwischen dem 2. Akt und dem Nachspiel traten die genannten Protagonisten vor den Vorhang und verlasen in ihrer Muttersprache belehrende Texte zu den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts und Hinweise darauf, dass die Idee Till Eulenspiegels immer weiter leben wird – eine im Ergebnis unnötige Unterbrechung des Spielablaufs, die wohl wegen des Umbaus zum Nachspiel im Spital erforderlich schien.
Neele Kramer gab mit gewohnt kultiviertem Gesang Tills besorgte Mutter; mehrere Chorsolisten ergänzten passend. Überhaupt waren der Opernchor des TfN und der Extrachor von Achim Falkenhausen sorgfältig vorbereitet worden, sodass die vielen ebenfalls recht anspruchsvollen Chorstellen abgewogen und wie gewohnt differenzierend erklangen.
Das leider nur spärlich erschienene Publikum spendete kräftigen und lange anhaltenden Applaus für alle Mitwirkenden. Ob die vielschichtige, nicht immer auf Anhieb überzeugende Volksoper den Weg ins Repertoire schafft, erscheint eher zweifelhaft.
Gerhard Eckels, 16. November 2025
Till Eulenspiegel
Emil Nikolaus von Reznicek
Hildesheim – Theater für Niedersachsen (TfN)
Besuchte Vorstellung am 15. November 2025
Premiere am 30. August 2025
Inszenierung: Jan Langenheim
Musikalische Leitung: Florian Ziemen
TfN-Philharmonie