Wuppertal: „Chaosmos“

Mit der Uraufführung Chaosmos startet der erste Teil einer Programmreihe, die in Form einer Kooperation durch den Fonds Experimentelles Musiktheater (feXm) gefördert wird. Hierbei werden in gemeinsamer Trägerschaft von NRW KULTURsekretariat und Kunststiftung NRW die Oper Wuppertal, die Oper Halle und das Theater Bremen jeweils ein Werk entwickeln, welches in einer ortsspezifisch weiter erarbeiteten Form auch an den beiden anderen Häusern gezeigt werden wird. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich auf drei Spielzeiten Bei diesem Projekt werden Teams und nicht einzelne Komponisten gefördert, wodurch man eine Tür für vollkommen unbekanntes und so noch nicht erlebtes Musiktheater öffnen möchte. Die Auswahl der Projekte erfolgt über ein Ausschreibungs- und Auswahlverfahren durch eine Fachjury.

Wie eine Logistikoper es erahnen läßt, spielt Chaosmos in einem Logistikcenter, man fühlt sich versetzt in das Hochlager eines bekannten Internethandels oder die Regalgänge eines schwedischen Möbelhauses. Das Publikum sitzt auf der Bestuhlung eines Stadions an drei Seiten mit auf der Bühne. Auf der vierten Seite ist eine Leinwand und die wenigen Musiker sind auf verschiedenen Ebenen untergebracht. Eine kalte, grelle, laute, unmenschliche Atmosphäre, unterstrichen durch Androiden im Blaumann. Bevor die Besucher ihre Plätze einnehmen, werden sie interaktiv in die Gestaltung des Abends eingebunden, sie erhalten beim betreten eine Mappe mit Noten, die sie in ein Regal sortieren müssen. So entsteht jeden Abend eine neue Ordnung/Unordnung, es werden Arien, Geschichten, Szenen und Videoeinspielungen ständig neu kombiniert. Sichergestellt ist lediglich die Zuordnung zu den jeweiligen Instrumentengruppen.

Thematisch geht es um das Zusammenspiel von Ordnung und Unordnung, nichts kann ohne das andere sein, der Mensch hat eine eigene Vorstellung von Ordnung und den Zwang eine bestehende Ordnung zu zerstören. Hier vertreten durch Jay und Joe, die unermüdlich mit einem Gabelstapler Kisten hin und her fahren. Es gibt somit einen Picker zum Abholen der Waren und einen Stower, zum bestücken der Regale. Als das System nicht mehr funktioniert und alles unkontrollierbar wird, versuchen die Beiden sich dagegen aufzubäumen, wobei sie auch den Kampf mit einer fleischfressenden Riesenpflanze und einem Androiden nicht scheuen.

Zum guten Schluß, als das gesamte Logistikcenter in Trümmern lag, endete der Abend mit einer Überraschung. Die Musiker spielten ein Stück von Bach, der sich mit seinen strukturierten Kompositionen an Mathematik und Logik orientiert, womit eine Ordnung wieder hergestellt schien.

Das Prinzip der binären Ordnung ( die Natur ist demnach männlich und weiblich) des Naturforschers Carl von Linné, trifft auf den Vietnamkrieg und das damit verbundene Chaos, sowie auch auf die Anfänge der Hochseecontainerschiffe. In den Videoeinspielungen wurden bei Linné alte Tintenzeichnungen zu „Zeichentrickfilmchen“ verändert, die zum Teil erotischer Natur waren und vielleicht nicht unbedingt als kindertauglich betrachtet werden können.

Auch die Vermessung der Welt und die Kolonialisierung ist ein Teil dieser Oper. Wer ohne Kenntnis von geografischen Gegebenheiten und der sich dadurch als notwendig erwiesenen Lebensgewohnheiten der Bewohner, Grenzen zieht, andere ohne Rücksicht auf Verluste unterjocht, kann letztendlich nur Chaos hinterlassen.

Der Vietnamkrieg war der Beginn der Containerschiffahrt, nur so konnten die Truppen mit den notwendigen Dingen versorgt werden, die vorher im Hafen lagerten und verdarben. Hier wird die Unordnung zur Ordnung. Auf dem Rückweg wurden dann in Japan Konsumgüter für die USA geladen. Das auf diese Weise auch illegale Einwanderer in den Containern zu Tode kamen, blieb nicht unerwähnt.

