Zürich: „Nabucco“

Vorstellung am 23.06.2019

Giuseppe Verdi war nicht nur ein begnadeter Melodiker, sondern verfügte eben auch über einen untrüglichen Instinkt für Bühnenwirksamkeit, welche er dank konziser Verknappung und mit effektvoller dramatischer Zuspitzung in den Szenen erzielte. Im Zusammenspiel von szenischen Knalleffekten und feuriger, mitreissender Melodik evozierte er gerade in seinen Frühwerken dabei eine ungeheure, überwältigende Kraft. Diese musikalische Kraft schwappte stellenweise bei der gestrigen Premiere von Verdis dritter Oper an manchen Stellen durchaus in den Zuschauersaal – oft leider in einem etwas ermüdenden Dauerforte. Immerhin bewirkten der der Chor der Oper Zürich, die Chorzuzüger und der Zusatzchor (Einstudierung: Janko Kostelic) in ihren Auftritten magische Momente des differenzierten Chorgesangs, dramatisch zupackend und vollstimmig, aber auch verhalten trauernd und hoffend in dem mit bewegender Innigkeit intonierten Gefangenenchor Va pensiero, sull‘ ali dorate. Das Verklingen auf des U des letzten Wortes (virtù) war geradezu celestial, da stellte sich einer der an diesem Abend seltenen Gänsehaut-Momente ein.

Verdi lässt die Szenen der Geschichte um König Nebukadnezar, seine Töchter Abigaille und Fenena und die gefangenen Hebräer an verschiedenen Orten beinahe tableauartig ablaufen, vom Tempel Salomons über Apartements und Säle im Königspalast, den hängenden Gärten und dem Ufer des Eufrat. Heutzutage sind lange szenische Umbauten auf den Opernbühnen nicht mehr gefragt und man sucht Lösungen, um das Problem mit Hilfe einer Drehbühne oder eines anderen Einheitsbühnenbildes zu lösen. Im Bühnenbild von Wolfgang Gussmann thront eine gigantische grüne Marmorwand auf der Drehühne, vor einem mit einem dunklen Vorhang verdeckten Halbrund. Diese Marmorwand ermöglicht vielerlei Spielflächen, kann sich diagonal stellen, ganz nach vorne fahren oder auch mal ein wenig in den Bühenboden versinken, wenn sich Nabucco als Gott ausgibt. Auf Requisiten wird – bis auf eine Krone – vollständig verzichtet. Regisseur Andreas Homoki sieht diese Oper zu Recht eher als Kammerspiel, denn als Grand opéra. Er inszenierte einen Konflikt en famille, zeigt bereits während der Ouvertüre den alleinerziehenden Vater Nabucco (die Mutter stirbt beim ersten Fortissimo des Orchesters), von schweren Migräneanfällen geplagt, mit seinen beiden Töchtern, wovon die eine, wie wir in der Oper später erfahren, die illegitime Tochter Nabuccos ist, Tochter einer Sklavin. Bereits in diesem Vorspiel balgen sich die beiden Mädchen spielerisch um die Krone. Später wird daraus Ernst werden. Zeitlich hat Homoki das Geschehen Richtung Risorgimento verlegt, die babylonischen Damen tragen wunderschöne Sissi-Roben, verkörpern das Ancien Régime. In den Stoffen wird genau die Marmorierung und die Farbe der Wand aufgenommen, auch der Boden schimmert grün. Die babylonischen Männer treten im Gehrock und Zylinder oder in Operettenuniformen auf, vollführen gar ein absurdes, lächerliches Tänzchen, wenn Abigaille vom Oberpriester des Baal und den Wahrsagern die Krone angetragen wird.

Eine Szene, welche irgendwie mit ihrer Persiflage völlig aus dem Gesamtrahmen fällt. Die Hebräer treten in etwas moderneren, ganz in Beige gehaltenen Kleidern auf, die Männer teils mit Schirmmützen. (Die wunderschön gearbeiteten Kostüme stammen von Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza.) Jegliche Anspielung auf unterschiedliche Religionen bleibt in Homokis Inszenierung aussen vor, es geht nicht mehr um Götzenanbetung versus Monotheismus, sondern nur noch um alt gegen neu. Daher bleibt vieles der Handlung unverständlich und auch unsinnig, insbesondere die Hinwendung Abigailles und Nabuccos zur Religion der Israeliten. Auf die von Verdi so effizient gesetzten Schauereffekte mit dem Blitz, der Nabucco die Krone entreisst oder den Einsturz des Götzenbildes wird selbstredend verzichtet. So schaut man also auf eine Einheitsbühne, auf herrliche Kostüme und gepflegt arrangierte Chorgruppen mit verzweifelt erhobenen Händen und gereckten Fäusten und auf Solisten, die sich allzu oft in langweilige Operngestik flüchten. Alles wirkt recht steif, mit viel Künstlichkeit apart und ästhetisch ausgebreitet, distanziert und irgendwie szenisch unterkühlt.

