Nürnberg: „Nabucco“

Premiere: 29.5. 2010. Besuchte Vorstellung: 9.2. 2020

Die Produktion ist zehn Jahre alt – ein Ewigkeit also für Nürnberger Operninszenierungen – und wurde wieder aus der Versenkung geholt. Dabei dürfte sie schon damals ästhetisch alt gewirkt haben, als der Regisseur Immo Karaman auf die Idee kam, die Geschichte der altbabylonischen und hebräischen Helden im Stil eines Stummfilms Marke „Cabiria“ über die schwarzweiße, im konventionellen Finale farbige Bühne gehen zu lassen. Dass das Prinzip, eine klassische Idée fixe, so altbacken wirkt, liegt vermutlich weniger an der Idee selbst als an der unausgegorenen Gestik, die denn doch nicht stummfilmmäßig genug ist. Kommen hinzu die Brüche zwischen einem antikisierenden Stil, wie „man“ sich ihn vielleicht zwischen 1910 und 1925 vorstellte, und Einschlägen der Kostümmode der 20er Jahre, wie sie die machtgeile Abigaille im palmendurchwedelten Boudoir zu tragen pflegt. Kommt man mit diesen auf die Dauer einschläfernden Mitteln Verdis und Temistocle Soleras Figuren wirklich nahe, die über etwas mehr Psychologie verfügen, als es die gelegentlich statischen (!) Bewegungen suggerieren?

Reden wir lieber über die Sänger der Wiederaufnahme-Serie. Leider hat Katia Pellegrino als stark schrillende Abigaille keinen guten Abend; Lautstärke sollte schon deshalb nicht mit Ausdruck verwechselt werden, wo die höchsten Höhen stets nur detonieren, wozu die bekannte Akustik des Opernhauses ihren Teil fast unvermeidbar beiträgt. Ganz anders klingt Almerija Delics Fenena: von der leuchtenden Höhe zu den extrem tiefen Regionen. Neben ihr steht der Ismaele des Tadeusz Szlenkier, der wieder lauter singt als nötig: Oper für Taube. Es mag ja stimmen, dass Verdi mit dem „Nabucco“ sein angeblich lautestes Werk schrieb. Dass der Beginn der radikal gekürzten Ouvertüre in den Saal hinein kracht, war zu erwarten, doch gelingen dem Orchester unter der Leitung von Esteban Dominguez-Gonzalvo jene instrumentalen Kammerstückerln, die Verdi mit dem größten Sinn für Delikatesse seiner jugendfrischen Partitur beigab. Insbesondere die Violoncellisten der Staatsphilharmonie Nürnberg verdienen an diesem Abend den vollen Applaus – natürlich auch der stark erweiterte Chor unter Tarmo Vaask, der in dieser Choroper sein Bestes zu geben vermag.

Bleiben neben dem prägnanten Oberpriester des Baal, also Taras Konoshchenko, die beiden dunklen Herren, die mit ihren Bässen auf ihre Weise das schwarzweiße bis graue Bühnengeschehen zum Leuchten bringen: Nicolai Karnolsky macht den Zaccaria mit der ganzen Unnachgiebigkeit eines religiös beseelten Fanatikers, und Sangmin Lee ist ein Nabucco, der dem Filmpappkameraden durch Spiel und Ton wenigstens ein bisschen innere Bewegung zu geben vermag. Es wäre schön gewesen, hätte man diesen beiden großartigen Sängern, die bekanntlich auch spielen können, Rollen gegeben, die aus dem „Nabucco“ eine wirklich packende Oper machen. Die Musik allein reichte, glaube ich, an diesem Abend leider nicht aus, um zu beweisen, dass auch dieses Jugendwerk dramaturgisch von erster Güte ist: allen musikalischen Glanzpunkten zum Trotz. Trotzdem, natürlich, starker Beifall für ein nicht ganz zusammenstimmendes Vokal-Ensemble sowie für Chor und Orchester.

Frank Piontek, 10.2. 2020