Ballette, die Frauennamen im Titel tragen, sind beim Publikum besonders beliebt – Dornröschen, Giselle, Raymonda, Die Kameliendame. Ob sich „Marie Antoinette“ von Thierry Malandain, 2019 in Versailles uraufgeführt, bei den großen, erfolgreichen Handlungsballetten einreihen wird, möchte man bezweifeln, wenn die vorweihnachtliche Premiere in der Wiener Volksoper auch freundlich aufgenommen wurde.

Eine Generation, die in ihrer Jugend noch (und mit ziemlicher Faszination) die „Marie Antoinette“-Biographie von Stefan Zweig gelesen hat, wird sich in groben Zügen dabei auskennen, was die Handlung auf der Bühne bedeuten soll. Die anderen mögen sich an den im Programmheft aufgelisteten Szenenablauf halten – und werden trotzdem nicht ganz klug werden. Die Handlungsführung ist, gelinde gesagt, diffus.
Zu Beginn erlebt man, wenn man sich nicht irrt, die an Töchtern überreiche Kinderkammer bei Kaiserin Maria Theresia in Wien. Dann ist die hübsche junge Marie Antoinette schon in Paris, aber als sie sich mit dem Gatten ins Bett legt, dreht er sich weg (wie bekannt hat Ludwig XVI. damals noch Dauphin, die Ehe erst nach Jahren vollzogen). Dass ihr das Leben in Versailles gefällt, wird in zahlreichen Tanz-Ensembleszenen bewiesen, die für ihre Länge allerdings ein bißchen einförmig sind.
Dass die Dame in Rot die eifersüchtige Madame du Barry sein soll (die Mätresse des noch regierenden Ludwig XV., von Marie Antoinette verächtlich behandelt), muss man ebenso wissen wie die Identität anderer auftauchender Figuren (im Ballett können sie sich ja nicht sprachlich vorstellen…). Wenn Marie Antoinette, mittlerweile offenbar Königin von Frankreich, einmal eine Perücke trägt (harmlos im Vergleich zu dem, was auf Gemälden auf ihrem Kopf thront), nimmt man es als Symbol eines überbordenden Hoflebens. Ganz klar wird die Sache, wenn ein paar Schäfchen auf die Bühne gestellt werden: Marie Antoinette hat, wie es Leuten, denen langweilig ist, schon mal einfällt, schlichtes „Landleben“ gespielt. (Allerdings ohne Mist schupfen oder Kühe melken, versteht sich – sie war eben ein wenig naiv). Und mit einem attraktiven jungen Mann (es soll der Graf Fersen sein), ist sie wohl ins Bett gegangen…
Da, wo alles so hübsch ist, kann man sich schwer vorstellen, wie der Choreograph die Kurve zu dem grauenvollen Ende von Maria Theresias Tochter nehmen will. Das schlichte Bühnenbild, das nur ringsum aus hohen Türen besteht (Bühnenbild und Kostüme: Jorge Gallardo) wird plötzlich schwarz verhängt, zur Musik erklingen (allerdings nur diskret leise) Töne von revolutionären Gesängen, die Hofgesellschaft verwandelt sich in schwarzes, revoltierendes Volk. Und – er wird doch nicht die Guillotine auf die Bühne bringen? Nein, Gott sei Dank – das Königspaar steht in Schwarz bewegungslos da, das Beil fällt, man hört es nur, Vorhang.

Thierry Malandain, hoch gelobt (im Internet heißt es etwa: „Seine zeitgenössische Interpretation eines neoklassizistischen Tanzstils macht ihn zum Solitär unter den französischen Choreografinnen und Choreografen.“) hat viel getan, um aus seiner „Marie Antoinette“, die nicht viel mehr als eineinhalb pausenlose Stunden dauert, ein „g’schmackiges“ Ereignis zu machen (wie man in Wien sagt). Schon allein die Wahl der Musik ist fast ideal – ein bißchen Gluck (er war in Wien, als Maria Antonia, wie die Erzherzogin damals hieß, ein Kind war, er war in Paris, als sie dort zur Königin geworden war) und sehr viel Haydn, also Zeitgenössisches zur Titelheldin, dabei gerade Haydn kostbar – eine Musik, die sowohl tänzerisch sein kann wie auch durchaus Dramatisches anzeigt und herrlich Virtuoses in den vielen kleinen Soloauftritten einzelner Instrumente bietet: Hier hat das Volksopern-Orchester unter Christoph Altstaedt einen großen Abend.
Die Ausstattung lebt vor dem schlichten Hintergrund von den Kostümen, raffiniert nicht wirklich „Rokoko“, aber doch das Gefühl von Leichtigkeit und Schönheit vermittelnd, vor allem die Damen (alle mit scheinbar bis zur Taille nacktem Rücken) prunken in Röcken, die mit Volants und Räuschen und Pastellfarben reizvoll sind.
In der „Neoklassik“ des Choreographen gibt es eine Effektszene mit riesigen Fächern, die zwar wie ein Element aus einer der bekannten chinesischen Super-Shows wirkt, aber dem Auge des Publikums etwas bietet. Im übrigen wird viel „getanzt“, allerdings hat man das Gefühl, dass hier mehr gekonnte Routine als echte Kreativität herrscht… Irgendwie läuft der Abend hübsch, bunt und ein bißchen dünn ab, ohne große Höhepunkte, auch ohne besondere Charakterisierung der Figuren.
Elena Bottaro ist eine bildhübsche Marie Antoinette, als ihre Mutter, ganz in Schwarz, darf Rebecca Horner ein bißchen Ausdruckstanz beisteuern, die Herren (Andrés Garcia Torres als Ludwig XVI. oder Aleksandar Orlić als Graf Fersen) sehen gut aus, gewinnen aber kein besonderes Profil (und die anderen noch weniger). Die Szenen aus Glucks „Perseus“-Ballett (das tatsächlich zu Marie Antoinettes Hochzeit aufgeführt wurde) setzen einen starken Akzent in der Pastell-Welt.
Das Publikum merkte an Generalpausen des Dirigenten, dass Applaus angesagt war, der im Allgemeinen eher zögerlich kam (nur die „Fächer“ wurden bejubelt), am Ende war die Aufnahme freundlich.
Marie Antoinette sei „heimgekehrt“, heißt es von Seiten der Volksoper. Diese arme Tochter Maria Theresias, die aus dynastischen Gründen zwangsverheiratet wurde, hatte nicht so viel Glück wie ihre Schwester Marie Christine, die den Mann ihrer Liebe heiraten und daheim in Ruhe sterben durfte.
Renate Wagner 21. Dezember 2025
Marie Antoinette
Ballett von Thierry Malandain
Volksoper Wien
Premiere: 20. Dezember 2025
Dirigat: Christoph Altstaedt
Volksopern-Orchester