Aber der Gesang der Solistinnen und Solisten war wahrlich nicht unterkühlt. Michael Volle und Benjamin Bernheim waren als Nabucco, respektive Ismaele, in gelungenen Rollendebüts zu erleben. Während Volles furor im ersten Bild vokal noch etwas zurückhaltend wirkte, steigerte er sich im Verlauf des Abends, sang eine berückende Wahnsinnsszene, herrlich und subtil austariert und sein Gebet im letzten Teil war von grandioser Expressivität erfüllt. Benjamin Bernheim sang einen wunderbar präsenten Ismaele, kräftig, bestimmt, und sicher in der Tongebung. Aber eigentlich eine Verschwendung, man wird ihn hoffentlich bald wieder in einer gewichtigeren Partie in Zürich hören können. Genauso vernachlässigt hat Verdi die Partie der Nabucco-Tochter Fenena, welche von Veronica Simeoni mit sattem, warmstimmigem Mezzosopran interpretiert wurde. Immerhin schrieb Verdi für Fenena im letzten Bild das Arioso Oh dischiuso è il firmamento, welches von Veronica Simeoni überaus berührend interpretiert wurde.

Ganz anders ging Verdi mit ihrer Halbschwester Abigaille um: Für die schrieb er eine mörderische Partie mit fulminanten Szenen. Anna Smirnova war in der Partie natürlich eine Wucht (auch wenn ein Spitzenton mal nicht sauber erreicht wurde), manchmal vermeinte man, die Mauern des Opernhauses würden gleich denen zu Jericho einstürzen. Das war alles Ehrfurcht gebietend, schneidend durch Mark und Bein dringend, doch oftmals so laut, dass sich – um die Balance zu wahren – in den Ensembles auch die anderen Sängerinnen und Sänger eher zum Forcieren gezwungen sahen, was wiederum zum erwähnten ermüdenden Dauerforte führte, gerade im Finale I. Sehr gelungen, gesanglich und auch von der Regie her, war aber Abigailles Suizid mit der Pistole. Fantastisch gestaltete Georg Zeppenfeld mit markantem, kernigem Bass die Partie des Zaccaria, des Hohepriesters der Hebräer, mal Zuversicht verströmend, dann wieder kämpferisch. Sein Rezitativ und Gebet im zweiten Bild ( Vieni, o Levita) war ein vokaler Höhepunkt des Abends. Omer Kobiljak machte in der kleinen Partie von Nabuccos Getreuem Abdallo mit wunderschön timbriertem Tenor sehr positiv auf sich aufmerksam.

Fabio Luisi führte mit straffen, stimmigen Tempi ausgezeichnet durch Verdis Frühwerk. Dabei entlockte er der vorzüglich aufspielenden Philharmonia Zürich herrlich schmeichelnde Bläser- und Cellikantilenen. Präzise ertönten die marschartigen, expolsiven Rhythmen, die wunderbar aufgebauten Crescendi, schön herausgearbeitet die Kontraste zwischen Intimem und Grandiosem.

Dadurch, dass der Regisseur auf szenische Umbauten verzichtete, flossen die einzelnen Szenen nahtlos ineinander über, es ergaben sich auch durchaus sinnige Berührungspunkte, etwa wenn sich Abigaille und Nabucco den Gefangenchor anhören mussten, sie mit zugehaltenen Ohren, er aufmerksam und verwirrt lauschend. Zudem wurde durch diese nahtlosen Übergänge auch Zwischenapplaus weitgehend unterbunden. Der Applaus des Premierenpublikums am Ende war freundlich, teils begeistert, aber nicht frenetisch.

Kaspar Sannemann 24.6.2019

Bilder (c) Monika Rittershaus