Premiere am 21.3.2015
Interessante Visualisierung eines Herrschaftsanspruchs
Nach über 17 Jahren hat nun auch die Ungarische Staatsoper Budapest wieder einen neuen „Ring des Nibelungen“ begonnen, nachdem der Palast der Künste (MÜPA) schon seit etwa 2007 auf seinen Wagner-Tagen einen halbszenischen „Ring“ zeigt. Die Staatsoper wartet an diesem Abend im „Rheingold“ mit einem interessanten neuen Regiekonzept des Regisseurs Géza M. Tóth und seiner Dramaturgin Eszter Orbán auf. Tóth kommt vom Film, hat schon 2013 die Matthäus-Passion visuell interpretiert und versteht sein phantasievolles Handwerk offenbar sehr gut. Mit seiner visuellen Ästhetik ist sicher auch die Chance geboten, ein jüngeres Publikum für die Oper zu interessieren, wobei Tóth sich durchaus daran hält, die Geschichte zu erzählen. Es beginnt aber erst einmal relativ konventionell. Noch vor dem Erklingen des Vorspiels aus der Tiefe des Rheins sehen wir genau in diese – gemächlich scheint sich das Wasser zu wiegen, in dem die drei Rheintöchter auf Schaukeln auf und ab schweben. Sie sehen aus wie Barbie-Puppen in knallbunten Rüschchenkleidern. Eszter Wierdl als Woglinde, Krisztina Simon als Wellgunde und die Mezzosopranistin Melinda Heiter als Flosshilde agieren souverän und singen mit klangvollen Stimmen bei guter Diktion und stimmlichem Ausdruck. Unten angekommen, macht sich ein äußerst korpulenter Alberich chancenlos im Wasser plantschend von einem Riff auf, sie an sich zu ziehen – es bleibt ihm von jeder nur ein Teil des Kleids in der Hand. Immerhin, darin kann er nun das „Rheingeld“ packen. Denn als der Weckruf des Goldes erklingt, sieht man schemenhaft Münzen auf den Grund des Rheines schweben. Man ahnt schon, wo das am Ende hinführen wird…
Nun aber wird es ebenso interessant wie ungewohnt. Während des Orchesterzwischenspiels erlebt man einen visuellen Sog mit Myriaden von Konstruktionselementen, die langsam aber sicher auf höchste Bergeshöhen führen und für Walhall eine Art Wolkenkuckucksheim auf einem Inselberg inmitten üppiger Vegetation freigeben. Die Götter werden auf der Bühne sichtbar, es ist im wahrsten Sinne des Wortes das im Siegfried später von Alberich so charakterisierte „leichtsinnige, lustgierige Göttergelichter“. Kostüm- und Maskenbildnerin Ibolya Bárdosi hat kräftig und scharf überzeichnend in die Popart-Kiste gegriffen. An einer eleganten Bar mit zarten Glühlichtern als Freias Äpfel scrolled Donner in hellblauem Anzug mit zerzaustem weißem Haar und aufgeblasenem Plastikhammer gelangweilt am Handy. Froh in Froschgrün mit einer Frisur aus dem 18. Jahrhundert ist ganz in seinen Kopfhörer verliebt. Fricka will Wotan in einem beigen Kleid mit Riesenschleife gefallen, und die dann hinzukommende Freia ganz in Rosa sieht aus wie eines der Kinder von Bullerbü.
Nur Wotan, bereits jetzt mit schneeweißem Haar und Silbermantel, scheint in eine weite Ferne zu starren und über ein Weltkonzept zu sinnieren. Dieses bildet sich langsam als ein großer Ring, als ein Gradnetz oder eher noch eine Weltkugel aus mit unzähligen Bildern von herrlichen Landschaften, Gebäuden, Phantasielementen, aber auch vielen Cybercodes und Datengruppen. Offenbar ein komplexes und schwer zu beherrschendes Gebilde, welches immer dann an Struktur und Farbe verliert, wenn Wotans Weltpläne durch den Handlungsablauf in Schwierigkeiten geraten. Das aus sieben Akteuren bestehende szenische Projektionsteam Tóths erzielt den ganzen Abend über oft traumartige visuelle Effekte mit der Projektion von vorn und hinten auf halbtransparente Folien, die auch leicht zum plötzlichen Erscheinen und Verschwinden von Figuren genutzt werden. So scheinen die Riesen aus sternenferner Distanz zu kommen und stehen als silberne Cyberfiguren auf einmal mit Freia auf einem Podest vor den Göttern, ihren Lohn für Walhall fordernd.
