Baden: „Im Weißen Rössl“

Premiere: 16. Februar 2013,, besucht wurde die zweite Vorstellung am 17. Februar 2013

Es galt ein „Rössl“ zu retten, nachdem es im Volkstheater von Michael Schottenberg so übel malträtiert worden war. Das Stadttheater Baden schien zur Ehrenrettung von Benatzkys „Im weißen Rössl“ unbedenklich der richtige Ort, zumal Chef Robert Herzl für die Regie verantwortlich zeichnete. Aber in der Welt des Theaters gibt es keine Sicherheiten, und so erscheint der Drei-Stunden-Abend in Baden nicht als die – hier durchaus zu erwartende – optimale Umsetzung des Werks. Sollte es daran liegen, dass man die „verloren geglaubte Originalpartitur“ spielt, kann man nur feststellen, dass sie Bearbeitung vertrüge…

Spartanisch im Vergleich zum sonst Gewohnten die Szene: diesmal hat Pantelis Dessyllas nur einen Hintergrund-Prospekt und einen Zwischenvorhang gemalt, im übrigen ist die Bühne leer. In den Kostümen versucht er, den an sich unmöglichen – aber in der holden Unsinnswelt natürlich möglichen – Spagat zu schaffen, einerseits Kaiser Franz Joseph auf die Bühne zu schicken, der 1916 gestorben ist, andererseits jene Zwanziger Jahre zu spiegeln, in denen das Werk entstanden ist. Tatsächlich aber bleibt die Geschichte optisch gewissermaßen unentschieden, Dirndl und Tracht sind das zeitlose einigende Band.

Was die „leere“ Szene betrifft, so schaffen ein paar Bühnenarbeiter im ländlichen Kostüm von nicht vorhandener Verwandlung zur nächsten ein paar Versatzstücke her. Das sollte neben der Nüchternheit den Vorzug haben, dass das Geschehen schnell laufen kann, aber das ist leider nicht der Fall. Ganz ungewohnt für Robert Herzl, der für sein Timing berühmt ist, läuft die Geschichte extrem langsam, vor allem in den Spielszenen. Sie wurden auch noch ziemlich sinnlos verlängert, etwa durch die Figur der „Kathi“, die als eine Art „Conferencière“ fungiert – und selbst, wenn Kerstin Raunig das nett macht (Jodelkünste inbegriffen), ist es doch vor allem ein retardierendes Element statt ein bindendes, wie offenbar vorgesehen.

Natürlich ist das Ballett immer eines der nachdrücklichsten Asse in Badens Opernettenaufführungen (das „Weiße Rössl“ ist ja da ein rechtes Zwitterwerk zwischen noch-operettig und schon musikalisches Lustspiel), und Michael Kropf hat sein knappes Dutzend Tänzer auch gut im Griff, aber diesmal scheinen sie ein paar Mal zu oft zu hopsen, wobei man natürlich versteht, dass ein Schuhplattler dabei sein will – es geht schließlich um die Parodie des Salzkammergut-Tourismus, darin sind sich wohl alle einig.

Noch nie hatte man wie hier das Gefühl, wie überladen mit Figuren und Handlung dieses „Weiße Rössl“ eigentlich ist, vielleicht, weil allen viel zu breit Raum gegeben wird, anstatt die zentrale Geschichte um Zahlkellner Leopold und seine Rössl-Wirtin voran zu treiben. Immerhin, eines muss man der Sache zugestehen: Auf Zerstörung des berühmten Originals ist Herzl nicht aus (wie es Schottenberg im Volkstheater tat), und natürlich kommen Sänger-Darsteller am leichtesten zur optimalen Wirkung, wenn sie nicht gegen Regieideen der falschen Art ankämpfen müssen. Und besetzt hat Baden wieder bemerkenswert hochkarätig.

Sebastian Reinthaller, der künftige Intendant des Hauses, ist zweifellos eine Idealbesetzung für den Leopold (und die Rolle ist ideal für ihn): Er kann sein gutes Aussehen und seinen lockeren Charme ungehindert einbringen (das ist wirklich eine Art Peter-Alexander-Charisma, das er hier verströmt), und in tenoraler Geberlaune ist er auch – wenngleich man in dem ohnedies kleinen Haus mit ans Gesicht geklebten Verstärkermikrophonen arbeitet, woran sich alte Puristen einfach nie gewöhnen werden… Seine Wirtin ist Ulrike Steinsky und bietet volle Gesangspower. Im übrigen wirkt sie ein bißl sehr herb und resch und sieht auch, das dürfte die Maske sein, gar wie Hilli Reschl aus. Wie dem auch sei, blonde, jugendliche, liebliche Waltraut Haasinnen laufen nicht im Dutzend billiger herum.

Was die Rolle des Kaisers Franz Joseph betrifft, so ist Peter Uray ideal, hier Noblesse, Freundlichkeit und Lebensweisheit zu verströmen. Im Bewusstsein dessen, dass es beim Auftreten des „Kaisers“ in anderen Vorstellungen immer fast peinliche Monarchie-Nostalgie gegeben hat, mit Rührung des älteren Publikums, hat Herzl diese Szenen so spartanisch und nüchtern gehalten wie nur möglich. Aber ohne den Kaiser geht es nun einmal nicht…

Wie gesagt, es gibt – wie es an diesem Abend scheint – viele, fast zu viele Nebenrollen, und um allen Darstellern Raum zu geben, wälzt sich die Aufführung in voller Breite einher. Nikolaus Hagg jüdelt den schönen Sigismund souverän, manchmal meint man sogar, er sähe Karl Farkas, dem Interpreten der Uraufführung, richtig ähnlich. Sein lispelndes Klärchen ist an sich eine Traumrolle, aber für die Fähigkeiten der Johanna Arrouas eher eine Nummer zu klein. Als ihr sächselnder Vater, Prof. Dr. Hinzelmann, bringt Heinz Zuber tatsächlich ein paar seiner alten Enrico-Scherze mit.

Die Berliner Seite des Geschehens ist mit Jürgen Trekel als Wilhelm Giesecke vertreten, der fast eine Spur zu diskret agiert (da könnte man lauter pointiert, sagen wir es: klamottiger sein), Maricel Wölk als seine Tochter Ottilie ist eine mondäne Blondine, wie sie im Buch steht, Darius Merstein-MacLeod als Dr. Siedler der leicht komische tenorale Held, wie er gemeint ist. Schade, dass Gustl, der Pikkolo (Timo Verse), nicht viel Spielraum bekommt, für Beppo Binder als Portier ist es eine Spur mehr, und warum man Kaiser Franz Joseph seinen legendären Kammerdiener Ketterl mitgibt und ihn aussehen lässt wie den Frauenmörder Landru (Franz Josef Koepp), das wissen die Götter.

Einigen Schwung erhält das Ganze aus dem Orchestergraben, wo Franz Josef Breznik seines Amtes waltet, aber ziemlich lang und immer wieder etwas lahm wirkt die Aufführung doch. Fazit: Man würde, wenn man darf, gerne raten, den Abend um eine gute halbe Stunde zu kürzen und das Tempo um einiges anzuziehen. Das „Weiße Rössl“ ist schließlich keine besinnliche, langsame Schnulze, sondern sollte flotte Unterhaltung sein. Doch seien wir ehrlich: Das Publikum applaudierte dankbar und lebhaft und hat auch schon die erste Vorstellung nach der Premiere bis auf den letzten Platz gefüllt.

Renate Wagner