Trier: „Die Kluge„ / „L’heure espagnole“

Carl Orff / Maurice Ravel

Lapidar gibt der Regisseur im Programmheft zu, dass die beiden Opern programmatisch und musikalisch nichts, aber auch gar nichts gemeinsam haben und nicht einmal durch ein gemeinsames Bühnenbild verbunden sind. Da man sich in Trier zwei Bühnenbilder nicht leisten könne, müsse das der ersten Kurzoper eben in der Pause abgeräumt werden. Es geht ganz einfach darum, zwei interessante Einakter, beide nicht sehr häufig gespielt, zu einem abendfüllenden Programm zusammenzubinden. Warum man entgegen dem Brauch das jüngere Werk zuerst gespielt hat, darauf gibt dann der Abend die Antwort. Sicher nicht nur deshalb, weil man das Bühnenbild von „Die Kluge“ in der Pause nicht hätte aufbauen können…

Evelyn Czesla (Die Tochter des Bauern); Reuben Willcox (Der König)

DIE KLUGE

(Die Geschichte von dem König und der klugen Frau)

Der König als Diktator

Carl Orffs Oper ist 1943 im bereits von Bomben beschädigten Frankfurt uraufgeführt worden. Die NS-Kulturzensoren hatten wohl das Libretto des Stücks nicht richtig gelesen, sondern nur das gleichnamige Märchen der Gebrüder Grimm in schwacher Erinnerung, auf welches der Komponist sein Libretto basierte. Oder hatte allein Carl Orffs Ansehen im Dritten Reich dafür ausgereicht, dass „Die Kluge“ zur Aufführung kam. In dem Stück werden ziemlich deutlich Gewaltherrschaft, Unterdrückung, Willkürjustiz, Unfähigkeit und Bestechlichkeit im Reiche des „Königs“ thematisiert. An diesen Elementen setzt die Regiearbeit von Sven Grützenmacher erbarmungslos an. Schon das Bühnenbild von Hanna Zimmermann zeigt die Macht- und Unterdrückungsarchitektur deutlich auf. Unten ein betonierter Hof wie ein Gefängnis, darüber eine dreistufige Betonstruktur, die ganz oben das Büro des Diktators (Königs) trägt, der auf goldenem Sessel an goldenem Schreibtisch unter seinem eigenen Portrait sitzt (mit durchschlagskräftiger Tiefe: Reuben Willcox). Auf dem Schreibtisch steht ein Samowar – ein „diskreter“ Hinweis, wohin verortet man sich das Geschehen vorstellen soll. Wie der Chef an das ganze Gold gekommen ist, zeigt die Handlung: Ausplünderung der Untertanen. Deren einer, der Bauer, schaut nur mit dem Kopf aus einem Betonverlies heraus und schleudert seine Klage in die Gegend („O, hätt‘ ich meiner Tochter bloß geglaubt!“) (mit sonorem runden Bassbariton: Alexander Trauth). Der alte Kerkermeister (Horst Lorig mit weichem Bass) schreitet müde auf und ab (Rente mit 76!) In den Zwischenetagen lässt die gekonnte Personenregie die drei Strolche als Kanalarbeiter herumwuseln (Luis Lay mit Ausflug ins Falsett, Amadeu Tasca mit kultiviertem Bariton und Pawel Czekala mit klangschönem Bass klangen ausgesprochen gut im Terzett).

