Tecklenburg: „Cats“

Katzen so quicklebendig wie selten

Der „Urknall“ der Musical-Begeisterung in Deutschland war „Cats“ sicher nicht – aber Andrew Lloyd Webbers Geniestreich war wohl das erste Musical, das in derartiger Perfektion generalstabsmäßig und multimedial weltweit vermarktet wurde. Immerhin war „Cats“ Wegbereiter eines ganzen Industriezweiges. Nun eroberten die Katzen 34 Jahre nach ihrer „Geburt“ in London erstmalig die Bühne der Freilichtspiele Tecklenburg. Und um es gleich vorwegzunehmen: So quicklebendig waren die Katzen selten zu erleben. Und das ist einem phänomenal einstudierten Ensemble (dem zahlreich größten, das in Tecklenburg jemals zu erleben war), der pfiffigen Regie von Andreas Gergen und vor allem der phantasievollen Choreographie von Kim Duddy zu danken. Die musikalische Leitung lag einmal mehr in den bewährten Händen von Tjaard Kirsch.

Tecklenburg ging etwas andere Wege als die hinlänglich bekannte Originalproduktion. Schauplatz ist hier nicht mehr ein Schrottplatz, sondern ein verlassener Zirkus. Bunte Lampions und rote, etwas angestaubte Samtstoffe in der ehemaligen Loge zeugen von vergangenem Glanz. Susanna Buller hat das Bühnenbild sehr stimmig entworfen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Tecklenburger Freilichtspiele trotz der technisch beschränkten Möglichkeiten auf der Burgruine es schaffen, einen individuellen und attraktiven Spielraum einzurichten.

„Cats“ hat ja keine eigentliche, fortlaufende Handlung, sondern stellt nur die verschiedenen Katzen-Charaktere vor. Das ist hier sehr prägnant gelungen. Zum einen hat Regisseur Gergen hier sehr sorgfältig gearbeitet und die diversen Schicksale feinsinnig und humorvoll, anrührend und burlesk gezeichnet. Zum anderen hat Karin Alberti einfach tolle Kostüme entworfen, die in ihrer phantasievollen Farbenpracht und Individualität eine Klasse für sich waren.

Eine der anrührendsten Szenen war die des gealterten Theaterkaters Gus, der mit zittriger Stimme an seine früheren Erfolge als Schauspieler zurückdenkt. Yngve Gasoy-Rømdal machte das ausgezeichnet. Für die Piratenszene hatte sich Regisseur Gergen tolle Schattenspiele ausgedacht. Anna Carina Buchegger und Nils Haberstroh sorgten als chaotisches Pärchen Rumpleteazer und Mungojerry für buffoneske Glanzlichter. Ihr revueartig servierter Ohrwurm machte beste Laune. Reinhard Brussmann als Old Deuteronomy profitierte von seiner langjährigen Erfahrung in dieser Rolle. Shane Dickson als „Sexprotz“ Rum Tum Tugger gab (mit leuchtend rotem Slip) eine veritable Parodie eines Pop-Idols. Beim Auftritt des gefährlichen Macavity (Zoltan Fékete), der als „Pate“ der Katzenmafia Angst und Schrecken verbreitete, wurde die Bühne effektvoll eingedunkelt. Die tänzerische und artistische Präsenz von David Pereira als charismatischem Zauberer Mr. Mistoffelees übertraf beinahe alles – ein Meisterstück!

Die zentrale Figur aber ist Grizabella, die einst gefeierte, inzwischen aber reichlich abgetakelte Künstlerin, die vor allem von ihren Erinnerungen lebt. Angelika Milster hat mit dieser Rolle damals ihre Weltkarriere gestartet. Maya Hakvoort gab der Partie eigene Prägung, sang das musikalische Herzstück „Erinnerung“ (nach einem einleitenden, fast poetischen Pas de deux) mit ausdrucksvollem, dunklem Brustregister.

Getragen wird „Cats“ natürlich besonders von den tänzerischen Leistungen. Bewundernswert, was Kim Duddy da vollbracht hat. Furiose Ensemble-Szenen wechselten mit geradezu akrobatischen Soli. Bei der Eisenbahnsequenz wuselten die zahlreichen Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne und umrundeten einmal den gesamten Zuschauerraum. Eine Szene, die pure Lebensfreude vermittelte. Es war eine Premiere, die begeistert aufgenommen wurde und für die Freilichtspiele neue Maßstäbe setzte.

Seit einigen Monaten trägt Tecklenburg als erste und einzige Stadt in Nordrhein-Westfalen den offiziellen Titel „Die Festspielstadt“. Und das ist mehr als berechtigt.

Wolfgang Denker, 19..07.2015

Fotos von Ulrich Niedenzu, Stefan Grothus, Heiner Schäffer, Holger Bulk / Freilichtspiele Tecklenburg