Premiere: 27. März 2022
In den Nullerjahren standen Corby Welch und Norbert Ernst regelmäßig als lyrischer und Spieltenor gemeinsam auf den Bühnen der Düsseldorf-Duisburger Deutschen Oper am Rhein. Mittlerweile sind beide Sänger ins Heldentenorfach vorgestoßen und singen in direkter Nachbarschaft: Corby Welch ist der Parsifal in Hagen, Norbert Ernst der Tannhäuser im 20 km westlich gelegenen Wuppertal. Dort hatte jetzt im dritten Anlauf die Inszenierung von Nuran David Calis Premiere.
Mit Calis Debüt als Opernregisseur ist dem Wuppertaler Intendanten Berthold Schneider ein beachtlicher Coup geglückt, hat Calis doch in seinen Verfilmungen gezeigt, wie man Stoffe wie „Frühlings Erwachen“ oder „Woyzek“ zeitgemäß aktualisieren kann. Bei seinem Wuppertaler „Tannhäuser“ hat er nun ein interessantes Konzept, kann dies aber nicht schlüssig umsetzen, weil ihn die Vielzahl der Ideen vor einer klaren Linie abbringt.
„Tannhäuser“ ist hier im Multikulti-Milieu der Kölner Keupstraße angesiedelt. Hier verübten 2004 die Rechtsterroristen vom NSU einen Nagelbombenanschlag, direkt um die Ecke findet man auch das Kölner Schauspiel und Pro 7 mit „Schlag den Star“. Mehr als das Multikulti interessiert sich Calis aber für die türkische Community, denn Landgraf Hermann und die Minnesänger sind hier alles Türken, die im 2. Akt bei einem Straßenfest um die Wette singen.
Tannhäuser war im 1. Akt aber im Puff der koksenden Prostituierten Venus, die sich wohl in ihn verliebt hat. Das erzürnt die engstirnige Türkengemeinde, was dazu führt, dass die brav gekleidete Elisabeth schockiert ist, und Tannhäuser zur Entsühnung zum Papst nach Rom oder vielleicht nach Mekka geschickt wird.
Logisch inszeniert Calls das alles nicht, denn bereits im 1. Akt sind die Pilgerchöre durch den Venus-Puff marschiert, wo dann auch der Iman Herman mit seiner Truppe Tannhäuser getroffen hat. Zudem fragt man sich, ob es rassistisch oder eher realistisch ist, wenn Deutschtürken so reaktionär gezeigt werden, dass ihre Sexualmoral mit der der Wartburggesellschaft des Jahres 1210 übereinstimmt? Innerhalb von Calis Konzept wäre es logischer gewesen, dass Tannhäuser eine Liebschaft mit Beate Zschäpe vom NSU angefangen hätte.
Bei großen Straßenfest des 2. Aktes werden Plakate gegen Neonazis und für „Love“ und „Freedom“ hochgehalten, die dann vom Hermann aber wegetreten werden. Der Organisator des Festes scheint von den eigenen Grundsätzen nichts zu halten! Angesicht der Blackfacing-Debatte auf deutschen Theatern („Jonny spielt auf“ am Gärtnerplatztheater) müssten politisch korrekte Aktivisten auch kritisieren, dass hier Longbearding und Blackhairing betrieben wird. Wenn Afroamerikaner auf deutschen Bühnen nicht von deutschen Sängern gespielt werden dürfen, darf eine blonde Kalifornierin dann mit schwarzer Perücke eine türkische Elisabeth singen? Und darf ein Bass aus dem niederrheinischen Geldern mit angeklebtem Bart und Gebetsmütze einen Iman spielen?
Am Premierenabend gibt es eine Vielzahl Debüts: Patrick Hahn steht als GMD erstmal im Graben der Wuppertaler Oper: In den Orchestervorspielen und in den dramatischen Höhepunkten setzt er auf einen großen sinfonischen Überwältigungsklang. Gleichzeitig gibt er den Sängerinnen und Sängern aber genügend Raum. Besonders packend dirigiert Hahn die Auseinandersetzung zwischen Elisabeth und Tannhäuser mit der Keupstraßengesellschaft im 2. Akt. Probleme gibt es manchmal, wenn die Streicher im Turbotempo ins Stolpern geraten.
Ein beachtliches, aber nicht perfektes Tannhäuser-Debüt gibt Norbert Ernst. Der Tenor konnte in den letzten Jahren besonders als Loge große Erfolge feiern und hat mittlerweile auch den Lohengrin gesungen. Die Dialogszenen und Erzählungen gestaltet Ernst sehr genau aus Text und Musik heraus. Aufhorchen lassen seine „Erbarm Dich mein“-Rufe im 2. Akt. In den Preisliedern auf Venus versucht er stimmlich aufzutrumpfen, muss dabei aber forcieren, was dazu führt, dass die Stimme gegen Ende der Oper einige Ermüdungserscheinungen zeigt. Ein Stolzing oder Parsifal würde der Stimme von Norbert Ernst wahrscheinlich besser liegen.
Über eine große raumfüllende Stimme verfügt Sopranistin Julie Adams als Elisabeth. Sehr einfühlsam und eindringlich gelingen ihr die lyrischen Szenen im 2. Akt und das Gebet im 3. Akt. Manchmal steigert sie sich aber in ein Forte, das sie in Wuppertal gar nicht benötigt, was zu einigen Schärfen in der Stimme führt. Allison Cook als Venus verfügt über eine unsinnliche Stimme, bei der die Registerbrüche unangenehm auffallen. Simon Stricker singt den Wolfram mit geschmeidigen und wohlklingendem Bariton. Guido Jentjens gefällt mit kräftigem Bass als Iman Herman.
Opernbesucher, die sich nicht mit Corona infizieren möchten, sollten einen Besuch der Wuppertaler Oper überdenken. Anfang des Jahres hat man sich hier sehr sicher gefühlt, denn zu dreifacher Impfung, Maskenpflicht und Abstandsregeln musste man sogar einen tagesaktuellen Test vorweisen. In der Altersgruppe zwischen 35 und 59 gibt es am Premierentag eine Inzidenz von 1445, aber jetzt nimmt man in Wuppertal Corona auf die leichte Schulter: Am Sitzplatz im vollbesetzten Opernhaus darf jeder Besucher die Maske abnehmen, was gut 90 % der Zuschauer auch machen. So sieht die Eigenverantwortung und der Schutz der anderen Opernbesucher in Wuppertal aus.
Rudolf Hermes, 1.3.22