Das Regieteam kombiniert die dominierenden visuellen Effekte theatralisch gekonnt mit den wenigen plastischen Bühnenbildern von Ildikó Tihanyi und einer guten Personenregie. Hier spielt Loge in hellgrünem Anzug mit Feuerschopf die tonangebende Rolle. Adrian Eröd merkt man bei seiner großen darstellerischen Souveränität die Erfahrung mit der Rolle an, die er auch ausdrucksvoll mit großem Volumen und bester Phrasierung singt. Mit klangvollem Bass und sehr wortdeutlich gestaltet Krisztián Cser den Fasolt. Seine Mahnungen an Wotan Mihály Kálmándi, der den Gott mit seinem warm timbrierten und sowohl in der Höhe wie in der Tiefe bestens ansprechenden Bassbariton und als stets souverän agierenden Gott singt, wird zu einer der intensivsten Szenen des Abends. Judit Németh gibt eine schmeichelnde Fricka mit gutem Mezzo. Zoltán Nyári ist ein aktiver Froh mit kräftigem Tenor, und Géza Gábor ein stimmlich etwas weniger ausdrucksstarken Fafner. Bori Keszei als Freia mit einer etwas engen Höhe und Sándor Egri mit leicht rustikaler Tongebung fallen etwas vom allgemein guten Ensemble ab.
Dass der Regisseur mit seinem Konzept subtil auch Kapitalismuskritik akzentuiert, um die es Wagner bei seinem Werk ja auch ging, wird insbesondere beim Orchesterzwischenspiel zum Nibelheim-Bild deutlich. In rasender visueller Fahrt zieht man an den Walhall-Lofts der Superreichen vorbei, die sich wie ein Blick in einen Prospekt für Luxuswohnungen in Florida ausnehmen, bevor es dann nach unten geht und man die Billiglohninsignien der fernöstlichen Elektronikindustrie erlebt, die offenbar für die Reichen oben produzieren. Am Ende landet man bei den Abfällen dieser Hochzivilisation in Nibelheim – die Projektionen zeigen hier Konturen von Müllkippen und zerstörter Natur. Dass dieser „Ring“ offenbar dennoch zeitlos sein soll, ist am tatsächlich aus viel Gold bestehenden Nibelungenschatz zu erkennen, der künstlerische Elemente der Zivilisation andeutet. Nachdem Zoltán Megyesi einen prägnanten Mime gesungen hat, kommt hier das schauspielerische Talent von Marcus Jupither als Alberich zum Tragen, der den Schatz und seine Vermehrung als Feldwebel überwacht. Der Riesenwurm wird lebhaft visuell suggeriert, mit der Kröte macht ihn die Regie als Feldwebel zur Karikatur. Sein verzweifelter Fluch mit einer Art Urschrei im 4. Bild geht dann aber wahrlich unter die Haut. Stärker konnte man den totalen Absturz in die Bedeutungslosigkeit kaum zeigen.
Als dann endlich die stimmlich großartige Erika Gál als Erda mit der Unterbühne aus der Tiefe der Erde auftaucht, Wotan ganz ähnlich in Silbertönen gekleidet, kann das Innehalten kaum größer sein. Die Mahnung ist stark, man spürt bereits hier die Wendung in Wotans Kopf zur „Walküre“. So ergreift er folgerichtig beim „großen Gedanken“ im Orchester das Schwert, welches die Riesen beim Einkisten des Schatzes liegen ließen. Hier kommt dann doch noch etwas Mythos: Loge verbrennt sich fast die Finger bei seiner neugierigen Begutachtung. Am Schluss stehen jedoch Geld und Konsum und bilden die Klammer zur Rheinszene: Bei der finalen Musik zum Einzug nach Walhall – die Götter sind längst abgegangen – stürmen Konsumenten nahezu kopflos einen Supermarkt und versuchen, die Warenkörbe so schell wie möglich mit allerlei Tand voll zu bekommen. Schockierender Schlusspunkt einer immer wieder wegen ihrer heftigen Unkonventionalität zum Grübeln anregenden „Rheingold“-Inszenierung.
Der junge GMD der Ungarischen Staatsoper, Péter Halász, unterstrich mit dem Orchester den Erzählcharakter des Werkes, mit herrlich klaren Linien und viel Liebe zum Detail und trug ganz wesentlich mit seinem Dirigat zum Erfolg des Abends bei. Halász regte die Musiker zu intensiver Gestaltung ihrer Soli an, fand in den entsprechenden Momenten aber auch stets den großen Bogen in Verbindung mit dem Handlungsgeschehen. So erklang der musikalische Part in enger Symbiose mit der Visualität und ihrem Changieren auf der Bühne. Großer Applaus des ungarischen und auch aus dem Ausland angereisten Publikums, der für die beiden wahrlich herausragenden Protagonisten Adrian Eröd und Marcus Jupither sowie Péter Halász und das Orchester am stärksten ausfiel. Man darf gespannt sein, wie es mit dieser ungewöhnlichen Konzeption in der „Walküre“ weiter geht.
Klaus Billand, 2.4.2015
Fotos: Attila Nagy