Maribor: „Il trovatore“

31. 3. 2017 (Premiere)

Überzeugende und bildstarke Opernkonvention

" Obrisal bom prah s Trubadurja " und „Rad bi dosegel kinematografski občutek“- den Troubadour entstauben und ein filmisches Gefühl erzeugen – das wollte der italienische Regisseur Filippo Tonon laut einem Interview in der slowenischen Tageszeitung Večer. Wenn man sich vor der Premiere die Pressefotos auf der Website der Marburger Oper anschaute, dann kamen wohl Zweifel auf, ob diese Absicht gelingen kann.

Aber: man soll nicht vorschnell urteilen- es gelang dem ambitionierten Slowenischen Nationaltheater ein zwar konventioneller, aber ausdrucksstarker Bilderbogen und eine durchaus überzeugende Interpretation des unverwüstlichen Verdi-Schlagers!

So wie vor etwa einem Jahr bei der Marburger Turandot-Premiere war auch diesmal Filippo Tonon Regisseur, Bühnenbildner, Lichtgestalter und Choreograph in einem. Und so wie damals waren die Italienerin Cristina Aceti seine Kostümbildnerin und der Kroate Loris Voltolini der Dirigent der Produktion.

Die Soldaten- und Zigeunerszenen waren sehr schön ausgeleuchtete Genrebilder, die ein wenig an Rembrandts Nachtwache erinnerten. Chor und Ballett wurden effektvoll gemeinsam bewegt, erstarrten aber auch immer wieder in gemäldehaften Posen und schufen damit Raum für musikalische Ruhepunkte. Das war sehr geschickt gelöst – und man verzieh sogar die stereotypen Operngesten, die geradezu zu einem Bildbestandteil geworden waren. Im 2. Bild des 1. Aktes waren die Gärten des Palastes voll der roten Mohnblüten und bildeten damit einen lichten Akzent für Leonoras große Szene Tacea la notte placida .

Das Bühnenbild war sparsam, die Kostüme waren mittelalterlich-üppig, illustrativ und die Figuren klar charakterisierend – die Inszenierung reiht Bild an Bild und betont das Kollagenhafte dieser Oper, wie es von Verdi und seinem Librettisten vorgegeben ist. Verdi hatte ja das Werk nicht in nummerierte Akte gegliedert, sondern hat die vier Teile als Bilder betitelt: Das Duell, Die Zigeunerin, Der Sohn der Zigeunerin und Die Hinrichtung.

Alles war nach dem Verständnis des aktuellen „Regietheaters“ und heutiger Opernästhetik durchaus recht konventionell – aber gerade dadurch kam die geradlinige Musikdramatik, die in dieser Nummernoper des „mittleren“ Verdi steckt, ungetrübt und wirkungsvoll zur Geltung. Das gelang nicht zuletzt deshalb so gut, weil auch die musikalischen Leistungen fast durchwegs respektabel waren.

Schon im ersten Bild überzeugte der Senior des Marburger Ensembles, der ukrainische Bass Valentin Pivovarov , mit gebührender Stimmgewalt, aber auch mit belkantesken Phrasen als Ferrando. Der Kroate Siniša Hapač war ein düsterer Graf Luna mit dunkel-timbriertem Bariton, der in der Tiefe und in der Mittellage gut zur Geltung kam, der aber leider in der Höhe zu breit geführt wurde und dem dann die nötige schlanke Eleganz und Durchschlagskraft fehlte. Sein Gegenspieler Manrico war mit dem Italiener Renzo Zulian besetzt, der seit langem zu den regelmäßigen Gästen in Marburg zählt. Dem Programmheft entnimmt man, dass er schon 1995 bei der letzten Troubadour-Produktion in Marburg als Manrico dabei war. Zulian ist stimmlich nach wie vor eine sehr gute Besetzung. Er bewältigt sowohl die lyrischen Phrasen als auch die heldischen Ausbrüche (einschließlich der souveränen Stretta) in bester italienischer Gesangstradition. Bei diesen stimmlichen Qualitäten nimmt man auch mit Gelassenheit in Kauf, dass er im Spiel recht statisch-behäbig bleibt und durch seine Ausstrahlung weder als Liebhaber Leonoras noch als Sohn Azucenas so recht überzeugen kann.

Die Bosnierin Irena Parlov ist eine jugendlich-schlanke Azucena, die ihre exponierte Partie sicher beherrscht und ein souveränes Rollendebut feiert. Sie ist nicht nur in der Erscheinung schlank, auch ihre Stimme hat schlanken Mezzo-Charakter – manchmal wünschte man sich zwischen den sicheren Spitzentönen und der ebenso sicheren Tiefe eine breiter strömende Mittellage.

Ein weiteres Rollendebüt gab es mit der Marburgerin Rebeka Lokar als Leonora. Sie ist schon vor einiger Zeit aus dem Mezzo-Fach zum Sopran gewechselt. Zuletzt hatte man sie in Marburg als Minnie und als Turandot erlebt und man weiß, dass demnächst (in Wiesbaden) ihre erste Götterdämmerung-Brünnhilde bevorsteht. Ich hatte also erwartet, dass ihre Stimme für die Troubadour-Leonora wohl schon zu schwer, zu dramatisch geworden sein könnte. Diese Befürchtungen stellten sich als völlig unberechtigt heraus. Lokar verfügt über einen warmen, in allen Lagen ausgeglichenen und technisch präzis geführten Sopran, der auch die Koloraturpassagen sicher meistert und wunderschöne Piani bis in die Spitzentöne gestalten kann. Zu Recht stand sie am Ende im Zentrum des Publikumsjubels. Wenn sich Rebeka Lokar weiter so erfreulich entwickelt, wie dies in den letzten Jahren in Marburg zu beobachten war, dann steht der 38-jährigen Slowenin zweifellos eine internationale Karriere offen.

Dada Kladenik als Ines und Bruno Konda als Ruiz waren in den Nebenrollen adäquat besetzt. Der stark besetzte Chor (Leitung: Zsuzsa Budavari Novak) war – wie immer in Marburg – klangschön, stimmkräftig und spielfreudig.

Bei der letzten Turandot-Premiere erschien mir der Dirigent Loris Voltolini recht blass – diesmal fand ich hingegen sein Dirigat durchaus profiliert und spannungsvoll. Er ging einfühlsam auf die Bedürfnisse der Solisten ein, bremste dabei das Orchester, fand aber dann immer wieder zu stringentem Vorwärtsgehen und arbeitete viele schöne Details in den Orchesterstimmen heraus. Das Symphonische Orchester SNG Maribor war an diesem Abend hörbar animiert und bot insgesamt eine saubere Leistung.

Am Ende gab es im voll besetzten Haus viel Beifall für alle – bei Irena Parlov und vor allem bei Rebeka Lokar stieg der Applauspegel deutlich. Marburg hat an diesem Abend wieder einmal bewiesen, dass man auch bei den weltweit gespielten Erfolgsstücken mit Anstand neben deutlich größeren Häusern bestehen kann. Der Marburger Troubadour kann sich hören und sehen lassen!

Hermann Becke, 1. 4. 2017

Szenenfotos: SNG Maribor, Tiberiu Marta