Salzburg: „Liebesfluch“, Hans Kraus-Hübner

Uraufführung am 02.08.2014, Traklhaus Salzburg

Musikalisch wie szenisch packende Kammeroper

Was wären die Salzburger Festspiele würde man nicht als Variation der Variation wieder eine Neuinszenierung des Rosenkavaliers (der letzte war erst 2004!) oder des Don Giovanni (die beiden letzten stammen aus den Jahren 2006 und 2008!) bringen? Dem alles beherrschenden Jahresregenten Richard Strauss fielen andere Jubilare, wie d’Albert (1864*), Gluck (1714*), Meyerbeer (gest. 1864) oder Rameau (gest. 1764), scheinbar klang-, sang- und protestlos zum Opfer!

Dem Verein Musiktheater Wien, dessen erstem Projekt (Ivan Madarász „Letzter Walzer“) vom Kulturamt der Stadt Wien keine Förderung gewährt wurde (!), hatte nun mit seinem zweiten Projekt endlich den verdienten Erfolg eingefahren. Dank gebührt hier einer Reihe von privaten Förderern, allen voran der Galerie Thaddaeus Ropac, ohne die dieses Projekt ebenso zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, zumal die Kulturmacher und Kulturmacherinnen in Salzburg es anfänglich nicht für Wert befunden hatten, ihres großen Bürgers anlässlich seines hundertsten Todestages zu gedenken!

Die Kammeroper „Liebesfluch“ des deutschen Komponisten Hans Kraus-Hübner behandelt nun das Beziehungsgeflecht innerhalb der Trakl-Familie. Dem in einer Familie des gehobenen Bürgertums in Salzburg 1887 geborenen Dichter Georg Trakl wird eine inzestuöse Beziehung zu seiner 1892 geborenen Schwester Margarete (Grete) nachgesagt. Die drogensüchtige Mutter Maria Trakl-Halik kümmerte sich wenig um ihre beiden Kinder, die in der Obhut der französischen Gouvernante Marie Boring aufwuchsen. Zwischen den beiden steht noch der Jugendfreund Erhard Buschbeck (1869-1960), über dessen Vermittlung an Ludwig von Ficker (1880-1967) die meisten Gedichte Trakls veröffentlicht wurden. Georg Trakl galt als menschenscheu, depressiv und drogenabhängig und starb schließlich an einer Überdosis Kokain. Seine Schwester Grete erschoss sich zwei Jahre später. Trakls literarisches Werk fand erst nach dem zweiten Weltkrieg größere öffentliche Bedeutung.

Die Figur des Dichters Georg Trakl (Sprechrolle) wurde in dieser Oper mit zwei jungen Schauspielern, Felix Kammerer, Sohn des Opernsängerehepaares Hans-Peter Kammerer und Angelika Kirchschlager, und Ben Pascal, besetzt, die Gedichte Trakls rezitieren und pantomimisch agieren. Gleich zu Beginn spielte Ben Pascal auf dem Brunnenrand sitzend auf seiner E-Gitarre eine kleine Einleitung des Komponisten, ergänzt durch eine Tonband-Einspielung. Michaela Moritz, die mit dem Komponisten bereits für dessen Familienoper „Oh, wie schön ist Panama“ nach Janosch zusammengearbeitet hatte, verwendete für das Libretto zahlreiche Originalzitate Trakls.

Regisseur Bruno Berger-Gorski rollte die Handlung zwischen der Mutter und den beiden Kindern Trakl sowie dem gemeinsamen Jugendfreund Buschbeck im Hof des Traklhauses und auf den beiden Säulenkolonnaden zu beiden Seiten des Hofes am Waagplatz 1a in Salzburg auf. Auf der rechten Seite des Hofes befindet sich ein Brunnen, auf dem zu Beginn der Oper Ben Pascal sitzt und die E-Gitarre spielt, andächtig dabei bewundert von seiner Schwester Grete. Ein Totenschädel liegt auf dem Brunnenrand, den er später zärtlich – in Todessehnsucht – streichelt (wir erkennen darin natürlich den Dänenprinzen Hamlet…).

