Wolfsburg: „Triz“ / „Ima”

Besuchte Vorstellung am 2. Mai 2014, (Europapremiere 1. Mai 2014)

Wolfsburg MOVIMENTOS

Gegensätze

Zu einem weiteren interessanten Abend war das brasilianische Ensemble GRUPO CORPO im Kraftwerk zu Gast. Dieses Tanzensemble wurde 1975 in Belo Horizonte von seinem künstlerischen Leiter Paulo Pederneiras gegründet; sein Bruder Rodrigo war zuerst als Tänzer dabei und arbeitet seit 1978 als Choreograph für die Gruppe, die zunächst aus Tänzerinnen und Tänzern verschiedener Nationen bestand. Heute sind es nur Brasilianer, bis auf einen Kubaner, da er „eine verwandte Ästhetik“ mitbringe, während es Tänzer aus nördlichen Ländern schwerer hätten, das erarbeitete Bewegungsvokabular zu erfassen, so Rodrigo Pederneiras, der die beiden jeweils ca. 40-minütigen Stücke des Abends choreographiert hat.

Im ersten Teil gab es „Triz“, ein im August 2013 in Belo Horizonte uraufgeführtes Stück, das nun erstmals in Europa zu sehen ist. Der portugiesische Begriff „Por um Triz“ bedeutet „um Haaresbreite“, d.h. der Moment, wo Situationen in Gut oder Böse abgleiten können, sozusagen eine menschliche Gratwanderung, die hier schon durch die Kostümwahl charakterisiert war, durch vertikal in schwarz und weiß geteilte, hautenge Ganzkörper-Anzüge (Kostüme: Freusa Zechmeister). In einem von ebenfalls vertikal gespannten Stahlfäden begrenzten Raum (Bühne und Lichtdesign: Paolo Pederneiras) bewegten sich die Akteure geschmeidig als Paare, zu Dritt oder in unterschiedlich großen Gruppen. Weiche Wellenlinien liefen durch die Körper, sie umspielten sich und bildeten immer wieder neue schwarz-weiße Muster, die aber auf Dauer nicht direkt ansprachen, sondern eigenartig kühl-distanziert wirkten, nachdem der hierfür vorgesehene, attraktive Bewegungskanon ausgelotet war.

Ganz anders mutete da die lebendige, schon aus 2009 stammende Choreographie von „Ima“ („Magnet“) an, in der das Anziehen und Abstoßen des menschlichen Magnetismus durch variantenreiche Paar-Darbietungen verdeutlicht wurden. Zu rhythmisch pulsierender, temporeicher Musik erlebte man die gelungene Abfolge von beschwingten, artistischen Schrittfolgen sowie ideenreiche Hebungen und partnerschaftliches Herumwirbeln in unterschiedlichen Beziehungen. Dabei trugen alle enge Jeans, die 9 Herren mit freiem Oberkörper und später T-Shirts sowie die 10 Damen mit farbigen Tops und Shirts; die Beleuchtung wechselte entsprechend in kräftigen Farben. Besonders in Erinnerung blieben durch intensive Darstellung z.B. ein Paar, in dem zunächst der Mann herrschte, aber nach und nach die Frau die führende Rolle übernahm, und ein anderes, bei dem es überhaupt nicht zu einer Berührung der beiden auf der sonst leeren Bühne kam; sie lebten einfach aneinander vorbei, der Magnetismus war völlig aufgehoben.

Für beide Stücke gilt, dass die Musik vom Band („Triz“: Lenine; „Ima“: +2-Moreno, Domenico, Kassin) zeitweise unzumutbar laut war. Der Applaus im ausverkauften Heizkraftwerk war beim ersten Stück noch zurückhaltend, steigerte sich nach dem eingängigeren zweiten aber enorm.

Marion Eckels 4. Mai 2014

Fotos: Thomas Ammerpohl