Wien, Ballett: „A Winter’s Tale“, Joby Talbot

Bitte, kennen wir uns hier in solch einer fließenden Szenenfolge und bei den Zeitsprüngen in der wirren Handlung auch wirklich aus? Choreograph Christopher Wheeldon lockt uns in eine ungemein lebendige Bilderwelt. „The Winter´s Tale“ steht über dem Abend. Nun, wohl kein Märchen, doch ein leicht dämmriges Phantasiespiel, den Spuren des William Shakespeare folgend. Dessen Romanze „Ein Wintermärchen“ zählt nicht zu den Shakespeare-Hits, bietet auch keine gerade plausible Erzählung. Und doch, der von krankhafter Eifersucht getriebene König von Sizilien so wie Prinz, Prinzessin und das Gefolge auf seinem Hof, dazu noch der König von Böhmen und dessen Hofgesellschaft sowie mehreren pastoralen Stimmungsbildern erlauben sehr wohl, sich einem tänzerisch stilvoll mondän gestalteten wie stets schön anzusehendem Ballettspektakel hinzugeben.

Wheeldon, Engländer mit US-Karriere, Jahrgang 1973, ist zurzeit einer der führenden Choreographen mit ästhetischer Kreativkraft. Mit dem Einakter „Fool´s Paradise“ hatte er sich 2015 in der Wiener Staatsoper vorgestellt. Ohne Nachhaltigkeit. Seine geniale Adaption von „Alice´s Adventures in Wonderland“, 2011, ist erfolgreich von anderen Kompanien übernommen worden. Und dieses 2014 vom Londoner Royal Ballet uraufgeführte „The Winter´s Tale“ hat nun den Weg nach Wien gefunden.

© Sofia Vargaiova

Es ist eine durchwegs schöne Aufführung, in der sich das von Wheeldon-Assistenten fein einstudierte Wiener Staatsballett in stimmiger Form präsentiert. Alle fein in den psychologischen Zeichnungen: Brendan Saye als düsterer sizilianischer König. Hyo-Jung-Jung Kang ist seine von ihm fälschlich wegen Ehebetrugs verstoßene Gattin Hermione. Ketevan Papava, Ioanna Avraam, Masayu Kimoto, Davide Dato, Eno Peci haben ihre eindrucksvollen Auftritte mit vielen tänzerischen Feinheiten. Wheeldon zielt auf stark ausgeformte Ausdrucksstudien mit ernstem Grundton bei all diesen von Shakespeare übernommenen Charakteren. 

Die vertrackte Erzählung wird von gelegentlich säuselnden, doch stets rhythmisch intensiv wirkenden Klängen untermalt (Dirigent: Christoph Koncz). Ohne absolute melodische Höhepunkte. Doch Komponist Joby Talbot, vertrauter MItgestalter des Choreographen, vermag mit einem ständig pulsierenden Sound alle dramatischen Effekte trefflich zu skizzieren. Und Bob Crowleys Ausstattung mit bunter locker flatternder Kostümierung und einfach andeutenden Dekorationen passt perfekt. 

Den Ensemble-Choreografien, den höfischen wie den munteren Reigentänzen der Schäferinnen & Schäfer fehlt es niemals an Schwung. Wheeldon hat die Begabung, schnelles Spiel in überraschendem Bewegungsfluss zu halten. Einige Episoden geraten wohl zu ausladend. Und die Szenenfolgen von Sizilien an die Küste Böhmens (folgsam nach Shakepeare) und wieder zurück in zeitlichen Verrückungen sowie Kindesweglegung und was auch immer – so klar ist da nichts. Folglich auch: Das tragische Verhängnis von Königin Hermione wie die diversen Liebesbeziehungen berühren in keinster Weise.

Sollte kein Problem sein. Mit edler Attitüde in kultivierter englischer Manier schweben hier im romantischen winterlichen Wunderland alle diese Shakespeare-Geschöpfe elegant vorbei.

Meinhard Rüdenauer, 23. November 2024

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


A Winter´s Tale
Joby Talbot

Staatsoper Wien

Premiere am 19. November 2024

Choreographie: Christopher Wheeldon 
Musikalische Leitung: Christoph Koncz
Orchester der Wiener Staatsoper