Volksoper, 24.9.2020
Ein Plädoyer für die Originalsprache
Die Produktion „nach“ Guy Joosten (Inszenierung) im Bühnenbild von Johannes Leiacker ist konventionell, die Geschichte wird erzählt (warum ein Kind des Chores mit einem Skateboard herumläuft und sich zum Ende des 1.Aktes Carmen von Moralés anstatt von Don José losreißt kann ich zwar nicht nachvollziehen, aber das ist nur eine Randbemerkung). Alles ist etwas düster, kein Vergleich zur Zeffirelli-Inszenierung an der Staatsoper. Trotzdem ist es dem Regieteam sehr gut gelungen, die Massenszene zum Beginn des 4.Aktes gut umzusetzen, ohne die Bühne zu bevölkern. Weniger Stühle wären auch ein Plus gewesen, das Hin- und Hergerücke im 1.Akt störte doch sehr (aber so war zumindest der Chor beschäftigt). Dass die Requisiten von Männern, die einen Mund-Nasen-Schutz trugen, bewegt wurden – das war wahrscheinlich ein dem Covid 19 – Virus verschuldeter Gag. Im Vergleich zu Staatsoper wurden auch einige Stellen gestrichen (zum Beispiel im 2.Akt die Ballettszene), das fällt aber nicht ins Gewicht.
Mit der Entscheidung der Verantwortlichen diese Produktion nicht in der Originalsprache, sondern auch Deutsch aufführen zu lassen, hat man niemanden etwas Gutes getan, am wenigsten den ausführenden Künstlern. Die französische Sprache hat eine ganz andere Sprachmelodie also das doch etwas harte Deutsch – und schmerzlich merkte man, dass Musik und Sprache überhaupt nicht zusammenpassten. Alles Sänger taten sich schwer damit und so ist es auch schwierig ein objektives Urteil über die Leistungen zu fällen. Es war so, als ob ein Sprinter beim 100m – Lauf mit einer Betonmanschette auf einem Fuß antreten musste. Dadurch wurde auch der Hörgenuss des Publikums beeinträchtigt, und dass es schwer ist, für solche solitären Produktionen Gäste zu gewinnen, steht auch außer Frage. Wer möchte sich schon die Arbeit antun, für vielleicht 4-5 Auftritte einen komplett neuen Text zu lernen? Durch die Übertitel ist es jedem möglich, den Text zu verfolgen – und von einem Opernbesucher kann man doch annehmen, dass er/sie in der Lage ist zu Lesen… Und wenn wir schon dabei sind – da könnte man auch den ORIGINALTEXT miterleben anstatt einer deutschen Übersetzung (in diesem Fall von Walter Felsenstein), die oft gar nichts mit dem Original zu tun hat. Ein Beispiel – in Carmens Auftrittsarie „L’amour est un oiseau rebelle“ wird das Wort „Zigeuner“ nie erwähnt (wenn man jetzt auch vergisst, dass dieser Ausdruck in Zeiten wie diesen politisch unkorrekt ist). Also – cui bono ?!???
Ich entschuldige mich bei den Lesern für mein Abschweifen, aber ich denke, es sollte einmal gesagt sein.
Die Vorstellung wurde von Anja Bihlmaier am Pult geleitet. Subtilität war ihre Sache nicht – das Orchester der Wiener Volksoper folgte ihren Anweisungen folgsam. Entzückend sang und spielte der Jugendchor und Kinderchor der Volksoper Wien, der übrigens nach Ende der Vorstellung den größten Applaus erhielt. Ein Lob auch an den Chor der Volksoper Wien.
Als Carmen konnte Zoryana Kushpler, langjähriges Ensemblemitglied im Haus am Ring, darstellerisch absolut überzeugen. Es gelang ihr, die laszive und selbstbewusste Frau sehr gut zu verkörpern. Ihr slawisch klingender Mezzo hat ihre Stärken in der Mittellage und in den unteren Registern – ansonsten kann ich nicht wirklich ein endgültiges Urteil fällen, zu sehr hindert der deutsche Text die Entfaltung der Melodiebögen. Für die Künstlerin ist es sicherlich ein Genuss einmal im Mittelpunkt einer Aufführung zu stehen – was man ihr eindeutig anmerkte!
Don José – nun, da gibt es zu berichten, dass es schön wäre, wenn man sich auf eine gemeinsame Aussprache des Namens einigen könnte. Micaela sprach über ihn als „Don Schosé“, andere benutzten „Don Chosé“ – das ist vielleicht eine Kleinigkeit, ich empfand das aber doch als störend – vielleicht findet man eine Lösung für die nächsten Vorstellungen. Für Mehrzad Montazeri ist der José stimmlich eine Grenzpartie – vielleicht hatte der Künstler nicht den besten Abend, doch es fiel auf, dass er bei den exponierten Stellen seine Stimme immer mehr zumachte – die Anstrengung fiel auf. Eine sehr schöne Mittellage zählt zu den positiven Seiten. Darstellerisch überzeugte er in den Eifersuchtsszenen, aber im 1.Akt hielt er sich sehr zurück, er wirkte wie ein schüchterner Bub. Dass er plötzlich für Carmen entflammt war eher unglaubwürdig.
Eine der dankbarsten Rollen im Repertoire eines lyrischen Soprans ist die der Micaela – das junge Mädchen ist eine absolute Sympathieträgerin, der Bizet im 3.Akt eine wunderschöne Arie geschrieben hat – der an diesem Abend durch die deutsche Übersetzung (und ja, ich weiß, dass ich mich wiederhole) viel an Wirkung genommen wurde. Anja-Nina Bahrmann stellte die Micaela sehr glaubhaft dar.
Alik Abdukayumov gastiert sei 10 Jahren immer wieder an der Volksoper und verkörperte wieder den Escamillo. Er sang ihn zufriedenstellend (entre nous – gab es seit Samuel Ramey einen Sänger, der in dieser Rolle mehr als zufriedenstellend war) und war auch ein Opfer der fürchterlichen Übersetzung.
Als Schmuggler agierten rollendeckend Elisabeth Schwarz (Frasquita), Manuela Leonhartsberger (Mercédès), Karl-Michael Ebner (Remendado) und Marco di Sapia (Dancairo). Alexandre Beuchat als Moralès legte eine Talentprobe ab und verblüffte mit einem gelungenen Sprung über einen Stuhl. Positiv fielen auch Maximilan Klakow als Zuniga und in der im Vergleich zur Staatsopernproduktion aufgewerteten Rolles des Lillas Pastia Georg Wacks auf.
Es war ein interessanter Abend, das Publikum war zufrieden – und ich möchte auch betonen, dass wir in Österreich uns glücklich schätzen können, dass die Theater (wenn auch eingeschränkt) wieder offen sind.
Kurt Vlach, 29.9.2020