Wuppertal: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2024/25“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach der Oper Frankfurt blicken wir heute auf die Oper Wuppertal.


Eine eindrucksvollste Produktion zu benennen, fällt nicht leicht. Salome, Hänsel und Gretel, Faust, die Wupperetten Revue Von Thalia geküsst, Don Giovanni: alle diese Opernabende haben großen Eindruck hinterlassen Ein Flop kann also diesmal nicht angegeben werden. Unerwartet stark aber beeindruckte uns am Ende der Spielzeit die Kammeroper Thumbprint von Kamala Sankaram. Musikalisch begleitet von Geige, Bratsche, Flöte, Kontrabass, Klavier, Schlagzeug und orientalisches Schlagwerk wurde die unglaubliche Geschichte der Pakistanerin Mukhtar Mai ausgebreitet. Sie wurde tagelang von vier Männern aus ihrem Dorf tagelang vergewaltigt. Diese Untat wurde gerechtfertigt durch ein Urteil Dorfältester nach unhaltbaren Beschuldigungen. Die beeindruckende Inszenierung von Katharina Kastening ergab einen ungeheuer dichten Opernabend mit einer dank der hervorragenden Sängerinnen und Sänger (Sharon Tadmor a.G, Banu Schult, Oliver Weidinger, Merlin Wagner, Sergio Augusto a.G.) unter die Haut gehenden Musik, einer Mischung aus Rap, HipHop, Sufi-Musik und Rata. Hoffentlich kann diese Produktion noch einmal wieder aufgenommen werden

Befremdliche Regie: Die für Don Giovanni von der Regisseurin Claudia Isabel Martin erfundene Figur der „Entführung“ lenkt mit ihren lasziven tänzerischen Bewegungen auf der Bühne vom musikalischen Geschen ab, löst das Problem der Personenregie nicht. Warum betatscht sie Donna Elvira? Da bleibt vieles unklar. Humor kommt in dieser Inszenierung des „Dramma giocoso“ nicht zur Geltung. Die oben am Bühnenportal in moderner Jugendsprache projizierten Untertitel wirken flapsig und unangemessen. Die Andeutung des Friedhofs am Ende durch ein mageres Säbelkreuz enttäuscht. Insgesamt bleibt aber trotzdem ein stimmlich und orchestral hervorragender Abend übrig.

Bester Sänger (Hauptpartie Ensemble): Der Bariton Zachary Wilson überzeugte als Don Giovanni in Wuppertal stimmlich mit differenziertem wie ausdrucksvollem Gesang. Er beeindruckte durch seine Bühnenpräsenz hier Wuppertal auch als Valentin in Faust, als Herr Fluh in Die lustigen Weiber von Windsor. Kürzlich war er als Orpheus in Dortmund und als Asmodus in Florenz zu erleben.
Die Entscheidung für einen besten Sänger fällt schwer. Denn Sangmin Jeon aus dem Ensemble sang als tenoraler Dr. Faustus intensiv und beseelt, hell, vermittelte dem Publikum fast ohne Hilfe des Teufels Jugend, Leidenschaft und Vitalität der jungen Faust. Auch als Narraboth in Salome hinterließ er mit seinem strahlenden wie lyrischem Tenor einen großen Eindruck und in Wuppertal lässt man ihn nach neun Jahren ungern in Richtung Staatstheater Weimar ziehen.

Die Entscheidung zur besten Sängerin (Hauptpartie Ensemble) fällt in dieser Spielzeit dagegen leicht. Margaux de Valensart lief als Marguerite in Faust szenisch wie stimmlich zu Hochform auf, bevor sie in Frieden und Glückseligkeit, wie Engel von oben verkünden, verstarb.

Beste Sängerin (Hauptrolle als Gast) war Helena Jartunen als Salome im Umgang mit dem abgeschlagenen Kopf Jochanaans besonders gefordert. Ganz allein gegen das große Orchester singend, überzeugte sie stimmlich wie darstellerisch vollständig. Dieser histrionischen Salome fällt man besser nicht in Hände oder Arme. Selbst der Mond mochte da nicht mehr zu sehen und wurde abgehängt.

Bester Sänger (Hauptrolle als Gast): Almas Svilpa vom Aalto Theater Essen musste bei Faust von Charles Gounod für den akut erkrankten Erik Rousi bei der Premiere einspringen einspringen. Seine theatralische Souveränität als Mephistopheles auf der Bühne wurde durch seinen sonoren Bass der Rolle mehr als gerecht.

Zum besten Dirigenten muss Patrick Hahn gekürt werden. Unter dem jungen Wuppertaler GMD, der hier ja vieles zum 1. Mal und ohne Konkurrenz dirigiert hat, kommen die Opernabende (Salome, Don Giovanni, Faust) musikalisch straff, durchsichtig, flott, nie zu leise daher. Das Orchester besticht durch Energie und Geschwindigkeit. Lyrische oder elegische Passagen, die Zeit bräuchten, gehen schnell vorüber. Dass er gerne Einladungen zu Gastdirigaten folgt, hat er schon bei seiner Ankunft hier geäußert. Die kontinuierliche Arbeit mit dem Orchester ist ja auch für einen jungen Dirigenten eine besondere Herausforderung In der nächsten Spielzeit wird Wagners „Ring“ konzertant mit bedeutendem internationalen Solisten-Ensemble an vier großen Konzertabenden in Szene gesetzt werden. Dabei werden viele Ressourcen verbraucht und für die Abonnenten, welche die Musikdramen lieber auf der Bühne erleben möchten, wie von Wagner ja vorgesehen, fallen vier Konzerte weg. Anschließend wird Patrick Hahn Wuppertal verlassen und, wie man hört, ungebunden als freier Dirigent in der Welt seine Karriere verfolgen. Da ist ihm der 1. Kapellmeister Johannes Witt ein Jahr voraus. Der geht schon nach dieser Spielzeit, hat sich mit Faust verabschiedet. Für Faust haben er und alle Solisten (alle aus dem eigenen Ensemble) frenetischen Applaus erhalten. Er wird zwischen Stuttgart und Wien, zwischen Oslo und Helsinki ebenfalls als freier Dirigent arbeiten.

Als sehr erfolgreiche Produktion, immer wieder gespielt und noch am Ende der Spielzeit ausverkauft, erwies sich Von Thalia geküsst. Diese Wupperetten-Revue, schwungvoll, unterhaltsam und inszeniert von Rebekah Rota, thematisiert das Schicksal des Thalia-Theaters in Wuppertal zwischen 1929 und 1933 mit der Musik von Schlagern und Operettenmusik.

Sehr erfolgreich und zukunftsweisend erscheint dem Rezensenten die Kinder- und Jugendarbeit der Oper. OpernClubs-Mini, -Kids und OpernClub–Jugend proben für eigene Produktionen. Aktuell werden Sängerinnen und Sänger im Alter zwischen acht und achtzehn Jahren für „Tuffi“ – der Elefant sprang bekanntlich aus der Schwebebahn – gesucht. Die Oper, eigens von Christoph Ritter geschrieben für die Clubs der Oper Wuppertal und das Sinfonieorchester Wuppertal, wird auf der großen Bühne des Opernhauses in der kommenden Spielzeit zu erleben sein.


Die Bilanz zog Johannes Vesper.