Aufführung am 16.09.2020
Eine neue Saison, eine neue Direktion, viele neue Stimmen (an die man sich in Zukunft gewöhnen muss) und eine „neue Altproduktion“.
An diesem Abend also die 4.Aufführung der neuen „Madama Butterfly“, die die Produktion von 1957 ablöste. Und vorweg – wenn die weiteren neun angekündigten Neuproduktionen szenisch das gleiche Niveau mit sich bringen, dann können alle unheimlich froh sein!
Der schon verstorbene Anthony Minghella bracht schon vor mehr als einem Jahrzehnt diese Inszenierung in London, New York und Vilnius heraus – und ich kann jetzt schon sagen – möge diese Sicht auf das Schicksal der Cio-Cio-San“ ein ähnlich langes Leben haben wie diejenige, mit dem das Wiener Opernpublikum über 60 Jahre lang glücklich und zufrieden war.
Han Feng ist für die farbenprächtige Kostüme verantwortlich, die japanisch angehaucht sind (jetzt auf Details einzugehen, was nicht ganz 100%ig stimmt ist meines Erachtens nicht angebracht). Nicht ganz einverstanden bin ich mit der Phantasieuniform des Herrn Pinkerton…
Die Witwe von Minghella, Carolyn Choa, hat auch in Wien Regie geführt. Ein extrem zurückgenommenes Bühnenbild (Michael Levine), das vor allem aus einem schwarzen Raum besteht (an der Bühnendecke ist ein Spiegel fixiert, der dem Publikum im Parkett eine ungewöhnliche Perspektive ermöglicht – leider von der Galerie nicht einsehbar…) ermöglicht die Fokussierung auf die Darsteller. Shoji-Türen werden immer dazu verwendet um den An- und Abtransport der wenigen Requisiten zu verdecken. „Bunraku“-Elemente waren schon in der aktuellen Produktion des „Tristan“ im Einsatz – es ist ein Puppentheater, wo die Puppen von schwarz gekleideten Menschen geführt werden (und die für den Besucher daher als unsichtbar zu gelten haben. Ein ähnliches Phänomen gab es ja auch im europäischen Theater des 18.Jahrhunderts – eine Verkleidung auf der Bühne, auch wenn sie nur ganz dezent angedeutet wird, muss sowohl für den Besucher als auch für den zu täuschenden Bühnencharakter als perfekt angesehen werden – als Beispiel dafür möchte ich „Cosi Fan Tutte“ erwähnen).
Die Geschichte der Butterfly wird auf dankenswerter Weise so erzählt, wie sie geschrieben wurde – ergänzt um Tanzeinlagen zu Beginn des ersten und dritten Aktes (SolotänzerInnen – Tom Yang und Hsin-Ping Chang). Besonders die Tanzeinlage im dritten Akt kann so aufgefasst werden, dass Cio-Cio-San einen Wachtraum hat und ihr zukünftiges Schicksal, das sich ja am gleichen Tag erfüllen wird, vorhersieht. Eine wunderbare Ästhetik der Bewegungen und der Einbeziehung der Cio-Cio-San – Puppe…
Ich bin bei meiner Rezension vom Februar 2020 ein wenig auf die historischen Hintergründe und ihren noch immer aktuellen Bezug der Handlung eingegangen – aber jedes Mal macht mich der Beginn der Oper, als Pinkterton und Sharpless plaudern, derartig zornig, dass für die nächsten Minuten die Musik fast nebensächlich ist. Dieses menschenverachtende Gehabe der beiden Amerikaner ist leider in weiten Teilen auch im 21.Jahrhundert noch gegeben. Natürlich nicht alle, aber wenn man an den aktuellen POTUS und seine Anhänger denkt, muss das einem schon bewusst sein. Ich bin 100% sicher – Pinkerton würde Trump wählen.
Wie sah es musikalisch aus? Ich schätze Philippe Jordan sehr, gelingt es ihm doch bei seinen Einstudierungen immer wieder auf zu viel sentimentale Klänge aus dem Bühnengraben, der wie immer vom Orchester der Wiener Staatsoper besetzt war, zu verzichten. Positiv in Erinnerung bleibt bei mir in Erinnerung die Produktion von „Werther“. An diesem Abend hat er es aber für meinen Geschmack ein wenig übertrieben – es klang ein wenig distanziert. Diesen Eindruck hatte ich auch von der Darstellerin der Hauptrolle, von Asmik Grigorian. Sie war vor ein paar Jahren DIE gefeierte Salome in Salzburg und ist eher ein dramatischer Sopran. Man nahm ihr das Alter von 15 Jahren, die die Bühnenfigur hat, eigentlich nie wirklich ab, auch die Naivität wurde durch das doch selbstbewusste Auftreten konterkariert.
Allerdings spielte und sang sie absolut glaubwürdig, wenn es um das Schicksal ihres Kindes ging.
Das waren auch die stärksten und berührendsten Momente des Abends – und mit ein Grund die perfekt umgesetzte Idee, dieses Kind nicht in „Echt“ auf die Bühne zu stellen, sondern de facto zu abstrahieren und als Puppe von drei Puppenspielern (Eugenijus Slavinskas, Valentin Alfery, Emil Kohlmayr) zum Leben zu erwecken. Was diese drei Künstler an Emotion und Magie produzieren konnten – unglaublich. Die Puppenregie & Puppendesign stammen vom Blind Summit Theatre / Mark Down & Nick Barnes. Ein genialer Entwurf, perfekt durchgeführt bis zum Schlussvorhang. Schwer zu beschreiben – das muss man selbst vor Ort erlebt haben!
Eine sehr anständige Leistung bot Boris Pinkhasovich, seit dieser Saison fix im Ensemble, als Sharpless. Genau so wie bei den Vorstellungen als Eugen Onegin bringt er eine gewisse Noblesse mit, eine gut geführte Stimme. Er ist auf jeden Fall schon eines der Highlights des neuen Ensembles.
Virginie Verrez blieb im Vergleich zu anderen Interpretinnen der Suzuki der letzten Jahre relativ blass (vor 13 Jahren konnte da Elisabeth Kulman eindeutig mehr Akzente setzen). Freddie De Tommaso hat eine sichere Höhe und gut geführte Stimme, dass er ein wenig hölzern wirkte ist vielleicht der Personenregie zu verdanken. Auch er ist neu im Ensemble – ein ungeschliffener Edelstein, der noch einiges zu lernen hat und an Ausstrahlung gewinnen muss.
Einige Mitglieder des Opernstudios dürfen in dieser Produktion auch Bühnenluft schnuppern – die interessanteste Stimme für mich ist die des Stefan Astakhov (Yamadori), des weiteren fungierten Patricia Nolz (Kate Pinkerton) und Michael Rakotoarivony (Kaiserlicher Kommisär) als Stichwortgeber.
Andrea Giovannini hatte besonders im 1.Akt als Goro die Möglichkeit, sein vorhandenes Potential anzudeuten, Evgeny Solodovnikov (Bonze) hinterließ keinen besonderen Eindruck (das Kostüm ja…).
Unterstützt wurde die Aufführung vom Chor der Wiener Staatsoper unter Martin Schebesta , dem Bühnenorchester der Staatsoper und dem Europaballett St.Pölten.
Insgesamt kann man von einem sehr gelungenen Abend sprechen, der Lust auf mehr machte.
Kurt Vlach, 17.9.2020
Bilder (c) Pöhn