Wer sich nun fragt, wo bitte sind denn die Sänger bei dem Werk, der sollte sich auf die Androiden konzentrieren. Wenn sie nicht gerade dazu beitragen das Kartonchaos aus dem Weg zu räumen, stehen sie hinter ihren Stapeln und singen. Teils leider sehr unverständlich, da es einfach zu laut war. Teile des Textes wurden auf die Leinwand projiziert, was das akustisch nicht zu verstehende dann verständlicher machte.

Die Oper kommt ohne Dirigent aus, alle Beteiligten sind vollkommen gleichberechtigt, die Koordination wird durch eine DJ-Software organisiert.

Dadurch, dass das Publikum auf der Bühne sitzt, ist die Anzahl der Besucher auf 150 begrenzt. Leider gibt es auch beim optischen Erleben Abstriche, denn von vielen Sitzen aus konnte man etliches nicht sehen, weshalb einige auch zwischendurch kurz aufstanden um sich ein Bild machen zu können.

Marc Sinan ist Gitarrist und Komponist und ist bekannt für seine zeitgenössischen Projekte, die im transkulturellen und – medialen Kontext stehen. Hier ist ihm ein technisch anmutendes, anspruchsvolles Werk gelungen.

Tobias Rausch ist ein Grenzgänger des Theaters, der zunehmend eine Art Recheretheater macht, der geschichtliche Geschehnisse nicht nur historisch aufarbeitet, sondern den Dingen auch naturwissenschaftlich oder anthropologisch auf den Grund geht.

Konrad Kästner, der dritte im Bunde ist freier Regisseur und Videokünstler. Er führte bereits in zahlreichen Theatern (u.a. Halle, Kiel, Berlin) Videoregie.

Gesanglich ist Chaosmos‘ Musik durch die ungewöhnlich technischen, abgehackten und harten Klänge anspruchsvoll, die Sänger waren gefordert, enttäuschten aber absolut nicht. Dies gilt auch für die instrumentale Seite, wurde aber, wie von den Wuppertaler Sinfonikern nicht anders zu erwarten, glanzvoll gemeistert.

Fazit: Wenn vielleicht auch technische Kleinigkeiten nachgebessert werden könnten, es waren 90 spannende Minuten einer Oper der anderen Art, einer Oper, die eben keine ist, eben NOpera! Eine Oper, die vielleicht auch zum Nachdenken anregt, daß es nicht immer gut ist, Dinge und Menschen nur aus dem einen, gewohnten Blickwinkel zu sehen, sondern auch Hintergründe zu hinterfragen, warum soll es unbedingt so sein, kann es nicht auch sein, daß die eigene Denke zu klein ist? Die Natur ist nicht binär, sie ist divers, die eigene starre Ordnung kann Zerstörung und damit Unglück bringen, andererseits sich aus dem Chaos etwas wunderbares neues entwickeln kann, wenn man es lässt. Diversität ist wunderbar.

Das Publikum schien zwiespältig, was sich auch im Applaus zeigte. Der Pegel schwankte zwischen höflich und echt begeistert. Besonders die beteiligten Mitglieder des Orchesters wurden sehr beklatscht. Spannend wäre es sicher, das Werk nun auch an den anderen Häusern zu sehen, die Entwicklung zu beobachten.

Rene Isaak Laube, 14.1.2020

Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN

credits

Joe: Rike Schuberty/Marie Bretschneider

Jay: Annemie Twardawa

Das System:

Sopran Wendy Krikken

Mezzosopran Iris Marie Sojer

Tenor Adam Temple-Smith

Bariton Imothy Edlin

Sprecher Videos_

Linné: Ulrike Langenbein, Papertown: Thomas Wehling, Container: Georg Böhm

Statisterie der Wuppertaler Bühnen

Sinfoníeorchester Wuppertaler

Musikalische Leitung: Johannes Pell, Marc Sinan

Regie und Video: Konrad Kästner

Bühne und Kostüme: Eylien König