László Lukács (Der Mann mit dem Maulesel)

Des Bauern Tochter (die Sopranistin Evelyn Czesla von attraktiver Bühnenerscheinung mit schönen Färbungen in der Mittellage) schafft es bis in die Chef-Etage. Da sie aber auch ein soziales Gewissen hat und ein Willkürurteil des Königs hintertreibt, der sie wegen Ihrer Klugheit frisch geehelicht hat, wird sie wieder verstoßen. Der Mann mit dem Esel (stets lamentierender Charaktertenor mit unsteten Höhen: Svetislav Stojanovic) hat nicht einsehen wollen, dass er von den Strolchen und dem Mann mit dem Maulesel (László Lukács mit volltönendem warmen Bariton) um sein Eselsfüllen gebracht wird. Gerechtigkeit widerfährt dem Eselmann nicht. Aber die als Königin wieder ausgestoßene Bauerntochter darf sich ja noch etwas vom Hof mitnehmen, was ihr lieb ist. Und da erläutert die Regie, was ihre wahre Absicht war… Was sie da mitnimmt, wird hier nicht verraten; nur so viel, dass die Regie das Ende des Märchens drastisch verändert hat und der Ton endgültig ins Herbe schlägt. So passt es zwar ins Regiekonzept, ist aber nicht mehr glaubwürdig. Die Inszenierung wirkt sehr geradlinig, ja belehrend; aber am Ende fällt doch arg auf, dass das märchenhafte Ende des Stücks („und wenn sie nicht gestorben sind“) mit dem Regieansatz nicht amalgamiert werden kann. So kommt es zu einem dramaturgischen Bruch, der auch das Harmoniebedürfnis des Publikums vor Probleme stellt, das höflich, aber zurückhaltend reagierte. Die aussagefähige Kostümierung der Darsteller besorgte Claudia Caméra.

Svetislav Stojanovic (Der Mann mit dem Esel); die drei Strolche

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung von GMD Victor Puhl war natürlich Orff-mäßig im Schlagwerk kräftig verstärkt. Bei ebenfalls großer Bläserbesetzung waren die Streicher zurückgenommen, so dass die mit großer Präzision musizierten archaisch wirkenden Schlagwerk-Rhythmen und Ostinati hart und trocken im Raum standen. Ein guter Teil der Oper wird gesprochen, dazu kommen rhythmische Deklamation und Sprechgesang auf gleicher Tonhöhe. Zum sich verhärtenden Geschehen auf der Bühne gesellt sich keine Melodik.

L’HEURE ESPAGNOLE

Das ist eine französische Stunde

Das Libretto dieser musikalischen Komödie stammt von Franc-Nohain und beruht auf dessen gleichnamigem Theaterstück von 1904. Es ist eine französische Boulevardkomödie einfachster Handlung mit schlüpfrigem zweideutigem Text ohne jeden Tiefgang, aber mit viel Situationskomik und daher sehr unterhaltsam. Die Oper wurde 1911 an der Opéra Comique mit schwachem Erfolg aufgeführt: solche Stoffe erwartete man in der Vorstadt-Schmiere, aber nicht in der Oper. Der trockene Uhrmacher Tourquemada muss jeden Donnerstagnachmittag für genau eine Stunde außer Hauses gehen, um die städtische Uhr zu warten. Diese „spanische“ Stunde nutzt seine von ihm vernachlässigte Frau Concepción regelmäßig zu einem amourösen Abenteuer mit ihrem Liebhaber, dem selbstverliebten Schwärmer Gonzalvo. An diesem Tag geht alles schief: der bärenstarke Mauleseltreiber Ramiro will nicht aus dem Laden gehen, und dazu erscheint noch der protzige neureiche Bankier Don Inigo Gomez und denkt, sich die Frau zu kaufen. Die treibt es aber zuletzt mit dem Maultiertreiber, weil er so stark ist und weil er sich wirklich für die Frau interessiert und sich für ihre Sorgen einsetzt. Dem düpierten Uhrmacher wird Genugtuung gewährt, weil er den beiden Prätendenten die teuren Standuhren verkaufen kann, in denen sie sich vorher versteckt hatten.

