Zürich: „Romeo und Julia“

Vorstellung am 5.6.2016

Am Ende blieb wohl kaum ein Auge trocken: Die stummen Schreie Julias, der irre Blick, ihr vom Schluchzen erbebender Körper, der verzweifelte Suizid – das ging wahrlich unter die Haut, war von einer bewegenden Emotionalität erfüllt.

Giulia Tonelli tanzte in dieser Vorstellung die Julia – und wie! Das war nicht bloss technisch perfekter Tanz (aber das auch!), sondern eine Interpretation, welche alle Facetten dieser Rolle zutiefst berührend zur Geltung brachte. Da stimmte einfach jede Regung, jeder Augenaufschlag, jedes Lächeln. Zu Beginn war sie ganz das kichernde, unschuldige Mädchen, mit einer belasteten Beziehung zur gefühlskalten Mutter (Juliette Brunner war eine hervorragende Gräfin Capulet, welche erst als ihr Geliebter Tybalt erstochen am Boden lag, Emotionen zeigen konnte). Doch da war auch die freundschaftliche, vertraute Beziehung zur Amme (wunderbar komisch und dann doch wieder rührend: Galina Mihaylova). Grandios herausgearbeitet von Giulia Tonelli waren ihre Interaktionen mit den Männern: Ungläubig und entsetzt reagierte sie auf die unbeholfenen und tuntig-affektierten Annäherungen des Grafen Paris (nach seinem Coppelius in DER SANDMANN glänzte Dominik Slavkovský wiederum mit einer umwerfend guten Charakterdarstellung), lächelnd und voller Vertrauen liess sich Giulia Tonelli beim Ball in die Arme ihres besorgten Vaters sinken (sehr elegant: Manuel Renard).

Mit quirligen, federleichten Luftsprüngen stellte Giulia Tonelli das junge Mädchen dar, tanzte mit zierlicher Eleganz auf dem Ball im Hause Capulet – und erblickte da ihren Romeo (William Moore), die Magie der Liebe (auf den ersten Blick) war beinahe körperlich spürbar. Zauberhaft zu erleben, wie die beiden sich näher kamen, der grosse Pas de deux der Balkonszene ein Traum mit fantastischen Hebefiguren, getanzt von beiden mit einer herrlichen, noch unbeschwerten Entdeckungsfreude. Schon tragischer dann der zweite grosse Pas de deux, die Abschiedsszene nach der Liebesnacht, begleitet von der ergreifend schön spielenden Viola d’amore aus dem Graben. Mit sauber ausgeführten Drehungen auf der Spitze und schon beinahe ätherischer Leichtigkeit und Fragilität tanzte Giulia Tonelli diese Szene. William Moore war ihr ein hervorragender (und blendend aussehender) Partner. Auch er zeigte eindringlich die Wandlung vom übermütigen, zu jedem (auch handfesteren) Scherz bereiten Jungspund zum verzweifelt Liebenden.

Bewegend war die Szene von Mercutios Ermordung: Romeo wollte immer schlichtend eingreifen, doch seine Freunde Mercutio und Benvolio (begeisternd, rasant und präzise tanzend und fechtend: Andrei Cozlac und Benoît Favre) liessen es sich nicht nehmen, den cholerischen Tybalt (mit starker Bühnenpräsenz den leicht reizbaren Macho gebend: Denis Vieira) bis aufs Blut zu provozieren, bis die Situation eben eskalierte und Tybalt den Mercutio erstach. Mit Tränen überströmtem Gesicht griff dann auch Romeo zum Degen und führte den fatalen Stoss gegen Tybalt aus. So nahm die Geschichte die tragische Wendung, begleitet von schmerzerfüllten Dissonanzen aus dem Graben, wo Pavel Baleff und die Philharmonia Zürich die rhythmischen und dynamischen Schwierigkeiten von Prokofjews grandioser Partitur mit Bravour meisterten. Bestens disponiert waren die viel beschäftigten Blechbläser, welche mit gleissender Kraft bedrohlich auftrumpften, oft abgefedert vom nachfolgenden, weichen Streicherklang. Christian Spucks Choreografie, die Kostüme von Emma Ryott und das Bühnenbild von Christian Schmidt habe ich anlässlich der Premiere vom Oktober 2012 bereits besprochen. Nach wie vor entfaltet diese Produktion ihre überwältigende Kraft und Eindringlichkeit (und sorgt für ausverkaufte Vorstellungen), schnell vergisst man die Theater-im Theater-Anlage, wird genau wie die Tänzer unentrinnbar in die Handlung hineingezogen – der dämonische Magier Pater Lorenzo (sehr subtil dargestellt von Filipe Portugal) hat ganze Arbeit geleistet.

Bilder (c) Opernhaus Zürich / egory Batardon