Wolfsburg: Compagnie DCA/Philippe Decouflé

Deutschlandpremiere: 14. April 2018, besuchte Vorstellung am 15. April 2018

Stilvielfalt

Mit dem aktuellen Programm „Nouvelles Pièces Courtes“ ist dem Choreographen und Tänzer Philippe Decouflé mit seiner Compagnie DCA wieder ein starker Kontrast gegenüber dem reinen Modern Dance gelungen. Decouflé, der an der École des Cirque de Paris und u.a. bei dem Pantomimen Marcel Marceau ausgebildet wurde, entdeckte darüber hinaus in New York für sich die Videokunst. Das alles fließt in seine Choreographien ein, die er mit seiner Compagnie als Werkstattkollektiv erarbeitet. Dabei lässt er es sich nicht nehmen, in kleineren Sequenzen auch noch selbst aufzutreten. Diese abwechslungsreiche Form der „Kleinen Stücke“ ist durch bekannte Choreographen wie George Balanchine und Martha Graham eine Tradition zeitgenössischen Tanzes geworden. So ist es möglich, an einem Abend eine stilistische Bandbreite zu präsentieren, die bei Decouflé noch durch Artistik, Slapstick, Akrobatik und Videoeinspielungen, bzw. filmische Vervielfachung und Überblendung angereichert wird. Daher sind die Mitglieder seiner Compagnie nicht nur Tänzerinnen und Tänzer, sondern gleichzeitig Musiker (hier an Klavier, Cajón und Flöte), Sänger, Schriftsteller, Komponisten, Artisten und Akrobaten.

Die pausenlos ineinander übergehenden kleinen Stücke begannen mit „Evolution“: Wie aus dem Nichts wuchsen mit aufziehendem Licht zwei Figuren aus dem Boden, die durch leichtes Anstupsen mit Ellenbogen oder Füßen Impulse auslösten, die zu artistischen Bodenkür-Übungen führten. Ein Dritter gesellte sich dazu und allmählich entstand durch lautes Atmen, Zischen, Schnalzen und ähnliche Geräusche ein pulsierender Rhythmus, zu dem sich die Bewegungsabläufe von überraschenden Verschlingungen bis zu kunstvollem Radschlagen und zu Salti steigerten. Als ein Klavier mit Hocker auf einem kleinen Podest auf die Bühne gerollt wurde, entpuppte sich die Tänzerin als Flötistin, ein Tänzer als guter Pianist, der andere als Spezialist der Akrobatik, die in einem fulminanten Salto rückwärts auf dem schmalen Klavierdeckel gipfelte. Nun wechselte die Szene (Bühne: Alban Ho Van) zu einer Rückwand mit Lamellentüren, durch die sich viele Auftrittsmöglichkeiten ergaben.

Als Hommage an seine verstorbene Mutter schuf Decouflé eine eindringliche Choreographie für drei Paare zu Ausschnitten aus Vivaldis „Stabat mater“. In dem reinen Tanzstück zelebrierten sie elegante Hebungen und gelungene Pirouetten in knallbunten Kostümen und pfiffigem Kopfputz. Zu Vivaldis Mandolinenkonzert arbeitete er aparte Schattenbilder für zwei zwillingsähnliche Tänzerinnen heraus, die fast ganz miteinander verschmolzen; da gelangen ihm passend zur Musik interessante symmetrische Bilder.

Heiter wurde es wieder, als an der Stange gedehnt und geturnt wurde; mit leichter Hand entworfen, verlangte es den Tänzern doch unheimliche Körperbeherrschung und Agilität ab. In der Folge gab es Tanz auf zwei Ebenen, d.h. unten wurde echt getanzt, oben gab es zuerst einfache Videos, dann vervielfachende und über Kreuz getanzte. Das waren eindrucksvolle Bilder zu Musik mit Cajón-Rhythmisierung und Geräuschen, bzw. Gesang. Ein weiterer Höhepunkt war die atemberaubende Luftakrobatik-Nummer “R“: Die Tänzerin hob an einem Art Bungee-Trapez vom Boden ab, während ihr Partner am Boden versuchte, sie wieder einzufangen. Immer wieder löste sie sich jedoch aus seinen Armen und entschwebte in höhere Sphären, während ihr Partner dabei wild hin und her geschleudert wurde. Das Ganze spielte hinter einem halbtransparenten Vorhang, auf den Schleier-Videos projiziert wurden; das war ein spannendes Zusammenspiel von Realität und Illusion, ein unglaublicher Effekt!

Zum Schluss hatte sich Decouflé mit der Reise nach Japan etwas Besonderes ausgedacht: Schon die ersten Sequenzen aus dem Flughafen und während des Fluges hatten die Lacher auf ihrer Seite. Darstellung und Mimik einer solchen Unternehmung waren einfach sehenswert. In Tokio angekommen gab es den e-mail-Kontakt aus dem Hotelzimmer, wo nebenbei ‘zig Fernsehprogramme mit Video-Clips liefen, einige in live-Aufnahmen nachgestellt und gefilmt; köstlich war die kleine Naive mit ihrem geträllerten Liedchen. Reine Ironie schien mir die jodelähnliche Musik zu einer Tanzsequenz in hübschen Kimonos zu sein. Die endlose Einkaufsliste von kleinen und großen Andenken in einem Kaufhaus hielt das Publikum bei bester Stimmung.

Entsprechend lang und anhaltend fiel der Applaus aus. Es war ein äußerst unterhaltsamer Abend mit vielen Nuancen und wunderbar passenden zirzensischen Einflüssen.

Marion Eckels, 16. April 2018

Fotos: © Matthias Leitzke