Gut Immling: „Otello“ / „Bajazzo“ / „Der Mantel”

Es macht einfach Spaß in Gut Immling Oper zu erleben

Auch in diesem Jahr pilgerte ich mit meinen Freunden nach Gut Immling, in der Erwartung, dass es auch einmal schwächere Aufführungen gibt, weit gefehlt, auch in diesem Jahr fuhren wir wieder hochbefriedigt nach Hause. Nicht nur, dass wir eine exzellente Aufführung von „Bajazzo“ und „Der Mantel“ sahen, eine Kombination, die eher ungewöhnlich ist, aber hier durchaus stimmig zwei Dramen auf der Bühne aufzeigte, nein wir konnten auch einen hervorragenden „Otello“ in einer Aufführung für behinderte Menschen erleben. Dies war auch für uns ein ganz besonderes Erlebnis, ich werde später darauf noch etwas genauer eingehen. Vor der ersten Aufführung wurden wir vom Opernfestival-Intendant und Opernsänger Ludwig Baumann empfangen und in einer ausgesprochen lockeren Atmosphäre wurde uns eine Einführung in die Opern gegeben. Ludwig Baumann, der jetzt ja bereits über ein Jahr mit der musikalischen Leiterin Cornelia Gräfin von Kerssenbrock verheiratet ist, merkt man in jeder Sekunde an, mit welcher Hingabe und welchem Herzblut er zu diesem seinem Festival steht. Es ist jedes Jahr wieder ein enormer Kraftakt, dies alles auf die Beine zu stellen, dafür zu sorgen, dass entsprechende Sponsoren im Boot sitzen, das eindrucksvolle Künstler verpflichtet werden und dass ein Ambiente geschaffen wird, welches man so in keinem Opernhaus der Welt erleben dürfte. Ich gebe ganz offen zu, ich liebe Gut Immling und bei den beiden Hauptakteuren, Ludwig Baumann und Cornelia von Kerssenbrock ist es mit Sicherheit noch viel ausgeprägter. Das Festival steht und fällt – nach meiner unmaßgeblichen Ansicht – mit diesen beiden herausragenden Persönlichkeiten, die das Glück haben, ein engagiertes und arbeitsfreudiges Team um sich geschart zu haben. Wollen wir hoffen, dass diese Schaffenskraft noch viele Jahre bestehen bleibt, die Sponsoren nicht ausgehen und deshalb immer wieder teilweise Sternstunden für Opernfreund zu erleben sind. Jeder Opernliebhaber sollte mindestens einmal in seinem Leben nach Gut Immling gefahren sein (wobei, wenn er einmal dort war, er immer wieder kommen dürfte). So, aber kommen wir jetzt zum ersten Abend, zur Aufführung von „Bajazzo“ von Ruggero Leoncavallo und „Der Mantel“ von Giacomo Puccini.

Begonnen wird mit „Bajazzo“ von Ruggero Leoncavallo und nach der Pause kommt „Il Tabarro“ – „Der Mantel“ von Giacomo Puccini. Die Inszenierung hat Verena von Kerssenbrock übernommen und sie baut eine schlichte einfache Bühne, die für beide Stücke mit wenigen Handgriffen umgestaltet werden kann. Zusammen mit Wiebke Horn zeichnet sie auch für die Kostüme verantwortlich und auch hier können sie beim mitgehenden Publikum punkten. Schnörkellos, dafür umso beeindruckender läuft die Mär um Liebe und Eifersucht ab und zieht die Zuhörer in ihren Bann. Der „Bajazzo“ beginnt mit einem Paukenschlag, dem kraftvoll und leidenschaftlich gesungenen Prolog, mit welchem sich Jacek Strauch stimmgewaltig einführt und diese Leistung kann er in der Verkörperung des liebestrunkenen, schmierigen und zuletzt hasssüchtigen Tonios, dem Tölpel, der das tragische Ende einläutet, halten. Sein kräftiger voller und stimmschöner Bariton weiß zu überzeugen. Er, der in Nedda, der Frau Canios, des Bajazzos verliebt ist und von ihr zurückgestoßen wird, sinnt auf Rache. Er schürt die Eifersucht Canios, der nicht weiß, dass der junge Silvio der heimliche Geliebte Neddas ist. Im komödiantischen Spiel vor versammeltem Publikum verschwimmen Wirklichkeit, Realität und Spiel. Canio kann nicht mehr dazwischen unterscheiden und ermordet vor der entsetzten Menge sowohl seine Frau Nedda als auch den jungen Silvio. „Geht heim – das Spiel ist zu Ende“ setzt den Schlusspunkt über ein tatsächlich geschehenes Verbrechen, welches von Leoncavallo vertont worden war.