Der von der Architektur des Ortes vorgegebene Bühnenraum wurde durch die Skulptur „Carellino“ (Kinderwägelchen) des 1930 in Rumänien als Daniel Isaac Feinstein geborenen Schweizer bildenden Künstlers, Tänzers und Regisseurs Daniel Spoerri symbolhaft bereichert. Auf diesem kleinen metallenen Kinderwagen liegt ein Totenschädel, der als Memento für die Totgeburt, die Grete Langen-Trakl in Berlin erlitten hatte, gedeutet werden kann. Weitere Bühnenskulpturen lieferte noch Julius Deutschbauer. Die Kostüme aus der Zeit der Jahrhundertwende steuerte Gera Graf bei. Die Lichtspots, mit denen die auf verschiedenen Ebenen verlaufenden Spielräume beleuchtet wurden, entwarf Tadeusz Kzeszowiak.Nach der „Einleitung vom „Brunnenrand“ aus, hob die äußerst expressive Ouvertüre an. Das aus acht Musikern bestehende Kammerorchester setzte sich aus Violine, Flöte, B- und Es-Klarinette, Oboe, Horn, Tenor- und Bassposaune und Schlagzeug zusammen. Die Musiker des Ensemble Pegnitzschäfer-Klangkonzepte wurden von dem 1965 geborenen italienischen Pianisten und Dirigenten Marino Formenti zu klanglichen Höchstleistungen angespornt. Spannende Cluster, flirrende Percussion Elemente wechselten sich mit dramatischen Ausbrüchen, einschmeichelnden ariosen Passagen der Violine und einem, die Todessehnsucht des Dichters einfühlsamen, wehmütigen Lamento der Holzbläser, ab.

Den größten Gesangspart hatte Monika Teepe als Grete Langen, Schwester des Dichters, zu bewältigen. Und sie tat dies mit Aplomb. Ihr tragfähiger Sopran erwies sich als äußerst höhensicher und zeigte während der knapp 70 minütigen Oper keinerlei Ermüdungserscheinungen. Alle Gefühlsregungen und leidenschaftlichen Ausbrüche waren glaubwürdig und derart ergreifend, dass man wie hypnotisiert ihrem Spiel und Gesang beiwohnte.

Ebenso stark die drogensüchtige Mutter Maria Trakl-Halik, für die Regisseur Bruno Berger-Gorski die renommierte afroamerikanische Opern-, Jazz- und Gospelsängerin Gail Gilmore gewinnen konnte, die von der rechten Kolonnade herab ihre gewaltige Mezzostimme ertönen ließ. Manuel Krauß gestaltete die Rolle von Erhard Buschbeck, des Jugendfreundes des Dichters. Er verfügt über einen noch nicht gänzlich ausgereiften Bariton, der durchaus tragfähig in der Mittellage war, nach unten zu aber, wohl seiner Jugend zuzuschreiben, noch etwas dünn.

Die beiden Darsteller des Dichters Georg Trakl trugen dessen Gedichte einfühlsam vor und bereicherten die Bühnenhandlung durch intensives Spiel, in das sich bei Felix Kammerer auch grazile tänzerische Bewegungen mischten. Alle Mitwirkenden wurden am Ende der Premiere mit reichlichem Applaus bedacht, für die beiden Sängerinnen gab es noch zusätzliche Bravorufe, ebenso für den Komponisten, der mit dem großen Erfolg seines Werkes, das vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurde, zufrieden sein kann.

Traurig stimmt nur, dass weder die Granden der Salzburger Festspiele, noch die Dramaturgie es der Mühe wert befunden hatten, jemanden zu dieser Uraufführung zu entsenden. Die Langzeitpräsidentin der Salzburger Festspiele musste sich wohl noch für ihren Auftritt bei Servus-TV anlässlich der Don Giovanni Übertragung vorbereiten? Immerhin haben der Chefredakteur des österreichischen Theater- und Kulturmagazins „Die Bühne“ und ehemalige Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, Peter Blaha, sowie der Leiter des Klangforums Wien, Sven Hartberger, den Abend durch ihre Präsenz veredelt.

Harald Lacina, 4.8.2014
Fotocopyright: Verein Musiktheater Wien