Braunschweig: Beethoven: Missa Solemnis

Überwältigend

Im Rahmen der Abonnementskonzerte des Staatsorchesters Braunschweig in der Stadthalle gibt es in dieser und der nächsten Saison – und damit im Beethoven-Jubiläumsjahr – dessen Sinfonien und Konzerte, aber auch Beethovens persönliches Glaubensbekenntnis, die gewaltige „Missa Solemnis“. Das Spätwerk, das als sozusagen religiöses Pendant zur 9. Sinfonie mit dieser zugleich veröffentlicht wurde, sprengt mit seiner riesenhaften Besetzung und langen Dauer den liturgischen Rahmen. In jeder Beziehung stellt es besonders große Anforderungen an die ausführenden Musiker, besonders an die Chöre. Denn Beethoven verlangt den Chorstimmen nahezu die gleiche Flexibilität und Spannweite wie Instrumenten ab. So waren auf dem Podium rund 100 Sängerinnen und Sänger und dazu in etwa die gleiche Anzahl an Instrumentalisten versammelt. Braunschweigs GMD Srba Dinić hatte den Riesenapparat mit zuverlässigen Einsätzen und somit genauester Zeichengebung sowie mit forderndem Gestaltungsgestus stets souverän im Griff. Was die Lautstärke und die teilweise aberwitzigen Tempi angeht, peitschte er alle kompromisslos durch die vielschichtige Partitur. Dabei erwies sich das Staatsorchester in allen Instrumentengruppen und mit den vielen ausgezeichneten Bläser-Soli erneut als ein Klangkörper von hohem Niveau. Eine der wenigen Stellen, die in der Darstellung etwas befremdeten, waren das übertriebene Staccato am Schluss des „Credo“ bei „Et vitam venturi saeculi“. Im Übrigen entwickelten die Chöre mit den vielen zusätzlichen Laiensängerinnen und –sängern gewaltige Klangfülle, verfügten aber auch über zartere, weiche Pianotöne; hörbar gut vorbereitet kamen sie mit den genannten hohen Anforderungen gut zurecht (Chor und Extrachor des Staatstheaters: Georg Menskes; KonzertChor Braunschweig: Matthias Stanze).

Ein in Qualität und Ausdruckskraft ausgeglichenes Solistenquartett war Garant für gestaltungssicher entfalteten Schönklang. Mit seiner ebenmäßig geführten, stärker gewordenen Stimme, längere Zeit gern gehörtes Braunschweiger Ensemble-Mitglied, jetzt in Leipzig, verbreitete Matthias Stier wunderbaren tenoralen Glanz. Imponierend war die Intonationsreinheit, mit der die Braunschweiger Sängerin Ekaterina Kudryavtseva ihren die Melodiebögen intensiv auskostenden Sopran über den Chor- und Orchestermassen quasi schwebend führte, wenn auch die Höhen nicht mehr so abgerundet waren wie in früheren Jahren. Isabel Stüber Malagamba, am Theater Magdeburg engagiert, ließ ihren hellen Mezzosopran vor allem im „Benedictus“ ruhig und sicher dahin strömen. Das sonore Fundament bildete Jisang Ryu, auch im Braunschweiger Opern-Ensemble, mit seinem in allen Lagen ausdrucksstarken Bass.

Von den übermäßig starken Klängen in den vielschichtigen Hauptsätzen der Messe, dem „Gloria“ und teilweise auch dem „Credo“, geradezu überwältigt war man dankbar, dass im „Sanctus“ und vor allem in dem ergreifenden „Benedictus“ Ruhigeres angesagt war, in dem die Solisten und am Schluss auch die Chöre gemeinsam mit dem schönen Violinsolo vom 1. Konzertmeister Johannes Denhoff in nachdrücklicher Weise Gottes Güte beschworen.

Nach dem von Beethoven offenbar so gewollten abrupten Ende des gewaltigen Werks hielt das Publikum eine Weile schweigend inne, bis jubelnder Applaus allen Mitwirkenden dankte.

Foto: © Staatstheater Braunschweig

Gerhard Eckels 18. Februar 2020