Canio wird von Alexander Schulz verkörpert und er tut dies ausgezeichnet. Sein strahlender, nicht müde werdender hoher Tenor, der sich in leidenschaftliche Töne aufschwingt, beeindruckt die Zuhörer. Sein „Lache, Bajazzo“ wird zum Höhepunkt, der jedes Lachen im Keim ersticken lässt. Seine Mitspieler erstarren während seiner großen Arie, was diesem leidenschaftlichen Stück noch mehr Intensität verleiht. Stimmgewaltig verkörpert Alexander Schulz den zerrissenen Canio, der am Ende nicht mehr zwischen Schein und Wirklichkeit unterscheiden kann und das Stück zum tragischen Ende führt. Neben ihm durchaus ebenbürtig Liine Carlsson als seine Frau Nedda. Die junge Schwedin, die kurzfristig für die erkrankte ursprüngliche Besetzung eingesprungen ist, ist mit absoluter Sicherheit kein Lückenbüßer. Leidenschaftlich mit leuchtend hellem, alles überstrahlendem Sopran verkörpert sie ihre Rolle. Natürlich, effektvoll, stimmgewaltig und stimmschön ist sie eine ausgezeichnete Nedda. Das Publikum hat sie von der ersten Sekunde an auf ihre Seite gezogen. Beide Hauptakteure werden mit tosendem Beifall – und dies völlig zu Recht – bedacht. Yang Li singt den jungen Bauern Silvio, der Nedda leidenschaftlich liebt und schließlich, weil er sich bei ihrem Tod zu erkennen gibt, auch sterben muss. Er beeindruckt mit seinem weichen, jedoch durchaus tragfähigen und durchsetzungsfähigem Bariton, besonders im Liebeduett mit Nedda. Bei den vielen weiteren Protagonisten gibt es keinen Ausfall, sie fügen sich nahtlos in das Geschehen ein. Das große Festivalorchester Gut Immling, junge Musiker aus etwa 14 Nationen, u.a. von Georgien über Rumänien, Frankreich, Holland, Mazedonien bis Australien, Österreich und Bayern wird, wie sollte es anders sein, von der Immlingerprobten Cornelia von Kerssenbrock geleitet. Und sie leitete es nicht nur, sie lässt es aufblühen, sich zu leidenschaftlichen Ausbrüchen emporschwingen, sich in den leisen Passagen selbstlos zurücknehmen, um dann wieder mit brausender Leidenschaft voll zu erblühen. Dieser zarten Hand traut man fast diese geballte Leidenschaft nicht zu, aber sie exerziert sie jedes Jahr aufs Neue. So wie Ludwig Baumann ein Glücksfall für den Chiemgau ist, ist seine Ehefrau ein Glücksfall für die Orchester, ob es das Festivalorchester oder auch die Münchner Symphoniker sind. Sie lebt und atmet mit ihren Musikern und treibt sie so zu einer ausgezeichneten Leistung. Das auch der immer wieder – zu Recht – lobend erwähnte Laienchor seinen Teil zum Gelingen beiträgt, ist in Gut Immling schon selbstverständlich. Es ist auch immer wieder eine Freude, dem Chor zuzusehen, mit welcher Leidenschaft und welchen Gefühlsbewegungen er sich in das Geschehen einbringt. Man merkt den Frauen und Männern aus dem Chiemgau an, dass sie sich jedes Jahr auf diesen Auftritt freuen und auch sehr hart dafür arbeiten.