Amadeu Tasca (Mauleseltreiber), Luis Lay (Torquemada)

Ein Bühnenbild braucht man für diese Oper nicht unbedingt; lediglich zwei Standuhren. Dazu fügt die Bühnenbildnerin am Bühnenhimmel noch eine ganze Sammlung von Uhrenteilen hinzu: man befindet sich schließlich bei einem Uhrmacher. Wieder besorgte Claudia Caméra die situationsgerechten, komisch überzeichneten Kostüme. Dem Regisseur gelingt mit lockerer Hand eine sehr witzige Inszenierung, die in ihren Bewegungen in schöner Weise die süffige Musik von Ravel aufnimmt und die sich natürlich auf die Zeichnungen der Charaktere konzentriert. Vom Inszenierungskonzept her gesehen kann der Regisseur bei dieser Oper nicht viel falsch machen, aber in den Einzelheiten wird viel Geschick benötigt, um diese Komödie prickelnd zu machen. Sven Grützenmacher ist es gelungen: er hat die Lacher auf seiner Seite.

Kristina Tanel (Concepción); Svetislav Stojanovic (Gonzalvo)

Zu dem leichten Geschehen auf der Bühne hat Maurice Ravel eine facettenreiche Musik für großes Orchester geschrieben. Die reicht von kleinen charmanten musikalischen Einfällen, über programmatische Kommentierung (à la Falstaff) und plakativen Hispanismen bis zum opulentem Großeinsatz des Apparats. Victor Puhl setzt das mit dem groß besetzten Philharmonischen Orchester so traumhaft um, dass man bedauern muss, dass es sich bloß um einen Einakter handelt. Das Orchester folgt seinem GMD mit konzentriertem, präzisem Spiel und bester Intonation. Schon bei der Einleitung hört man das Ticken, Tacken und Schlagen der Uhren im Laden. Die Bewegungen sind perfekt untermalt bzw. der Regie gelingt es ideal, die Bewegungen auf die Musik zu inszenieren. Ein Regisseur, der das nicht aus dem Reclam-Heft inszeniert hat, sondern vorher den Kopf mit dem Dirigenten zusammengesteckt hat. An und für sich soll die Oper in Echtzeit ablaufen, d.h. eine Stunde dauern; diese Stunde war in Trier allerdings spanisch; denn man kam nur auf 55 Minuten. Heute ist eben alles schneller. Nach der spanischen Stunde war auch klar, dass die an zweiter und letzter Stelle kommen musste: nach diesem Klangrausch hätte der spröde Orff nicht mehr gepasst.

Kristina Tanel (Concepción)

Luis Lay sang den Uhrmacher Torquemada und verlieh diesem verschrobenen Charakter als heller, geschmeidiger Spieltenor auch das geeignete stimmliche Profil. Mit Kristina Stanek war eine reizende und aufreizende Concepción besetzt; quirlig, melomanisch und fast nymphomanisch mit einer verführerischen kehligen Eindunkelung Ihres Mezzos und leuchtenden Höhen. Sie nahm sich den, auf den sie zum Schluss Lust hatte: und ewig siegt das Weib (hier mit dem Mauleseltreiber). Den gab der Bariton Amadeu Tasca mit etwas spröden Höhen und hörbaren Problemen mit der französischen Sprache (Ein Mauleseltreiber spricht eben nicht französisch). Die beiden weiteren männlichen Rollen in dieser Oper sind Verlierer: Gonzalvo (für diese Rolle hätte Svetislav Stojanovic mehr tenoralen(s) Schme(a)lz aufbringen dürfen) und Don Inigo Gomez, der komische Bänker (mit rundem vollen Bass: Pawel Czekala)

Das Haus war nur zur Hälfte gefüllt; der Bekanntheitsgrad der Werke ist anscheinend noch zu niedrig. Der Beifall für die spanische Stunde war groß. Man sollte sich diese nicht zu häufig gegebene süffisante musikalische Komödie nicht entgehen lassen. Der Doppelabend kommt noch sechs Mal bis zum 9. Juni. Empfehlung: hingehen.

Manfred Langer, 04.04.2013
Fotos: Marco Piecuch