Dann kommt die Pause, Zeit zum Erholen und zum Verschnaufen und dann geht es weiter. Die zweite schauerliche Mär beginnt, „Il Tabarro – Der Mantel“ von Giacomo Puccini. Die drei Hauptfiguren in Bajazzo, Canio, Nedda und Tonio werden hier praktisch als Michele, Giorgetta und Luigi neu aufgestellt. Und auch diese Oper endet wieder tragisch, nur sind diejenigen, die auf der Bühne ihr Leben aushauchen andere. Michelle und Giorgetta, einst innigst ineinander verliebt, haben sich durch den Tod ihres Kindes auseinandergelebt und leben mehr oder weniger nur noch nebeneinander her. Michelle versucht die alte Liebe und Leidenschaft bei Giorgetta wieder zu entfachen, diese aber landet auf der verzweifelten Suche nach Glück und einem besseren Leben in den Armen Luigis. Alle in diesem Stück tragen ein Päckchen mit sich herum und sehnen sich nach einer besseren Welt. Luigi will Giorgetta nicht mehr mit Michelle teilen und sie verabreden sich, um vielleicht gemeinsam in ein besseres Leben zu fliehen. Giorgetta soll ein Zündholz, zum Zeichen dass Luigi kommen kann, anzünden. Michelle, der über sein Leben und seine Beziehung grübelt, vor allem an die Zeit zurückdenkt, an welcher sein Sohn und Giorgetta unter seinem Mantel Zuflucht fanden, zündet sich eine Pfeife an, dies verwechselt Luigi mit dem vereinbarten Zeichen und kommt worauf ihn Michelle erdrosselt. Giorgetta kehrt zurück und fragt ihren Mann, ob sie noch einmal unter dem Mantel Zuflucht finden kann. Michelle öffnet den Mantel, sie bricht an Luigis Leiche zusammen, während wie in „Bajazzo“ auch hier die letzten Worte sind „Die Komödie ist beendet“. Jacek Strauch überzeugt auch hier erneut mit einer Stimmgewalt, mit Ausbrüchen, die aus ihm herausbrechen, ebenso wie Alexander Schulz, der seinen exzellenten Tenor leidenschaftlich in der Partie des Luigi auskosten kann. Daneben zart, stimmgewaltig, leidenschaftlich, Liine Carlsson als Giorgette, die am Ende keine Perspektiven mehr für sich hat. Die musikalische Gestaltungskraft von Cornelia von Kerssenbrock ist ungeschmälert, sie macht weiter, wo sie im „Bajazzo“ aufgehört hat und bringt das Drama mit einer ungeheureren Intensität im Orchester zum entsetzlichen Höhepunkt. Alle Beteiligten, bei welchem ich – ohne die anderen abwerten zu wollen – nur einmal das Gut Immlinger Urgestein Alik Ibrahimov hervorheben möchte, sind ohne Fehl und Tadel, es gibt keinen Ausfall im Ensemble. Fast nicht endend wollender Applaus für zwei leidenschaftliche Stücke, leidenschaftlich gesungen und dargeboten und orchestral leidenschaftlich begleitet. Gut Immling bleibt Gut Immling. Im Anschluss ging man, noch beeindruckt von dem gehörten und gesehenen ins große Festzelt zurück um sich auch noch lukullisch etwas zu stärken. Ja, und da gab es dann auch wieder den hautnahen Kontakt mit den Opernstars des Abend und der kommenden Aufführungen. Über zwei Stunden lang wurde nach dem Opernereignis noch ein Konzert der großen Stimmen geboten – und dies gibt es nirgendswo, in keinem mir bekannten Opernhaus der Welt. Man kann es fast nicht fassen wie Alik Ibrahimov und viele andere eine Arie nach der anderen am Flügel zu Gehör bringen und der Applaus will fast nicht enden. Und auch das gehört zur Einzigartigkeit von Gut Immling.

Am nächsten Tag haben wir die Freude die Aufführung von Giuseppe Verdis „Otello“ in einer geschlossenen Veranstaltung für behinderte Menschen zu erleben. Fast 60 Rollstuhlfahrer mit ihrer Begleitung und 350 Behinderte sind die Gäste bei diesem Ereignis. Seit vielen Jahren wird dies von Ludwig Baumann und einer Vielzahl von Helfern und vor allem auch Sponsoren (ohne die das nicht ginge) durchgeführt. Es müssen viele Sitzreihen herausgenommen werden, damit die Rollstühle Platz finden, es ist auch eine organisatorische Meisterleistung, dies zu bewerkstelligen. Aber der Aufwand lohnt sich. Ich habe selten so begeisterungsfähige Menschen wie an diesem Tag erlebt. Sie gehen mit der Musik mit, sie freuen sich, sind aber in den stillen Passagen mucksmäuschenstill und lauschen voller Inbrunst der herrlichen Musik von Giuseppe Verdi. Diese Menschen gehen mit, wie man es in normalen Vorstellungen praktisch nicht so oft erleben dürfte. Eine Auszeichnung für diese einmalige Idee und die exzellente Ausführung. Dieser „Otello“ beeindruckt als Oper, aber auch mit der Einmaligkeit und tiefer Verwurzelung des besonderen Publikums. Ein ganz großes Lob für diese einmalige Idee.

Die Geschichte von Otello, dem Mohren von Venedig, dem Befehlshaber der venezianischen Truppen auf Zypern, ist schnell erzählt. Er liebt seine junge, schöne und treue Frau Desdemona. Jago, ein Fähnrich Otellos sinnt auf Rache, da er sich durch die Beförderung Cassios zurückgesetzt fühlt und zusammen mit Rodrigo, den Desdemona, als er zudringlich werden wollte, in seine Schranken gewiesen hatte, führt er einen fürchterlichen Plan durch. Er verwickelt Cassio in eine Schlägerei und dieser wird degradiert. Jago bittet Desdemona bei Otello für Cassio einzutreten und weckt gleichzeitig bei Otello Zweifel in die Treue Desdemonas. Ein entwendetes Taschentuch von Desdemona spielt er Cassio zu, und gleichzeitig spiegelt er dies als Erhärtung der Untreue Desdemonas vor. Otello wird immer verzweifelter und seine Eifersucht wird immer mehr geschürt. Er fasst den Plan Desdemona zu töten. Er schenkt ihren Unschuldsbeteuerungen keinen Glauben und erwürgt sie. Emilia deckt die Intrigen Jagos auf, doch für Desdemona ist es zu spät. Magdalena Fuchsberger hat dieses Drama inszeniert. Sie zeigt Otello als hilflosen, unentschlossenen, schwachen Menschen. Frau Fuchsberger legt Wert auf eine Personenführung, die verschiedene Interpretationen zulässt und dies ist ihr vorzüglich gelungen, auch im Zusammenspiel mit der wieder einmal hervorragenden Erarbeitung des Bühnenbildes durch Claus Hipp. Es ist schon eine Riesenleistung an und für sich, für diese, doch etwas problematische Bühne, die kaum Gestaltungsmöglichkeiten zulässt, etwas Ordentliches zu schaffen. Claus Hipp gelingt dies seit vielen Jahren bravourös.

Cornelia von Kerssenbrock ist auch an diesem Nachmittag eine beeindruckende Begleiterin. Sie fordert die Musiker der Münchner Symphoniker und diese folgen ihr willig. Mit einer Urgewalt, einem rollendem Gewitter gleich, beginnt sie und sie lässt von Anfang an keinerlei Zweifel, dass sie das Sagen hat bei der orchestralen Urgewalt. Die Münchner Symphoniker, kompetent wie eh und jeh, gestalten einen gewaltigen Verdi und sie tun dies mit Bravour. Bravourös auch Cornelia von Kerssenbrock und man fragt sich manchmal wirklich, wo sie all diese Leidenschaft und Beherrschung der orchestralen Urgewalt herbringt. Eine ganz beeindruckende Leistung von Dirigentin und Orchester. Ebenso beeindruckend wie eh und je der Festivalchor Gut Immling bei welchem fast jeder ein kleiner Individualsolist ist (mit solcher Leidenschaft werfen sie sich in die Partitur).

Der Otello von Efe Kislali, ein junger türkischer Tenor, ist eine Ausnahmeerscheinung. Vom körperlichen her ein „Riese“ ist sein beweglicher, baritonal gefärbter Tenor, der jedoch auch alle leidenschaftlichen Höhen problemlos auskosten kann eine rollendeckende Besetzung. Teilweise gewaltig und den Raum füllend bringt er eine Gestaltung auf die Bühne, die man so nicht allzu oft zu hören bekommen wird. Dunkel gefärbt, dennoch leuchtende Spitzentöne, ein Otello, von dem man sicher noch viel hören dürfte. Ihm zur Seite eine Desdemona, die zart und gleichzeitig durchschlagskräftig mit einer leuchtenden klangvollen farbigen Stimme ausgestattet, eine restlos überzeugende Leistung auf die Bühne bringt. Die junge Sopranistin, Deniz Yetim kommt ebenfalls aus der Türkei, ist ein wahrer Glücksgriff. Unglaublich zart und anrührend gestaltet sie ihre Partie mit einem innigen Piano, zart im Raum des Theaterrundes verfliegend ihr letztes „Ave Maria“. Sie ist, auch nach dem Willen von Magdalena Fuchsberger eine gleichwertige Partnerin Otellos. Beide können tosenden Applaus des Publikums einheimsen. Dies kann auch Rhys Jenkins als Jago. Der Waliser bringt eine tolle Leistung auf die Bühne. Sein Erscheinungsbild, des etwas übergewichtigen blondschopfigen Jagos, passt eigentlich überhaupt nicht zum gängigen Klischee dieser Figur, die von einem dunklen, hasszerfressenen Intriganten ausgeht. Hinter seiner Fassade, die Freundlichkeit verspricht, versteckt sich jedoch die ganze zügellose Leidenschaft eines durch und durch bösen Menschen. Beeindruckend sein leidenschaftlich herausgeschleudertes „Credo“, welches einem Schauer über den Rücken laufen lässt. Auch hier wieder bei der übrigen Besetzung ausgesprochen rollendeckende Leistungen, so Joska Lehtinen als Cassio, Jacek Janszewski als Ludovico, Marius Zaharia als Rodrigo, Irakli Gorgoshidze als Montano, Antonela Barnat als Emilia und Bogdan Ilisie als Herold.

Um es kurz zusammenzufassen, ich war wieder einmal beeindruckt von Gut Immling, den Aufführungen und dem ganzen Ambiente. Das Geheimnis, was im nächsten Jahr gespielt werden wird, wird Ludwig Baumann irgendwann Ende September lüften. Ich kann jedem, der noch nicht hier war, raten einmal die Reise in den Chiemgau anzutreten, ich jedenfalls wäre gerne noch länger geblieben.

Manfred Drescher 9.8.14

Bilder Nicole Richter und Verena von Kerssenbrock